Seit der Kosovo am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, halten die Spannungen zwischen den beiden Ländern an.
Bei der Vermittlung im Dialog zwischen Belgrad und Pristina zur Beilegung der bilateralen Spannungen und der Förderung von Frieden und Stabilität in den Westbalkanländern spielt die EU eine zentrale Rolle.
Der Kosovo, der heute fast ausschließlich von Albanern bewohnt wird, war früher Teil Serbiens. Serbien und fünf Mitgliedsstaaten der EU – Rumänien, die Slowakei, Zypern, Spanien und Griechenland – erkennen die Souveränität des Kosovo bis heute nicht an. Mit Unterstützung von Russland und China blockiert die serbische Regierung außerdem die Integration des Kosovo in internationale Institutionen.
Die jüngsten Spannungen zwischen den beiden Ländern wurden ursprünglich durch eine Entscheidung der Regierung in Pristina ausgelöst, alte serbische Nummernschilder für ungültig zu erklären. Diese werden allerdings von Bewohnern des nördlichen Kosovo nach wie vor genutzt. Nach der Verhaftung eines ehemaligen Polizisten serbischer Ethnizität Ende 2022 wegen des Vorwurfs der Anstiftung auf Angriffe auf Offizielle der Wahlkommission, errichteten militante Serben ein Dutzend Straßensperren an strategischen Punkten in der Region und blockierten so die Zufahrtswege zu zwei Grenzübergängen nach Serbien. Unter dem Druck westlicher Botschaften setzte der kosovarische Premierminister Albin Kurti schließlich die Durchführung der Nummernschildverordnung aus. Serbien erklärte sich bereit, keine Nummernschilder mehr mit den Bezeichnungen der Kosovo-Städte auszugeben.
Anhaltende Verhandlungen: Fortschritt oder Sackgasse?
Der italienische Außenminister Antonio Tajani erinnerte jüngst daran, dass eine Stabilisierung der Balkanregion unerlässlich sei, besonders im Hinblick auf das Thema Migration. Für Italien seien die Migrationsströme auf der Balkanroute eine „Schlüsselfrage“, sagte der Minister und ergänzte, dass zahlreiche irreguläre Migrantinnen und Migranten auf diesem Weg nach Europa gelangten. Im zurückliegenden Jahr 2022 war die Migrationsroute über die Westbalkanländer mit mehr als 139.000 verzeichneten illegalen Einreisen die aktivste.
Zur Situation zwischen Serbien und dem Kosovo sagte Tajani: „Wir brauchen einen umfassenden und bindenden Vertrag, anderenfalls werden wir immer wieder in angespannten Situationen vermitteln müssen, die sich anschließend für ein paar Monate beruhigen, und dann erneut losgehen“. Im Hinblick auf den von der EU geförderten Dialog meinte der italienische Minister: „Es gehört zu den Verantwortlichkeiten der EU, bei der Klärung von offenen Problemen zu helfen“.
Im Rahmen des EU-Ratsgipfels in der vergangenen Woche hatten die Staats- und Regierungschefs der Union eine Schlussfolgerung zum Dialog zwischen Belgrad und Pristina verabschiedet. Diese Schlussfolgerung „betont die dringende Notwendigkeit von Fortschritten bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien“. Der Vorschlag sei demnach eine „historische Chance“ für die europäische Perspektive, erfordere jedoch eine Umsetzung aller Verpflichtungen, „einschließlich der aus den Übereinkommen von 2013 und 2015 über die Einrichtung der Gemeinschaft serbischer Gemeinden“.
Im Rahmen des von der EU vermittelten Dialoges erzielten Belgrad und Pristina 2013 ein Übereinkommen über die Einrichtung eines Verbandes/ einer Gemeinschaft serbischer Mehrheitsgemeinden, die insbesondere die Integration von vier Gemeinden im nördlichen Kosovo erleichtern soll – das sogenannte „Brüsseler Abkommen“. Momentan werden 10 Gemeinden mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung im nördlichen Teil des Landes, nicht von den kosovarischen Behörden kontrolliert. Stattdessen unterstehen die Behörden dieser 10 Gemeinden unmittelbar der Regierung in Belgrad.
Am Montag, den 13. Februar, ließ die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić verlauten, dass Serbien jederzeit zum Dialog und zu Gesprächen mit Pristina bereit sei, doch bestehe sie auf der Einrichtung der Gemeinschaft Mehrheitsgemeinden. Dies müsse diesmal auch die gemeinsame Position Serbiens und seiner westlichen Partner sein, insbesondere der EU und der USA. Der Kosovo hat den Verband/ die Gemeinschaft serbischer Mehrheitsgemeinden allerdings bislang nicht eingerichtet.
Der kosovarische Premierminister Albin Kurti sagte, dass er den Vorschlag prinzipiell unterstütze und als gute Verhandlungsbasis für eine Lösung betrachte. Dabei stellte er jedoch seinerseits sechs grundsätzliche Forderungen. Erstens müsse der Verband/ die Gemeinschaft serbischer Mehrheitsgemeinden im Rahmen der Gesetze und Verfassung des Kosovo sein. Zweitens dürfe die Gemeinschaft nicht monoethnisch sein. Drittens dürfe sie nicht über Exekutivgewalt verfügen. Viertens müsse der Grundsatz der Gegenseitigkeit Anwendung finden, d. h. für Albaner in Serbien müssten die gleichen Rechte gelten, wie für Serben im Kosovo. Fünftens seien die illegalen serbischen Strukturen im Norden des Kosovo abzubauen und alle illegalen Waffen auszuhändigen. Und schließlich müsse der serbische Präsident Aleksandar Vučić die von ihm geschriebenen Briefe an die Staatschefs der fünf EU-Mitgliedsländer, die den Kosovo nicht anerkennen, zurückziehen. In diesen Briefen hatte Vučić die Regierenden dazu aufgefordert, die Kandidatur des Kosovo für eine EU-Mitgliedschaft abzulehnen.
Milorad Dodik, Präsident der Entität Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, meinte dass der Verband/ die Gemeinschaft serbischer Mehrheitsgemeinden Exekutivgewalt haben und sich an der Republika Srpska orientierten solle, die auf Grundlage des Friedensabkommens von Dayton über einen hohen Grad an Autonomie verfügt. Besagtes Abkommen wurde am 21. November 1995 unterzeichnet, beendete den Krieg in Bosnien und erhielt das Land als einen einzigen, jedoch aus zwei Entitäten bestehenden Staat.
Internationale Verfechter der Einrichtung eines Verbandes/ einer Gemeinschaft serbischer Mehrheitsgemeinden im Kosovo lehnen jedoch Vergleiche zwischen der Republika Srpska und der Situation zwischen dem Kosovo und Serbien ab. Laut Derek Chollet, Berater des US-Außenministeriums, sei es für die Vereinigten Staaten zwar wichtig, dass ein Verband/ eine Gemeinschaft serbischer Gemeinden im Kosovo eingerichtet werde, doch diese solle keine Ähnlichkeit mit der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina haben.
Belgrads Dilemma nach der russischen Invasion der Ukraine
Der russische Angriff auf die Ukraine hat frühere Bemühungen um eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Serbien und dem Kosovo zum Erliegen gebracht.
Unter Führung des Präsidenten Aleksandar Vučić hatte Serbien mit der EU verhandelt und Reformen versprochen. Vučić verfügte außerdem zu Amtszeiten von Bundeskanzlerin Angela Merkel über hervorragende Beziehungen zu Deutschland. Gleichzeitig arbeitete er gut mit Russland, China und der Türkei zusammen.
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Sicherheitslage verändert und Serbien ist massiv unter Druck geraten, sich für eines der beiden Lager im Konflikt zu entscheiden. Auf der einen Seite wird das Land aufgefordert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, was Serbien bislang strikt verweigert. Auf der anderen Seite droht Moskau damit, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, wenn sich Belgrad den westlichen Sanktionen gegen Russland anschließt.
Ein kürzlich unterbreiteter deutsch-französischer Vorschlag sieht unter anderem vor, dass Serbien und der Kosovo einander nicht formell anerkennen müssen, sondern lediglich die Eigenstaatlichkeit des jeweils anderen innerhalb der derzeitigen Grenzen gegenseitig akzeptieren sollten. Insbesondere solle Serbien aufhören, die Anträge des Kosovo auf Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu blockieren – wie dies bislang mit aktiver russischer Unterstützung erfolgt sei.
Anfang Februar teilte Vučić dem serbischen Parlament mit, diese Forderung sei aus serbischer Sicht besonders schwierig zu erfüllen, wenn nicht gar unzumutbar. Im Gegenzug drohen internationale Unterhändler damit, die seit 2014 laufenden Gespräche über den Beitritt Serbiens zur Europäischen Union abzubrechen und ausländische Investitionen zu stoppen, falls Belgrad nicht einlenke.
Vučić äußerte dazu jüngst, dass ihm die westlichen Unterhändler nur zwei Möglichkeiten gelassen hätten: Entweder müsse er ihren Vorschlag akzeptieren oder das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen und den Rückzug von Auslandsinvestoren in Kauf nehmen. „Es liegt im vitalen Interesse Serbiens, auf dem europäischen Weg zu bleiben“, betonte der serbische Staatschef.
Letzte Woche sagte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell, er habe den kosovarischen Premierminister Albin Kurti und den serbischen Präsident Aleksandar Vučić eingeladen „bald wieder nach Brüssel zu kommen, schon in ein paar Wochen“. Borrell äußerte, er wolle den deutsch-französischen Vorschlag für ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina durchsetzen. Er betonte, es sei wichtig, dass beide Seiten „jegliche Eskalation vermeiden“ und „ernsthaft an dem Vorschlag“ für ein Abkommen arbeiten würden.
Laut Peter Stano, Chefsprecher für Außen- und Sicherheitspolitik, gehe „die Arbeit am EU-Dialog zwischen Belgrad und Pristina Tag für Tag weiter. Der EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajčák ist kontinuierlich im Dialog mit Partnern und der Hohe Vertreter Borell tut das Gleiche auf höchster politischer Ebene”.
Am kommenden Wochenende werde sich Borrell in München sowohl mit dem kosovarischen Premierminister Kurti als auch dem serbischen Präsident Vučić separat zu bilateralen Gesprächen treffen, „um zu eruieren, wie man den Prozess auf der Basis des kürzlich unterbreiteten EU-Vorschlages voranbringen kann“, ergänzte Stano. Heute bestätigte der Europäische Auswärtige Dienst, dass Borrell am 27. Februar in Brüssel auch mit Kurti und Vučić zusammentreffen wird.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.