In den sozialen Netzwerken schlagen EU-Kritiker schrill Alarm: 35 Millionen Häuser in Europa werden angeblich mit einem neuen EU-Gesetz über Nacht wertlos. Vor der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments am 13. März in Straßburg wird zudem behauptet, die Gebäude dürften «in spätestens sieben Jahren» nicht mehr bewohnt werden, wenn sie nicht einem bestimmten Energiestandard entsprechen.

Bewertung

Ein solches EU-Gesetz ist weder beschlossen, noch enthalten die bisherigen Textvorschläge entsprechende Vorgaben. Über genaue Regeln wird erst noch beraten. Aus keiner Vorlage geht bislang hervor, dass Häuser wertlos werden und nicht mehr bewohnt werden dürfen.

Fakten

Ein Facebook-Post vom Frühjahr 2023 verbreitet ein Sharepic, das unter anderem EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen zeigt und in dem es heißt, 35 Millionen Häuser in Europa würden «über Nacht wertlos». «In spätestens 7 Jahren dürfen Häuser und Wohnungen, die nicht dem Mindestenergiestandard (Isolierung) F bzw. E entsprechen, laut neuestem EU-Gesetz nicht mehr bewohnt werden», wird dort weiter behauptet.

Das Sharepic ist ein Ausschnitt aus einem anderen in sozialen Netzwerken verbreiteten Bild, in dem sich außerdem noch die politische Wertung findet: «Grüner EU-Wahnsinn rollt auf uns zu.»

EU-Kommission schlug 2021 eine Richtlinie vor

Die EU-Kommission hatte am 15. Dezember 2021 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vorgelegt. In diesem Vorschlag wurde das bereits früher festgelegte Ziel, bis 2050 einen «emissionsfreien Gebäudebestand» zu erreichen, bekräftigt. Spätestens 2030 sollen alle neuen Gebäude emissionsfrei sein. Zudem sollen bestehende Gebäude, die noch in der schlechtesten «Gesamtenergieeffizienzklasse» G eingestuft sind, bis dahin mindestens die Effizienzklasse E erreichen.

Nach Angaben des Spitzenverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft GdW würde dieser Vorschlag drei Millionen Gebäude in Deutschland betreffen, also 15 Prozent des gesamten Gebäudebestandes. Der Verband hält dieses Ziel der Kommission für «realitätsfern».

Die Zahl von 35 Millionen Häusern in Europa, die angeblich über Nacht wertlos werden, beruht offensichtlich auf einer Mitteilung der EU-Kommission vom 14. Oktober 2020 über die Förderung von Gebäuderenovierungen in Sachen Klimaschutz. In dieser Mitteilung ist allerdings nicht von wertlosen Häusern die Rede, sondern davon, dass 35 Millionen Gebäude bis 2030 renoviert werden könnten, wenn dazu «auf allen Ebenen» Kräfte mobilisiert werden.

Ministerrat wich wesentlich vom Kommissionsvorschlag ab

Tatsächlich ist der Vorschlag der Kommission für die Richtlinie über Energieeffizienz noch kein «neuestes EU-Gesetz». Nach dem Vorschlag der Kommission hat zunächst einmal der Ministerrat – also das Gremium der Regierungen der Mitgliedstaaten – am 25. Oktober 2022 eine Stellungnahme (allgemeine Ausrichtung) zu dem Entwurf beschlossen.

Dabei wichen die Regierungen wesentlich von dem genau bezifferten Vorschlag der Kommission ab. Sie wollen für den Bestand an Wohngebäuden stattdessen einen «nationalen Pfad» festlegen, der an nationalen Plänen für die Gebäuderenovierung ausgerichtet ist. Die Einhaltung dieses Pfades soll in den Jahren 2033 und 2040 kontrolliert werden. Demnach soll 2033 der durchschnittliche Energieverbrauch des gesamten Wohngebäudebestandes dem Niveau der Energieeffizienzklasse D entsprechen. 2040 soll ein nationaler Wert erreicht werden, der das Ziel der Nullemissionen im Jahre 2050 sichert.

Europäisches Parlament hat wiederum andere Vorstellungen

Das Europaparlament hat als dritte Kraft der EU-Gesetzgebung am 15. Februar 2023 in seinem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie ebenfalls zu dem Kommissionsvorschlag und auch zu der Reaktion des Ministerrates einen Bericht veröffentlicht. In diesem Bericht, der dem Parlament bei seiner am 13. März 2023 beginnenden Sitzung vorgelegt werden sollte, fordert das Parlament, dass Wohngebäude ab Januar 2030 mindestens die Gesamtenergieeffizienzklasse E erreichen müssen. Das wäre eine Verschärfung im Vergleich zum Vorschlag der Kommission.

Der vom Europaparlament vorgeschlagenen Text verstärkt auch die Vorkehrungen, die zum Schutz von Bewohnern getroffen werden sollen, die sich eine Renovierung des Hauses oder ihrer Wohnung nicht leisten können. Die EU-Regierungen sollen unter anderem verpflichtet werden, «wirksame soziale Schutzmaßnahmen und Garantien» zum Schutz sozial schwacher und von Energiearmut betroffener Haushalte einzurichten. Die Renovierung biete «soziale, wirtschaftliche und ökologische Vorteile», doch müssten die Regierungen für Schutzmaßnahmen und «Mechanismen der sozialen Unterstützung» sorgen.

Sobald das Plenum des Europaparlaments seine Position festgelegt hat, beginnt zwischen den drei Institutionen – Kommission, Rat und Parlament – eine Debatte über den endgültigen Wortlaut der Richtlinie. Für die rechtliche Ausgestaltung dieser Richtlinie sind dann die Mitgliedsländer zuständig, die entsprechende Gesetze beschließen müssen. Inwieweit sie dabei vom Spielraum Gebrauch machen, den die Richtlinie ihnen lässt, ist eine nationale Entscheidung.

Hinweis: Im drittletzten Absatz wurde nachträglich korrigiert, dass Wohngebäude laut Parlamentsbericht ab Januar 2030 mindestens die Gesamtenergieeffizienzklasse E rpt E (nicht: D) erreichen müssen.

Links

Facebook-Postarchiviert

Vollständiges Sharepicarchiviert

Richtlinienvorschlag EU-Kommissionarchiviert

GdW zu Kommissionsvorschlagarchiviert

Mitteilung der EU-Kommissionarchiviert

Stellungnahme EU-Ministerratarchiviert

Bericht Europaparlamentarchiviert

Tagesordnung Europaparlamentarchiviert

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