Ausschreitungen, Plünderungen und Brandanschläge: Bilder und Videos der Gewaltszenen in Frankreich sind allgegenwärtig, seit ein Polizist einen jungen Mann bei einer Kontrolle in Nanterre bei Paris erschoss. In den sozialen Medien werden europaweit aber auch Bilder und Videos geteilt, die in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen in Frankreich stehen. Haben Protestierende also Autos aus einem Parkhaus auf eine Straße fallen lassen, wo die Fahrzeuge in Flammen aufgingen? Haben Demonstranten ein Polizeiauto gestohlen, um damit jubelnd durch die Straßen zu fahren? Waren auf einem Hochhausdach in Marseille Scharfschützen postiert, wie es ein Video nahelegt?

Bewertung

Keine der genannten Aufnahmen hat etwas mit der jüngsten Eskalation der Gewalt in Frankreich zu tun. Diese Bilder sind allesamt schon älter und stammen teilweise aus Filmen wie «Fast & Furious» und «Athena».

Fakten

Die beschriebenen Szenen, die innerhalb und außerhalb Frankreichs verbreitet werden, waren schon vor den jüngsten Ausschreitungen im Internet zu sehen. Sie können also keine Aufnahmen von den aktuellen Ereignissen sein.

Die Autos, die aus einem Parkhaus fallen

Mit einer Bilderrückwärtssuche stößt man schnell auf die Herkunft des Videos: Dreharbeiten für den achten «Fast & Furious»-Film. Die Actionszene, in der die Autos aus dem Parkhaus stürzen, wurde 2016 in Cleveland, Ohio, gedreht.

Am 3. Juni 2016 veröffentlichte ein Nutzer ein Video der Dreharbeiten auf der Seite Imgur. Diese Aufnahmen stimmen mit dem jetzt geteilten Video überein. Damals widmeten sich auch mehrere Nachrichtenartikel dem beeindruckenden Video.

Den genauen Standort der Dreharbeiten hat der BBC-Journalist Shayan Sardarizadeh ermittelt und seine Recherche auf Twitter veröffentlicht. Mit den aktuellen Unruhen in Frankreich haben die Bilder also nichts zu tun. Trotzdem verbreitete sich die Falschnachricht unter anderem auch in den Niederlanden.

Der Mann mit Gewehr auf einem Dach

Eine Bilder-Rückwärtssuche mit Suchmaschinen zeigt, dass das Video mit dem angeblichen Scharfschützen schon mindestens im Jahr 2022 im Netz kursierte. Eine solche Suche führt zu einem Tweet vom 13. März 2022. Dieser zeigt das Video, in dem ein Mann auf dem Dach eines mehrstöckigen Gebäudes mit einem Gewehr offenbar auf mehrere Menschen neben einem Auto zielt.

Das Video steht also in keinem Zusammenhang mit den aktuellen Ausschreitungen in Frankreich. Dennoch wird die Szene im falschen Kontext fleißig geteilt, unter anderem auf Französisch. Dabei tauchte auch die falsche Behauptung auf, die Bilder seien in Marseille entstanden.

Was genau in der kurzen Sequenz zu sehen ist, bleibt unklar. Ein Schuss wird im Video nicht abgefeuert. Auch lässt sich nicht erkennen, ob es sich um ein echtes Gewehr oder eine Attrappe handelt. Eine Suche nach dem Tiktok-Account, der links oben im Video angegeben ist, führt ins Leere.

Sicher ist jedoch: Die Szene stammt aus dem Pariser Vorort Villiers-sur-Marne. Diese Ortsangabe ist in dem Video auf Twitter zu sehen. Die Lokalisierung lässt sich dank dieser Angabe anhand von Aufnahmen des Ortes auf Google Maps bestätigen: Die Gebäude im Video stehen in einem Wohngebiet mit dem Namen Hautes Noues. Das Video wurde auf dem Dach des höchsten der dortigen Wohnhäuser aufgenommen.

Möglicherweise ist es aber noch älter als März 2022: In einem Untertitel heißt es: «Gestern war Volksfest, heute Call of», mutmaßlich eine Anspielung auf das Video-Kriegsspiel «Call of Duty». Im März 2022 gab es in Villiers-sur-Marne allerdings kein Volksfest. Auch das im Video sichtbare Laub der Bäume passt nicht zur Jahreszeit.

Über einen Zwischenfall mit einem Gewehr oder Schüsse auf Personen in diesem Wohngebiet ist nichts bekannt. Eine Suche nach entsprechenden Medienberichten zeigt keine passenden Ergebnisse.

Jubelnde Jugendliche im Polizeitransporter

Das aktuell geteilte Foto, das Jugendliche mit einer Frankreich-Flagge in der Hand in einem Transporter mit der Aufschrift «Police» zeigt, hat ebenfalls nichts mit den Ausschreitungen im Juni und Juli 2023 zu tun. Die Szene stammt aus einem Netflix-Film.

Im September 2022 erschien auf Netflix der Film «Athena» des französischen Regisseurs Romain Gavras, der von sozialen Unruhen in dem fiktiven Vorort Athena handelt. In der Handlung geht es auch darum, dass ein Teenager nach Polizeigewalt stirbt und protestierende Jugendliche ein Polizeiauto und Waffen auf einer Polizeiwache stehlen.

Von dieser Szene stammt der Screenshot, der sich als angeblich reales aktuelles Bildmaterial verbreitet. Zu sehen ist die Szene auch im offiziellen Trailer des Films auf der Netflix-Webseite oder auf dem Netflix-Youtube-Kanal.

Deutlich erkennbar ist, dass sich auf dem Foto und in dem Filmtrailer der Polizeitransporter mit der offenen Tür und die Position der Frankreich-Flagge gleichen. Auch das blaue Motorrad, das neben dem Transporter fährt, ist zu sehen, sowie die rot-schwarze Kleidung eines Jugendlichen.

Die falsche Einordnung der Szene wurde ebenfalls auf Niederländisch geteilt. Auch eine Reihe weiterer Falschnachrichten zu den Ereignissen in Frankreich verbreiteten sich im Zusammenhang mit den französischen Ereignissen in Deutschland und anderen europäischen Ländern.

Links

Über die Ausschreitungen in Frankreich (archiviert)

Informationen der Filmfestspiele Venedig über den Film «Athena» (archiviert)

Netflix-Seite über «Athena» (archiviert)

Filmtrailer bei Youtube (archiviert, Video archiviert)

dpa-Faktencheck auf Niederländisch

dpa-Bericht über den Angriff auf Bürgermeister, veröffentlich von «abendblatt.de» (archiviert)

Tweet mit dem Netflix-Foto (archiviert)

Tweet mit Video (12.3.2022) (archiviertarchiviertes Video)

Ort bei Google Maps (archiviert)

Google-Suche nach möglichem Vorfall in Villiers-sur-Marne (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviertarchiviertes Video)

dpa-Faktencheck auf Französisch

Tweet (archiviert)

Fast & Furious 8 bei IMDB (archiviert)

Video bei Imgur (archiviert)

Artikel bei «metro.co.uk» (archiviert)

Artikel bei «cleveland.com» (archiviert)

Ort bei Google Maps (archiviert)

Tweet Shayan Sardarizadeh (archiviert)

dpa-Faktencheck auf Niederländisch

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