Für die Europäische Kommission ist die Sache klar: «Nach derzeitigem Kenntnisstand schützen alle von der EU zugelassenen Impfstoffe mit einer allgemeinen Wirksamkeit von über 80 % in hohem Maße vor COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalten, schweren Krankheitsverläufen und Tod», schreibt die Brüsseler Behörde zu den Covid-19-Impfungen. Doch im Internet zirkuliert ein Video, das anhand von mehr als 100 englischsprachigen Zeitungsausschnitten eine nachlassende Wirksamkeit der Corona-Impfungen belegen soll. Das Video gibt es schon länger, aber Ende September teilte auch Elon Musk mit seinen mehr als 160 Millionen Followern auf X den Zusammenschnitt von Überschriften und Zitaten. Hat der Chef des Kurzmitteilungsdienstes X und des Autobauers Tesla womöglich Einblicke in die Impfstoffe, die der EU-Kommission fehlen?

Bewertung

Der geteilte Video-Clip ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Die gezeigten Überschriften sind nicht chronologisch geordnet, der erweckte Eindruck einer fortlaufenden Entwicklung ist deshalb falsch. Außerdem werden Studien angeführt, die wegen unterschiedlicher Datenlage nicht sinnvoll miteinander vergleichbar sind. Schließlich werden auch Artikel gezeigt, die gar nichts mit der Covid-Impfung zu tun haben.

Fakten

Die Abfolge der Slideshow erweckt den Anschein, mit der Zeit hätten die Corona-Impfstoffe an Sicherheit und Wirksamkeit verloren: Zu Beginn des Videos ist von einer 100-prozentigen Wirksamkeit die Rede (im Video ab 0:04 Min.), später von 85 Prozent (ab 0:25 Min.), dann von 50 (ab 0:50 Min.) und 39 Prozent (ab 0:55 Min.). Am Schluss wird gefragt (ab 1:31 Min.), wie unwirksam die Impfstoffe denn nun wirklich seien. Für die vermeintliche Dramatik ist Edvard Griegs «In der Halle des Bergkönigs» musikalisch unterlegt.

Reihenfolge im Video entspricht nicht der Chronologie

Tatsächlich wurden die mehr als 100 Artikeltitel oder Zitate überwiegend zwischen September 2020 und Oktober 2021 veröffentlicht. Das war eine wichtige Phase in der Impfstoffentwicklung: Die ersten Vakzine wurden im Dezember 2020 erstmals für den regulären Gebrauch am Menschen außerhalb von Studien genehmigt.

Die Reihenfolge der Veröffentlichung ist allerdings eine ganz andere als in dem verbreiteten Video: Die Artikel, in denen über die geringste Wirksamkeit berichtet wird, sind sehr früh in der Impfstoffentwicklung entstanden – einige sogar in der Zeit vor den ersten Impfungen überhaupt.

Ein Ausschnitt in der Reihe ist besonders irreführend: Die Überschrift «Japan halts vaccines after deaths of 4 children» (also etwa «Japan stoppt Impfstoffe nach dem Tod von vier Kindern», ab 1:18 Min.) stammt aus dem Jahr 2011 und bezieht sich gar nicht auf das Coronavirus, sondern auf Impfungen gegen Lungenentzündungen.

Grundsätzlich sind die Nachrichten in der Zusammenstellung nicht ohne weiteres vergleichbar – schon gar nicht, wenn man nur Zitate oder Headlines gegenüberstellt.

Aussagen betreffen unterschiedliche Impfstoffe

Die aufgeführten Artikel behandeln Studien über verschiedene Impfstoffe – etwa von Biontech/Pfizer, Moderna oder AstraZeneca. Untersuchungsergebnisse des einen Produkts können nicht mit denen eines anderen in eine sinnvolle Reihe gestellt werden.

So wird etwa einmal auf einen Artikel in der Zeitschrift «Pharmaceutical Technology» mit dem Titel «Bharat Biotech’s Covid-19 vaccine shows interim efficacy of 81%» hingewiesen (ab 0:29 Min.). Darin geht es um die Effektivität der Biontech-Impfung auch gegen neue Corona-Varianten.

Demgegenüber behandelt die «India Times» in ihrem Artikel «Johnson & Johnson Vaccine Is 68% Effective on COVID-19 Strains, Seeks FDA Approval» (ab 0:39 Min.) den Impfstoff von Johnson & Johnson, der trotz niedrigerer Effektivität trotzdem zugelassen wurde.

Beide Mittel unterscheiden sich sowohl in der Verabreichung (im Gegensatz zu den anderen wird Johnson & Johnson zunächst als Einzeldosis verabreicht) als auch in der Herstellung.

Coronavirus entwickelte neue Varianten

Im Laufe der Zeit hat sich das Coronavirus gewandelt, und neue Varianten und Mutationen sind aufgetaucht. Ein Impfstoff, der für die eine Variante entwickelt wurde und sich höchst wirksam gegen diese zeigt, dessen Schutz muss bei einer anderen nicht unbedingt genauso ausgeprägt sein.

Einem CNN-Bericht vom März 2021 mit dem Titel «Pfizer/BioNTech says its Covid-19 vaccine is 100% effective and well tolerated in adolescents» (ab 0:05 Min.) zufolge hatte der Impfstoffhersteller sehr gute Resultate in einer klinischen Studie.

In einem Artikel der «Daily Mail» nur fünf Monate später mit der Überschrift «Pfizer’s Covid vaccine is only 42% effective against Indian ‚Delta‘ variant while Moderna’s jab is 76% effective, Mayo Clinic suggests» (ab 0:53 Min) wird dann eine viel niedrigere Effektivität gegen die Delta-Variante angegeben.

Der Unterschied zwischen den Artikeln: Der CNN-Bericht behandelt eine Studie zur Biontech-Wirksamkeit gegen den Urtyp des Coronavirus, die «Daily Mail» hingegen betrachtet die Effektivität desselben Mittels gegen die später aufgetretene, neue Delta-Variante.

Studien unterscheiden sich in ihren Ansätzen

Die in den verschiedenen Artikeln erwähnten Studien unterscheiden sich unter anderem in der Umsetzung der Untersuchung und in ihrer Zielsetzung.

So beschreibt etwa die zur ersten Überschrift in der Videomontage («AstraZeneca COVID-19 Vaccine 100% Effective In Preventing Deaths, Hospitalization: US Study») gehörende Pressemitteilung des Impfstoffherstellers die Ergebnisse einer Phase-III-Studie des AstraZeneca-Impfstoffs – also die letzte Stufe einer klinischen Studie, bevor das Medikament auf den Markt kommt.

Die Meldung «CDC: Pfizer, Moderna vaccines are 90% effective in real-world conditions» (ab 0:21 Min.) hingegen bezieht sich auf eine Real-Life-Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC, in der die Teilnehmer anders ausgewählt werden als bei klinischen Studien. Das kann zu erheblichen Unterschieden bei den Resultaten führen.

Genauer gesagt: Bei der Phase-III-Studie von AstraZeneca wurden die Resultate von drei Studien aus Großbritannien, Brasilien und Südafrika mit insgesamt 17 177 Teilnehmern zusammengefasst. Die mindestens 18 Jahre alten Teilnehmer in allen drei Studien waren gesund oder hatten stabil eingestellte chronische Erkrankungen. Zudem hatten sie ein erhöhtes Risiko, mit Sars-CoV-2 in Kontakt zu kommen. Sie wurden nach der Impfung mehrmals im Jahr getestet, um Viruslast und Impfabdeckung zu überprüfen.

Bei der CDC-Real-Life-Studie wiederum wurden 4000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitssystem oder in systemerhaltenden Jobs wöchentlich getestet, um die Wirkung der Impfungen von Pfizer und Moderna zu beobachten – nicht aber der von AstraZeneca.

Was Covid-Impfstoffe tatsächlich bewirken

Tatsächlich können Geimpfte sich anstecken und andere infizieren, tragen aber eine wesentlich niedrigere Viruslast und verringern somit die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung anderer. Wenn die Impfung einen Menschen nicht zwingend vor Ansteckung schützt, so doch vor einem schweren Verlauf, vor Krankenhausaufenthalten und oft vor dem Tod, wie die US-amerikanische Johns Hopkins Universität schreibt. Deshalb betont auch die EU-Kommission: «Je höher die Impfquote, desto geringer die Hospitalisierungs- und Sterberate.»

Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge gab es Ende Oktober 2023 weltweit mehr als 771 Millionen bestätigte Covid-Fälle und knapp sieben Millionen Tote. Mehr als 13,5 Milliarden Impfdosen wurden demnach weltweit verabreicht.

Die Deutsche Presse-Agentur hat in der Vergangenheit wiederholt Falschbehauptungen über die Wirksamkeit der Impfstoffe entkräftet: etwa hierhierhierhierhier und hier.

Links

EU-Kommission zu Covid-19-Impfungen, Antwort auf Frage 6 (archiviert)

Elon Musk Slideshow (Post archiviertClip archiviert)

Fox-News-Meldung (archiviert)

NPR-Meldung zur Impfeffektivität (archiviert)

CNN-Meldung zur Coronaimpfung in September 2020 (archiviert)

«Daily Mail»-Artikel vom August 2021 (archiviert)

«Consumer Affairs» zur Pfizer-Impfung in Israel im Juli 2021 (archiviert)

NBC über Impfungen gegen Lungenentzündungen in Japan im März 2011 (archiviert)

Astrazeneca Phase III Studie Februar 2021 (archiviert)

Astrazeneca Phase III Studie März 2021 (archiviert)

«Axios» über CDC-Studie (archiviert)

WHO-Dashboard über Covid-Fälle und Impfungen (archiviert am 30.10.2023)

EMA zur Genehmigung der ersten Corona-Impfung (archiviert)

FDA zur Genehmigung der ersten Corona-Impfung in den USA (archiviert)

Johns Hopkins Universität über Corona-Impfungen (archiviert)

«India Times» zu Johnson & Johnson (archiviert)

«New York Times» zu Impfstoff-Unterschieden (archiviert)

«Pharmaceutical Technology» zu Biontech (archiviert)

CNN-Meldung zu Pfizer/BioNTech Vakzin (archiviert)

dpa-Faktenchecks über Wirksamkeit der Corona-Impfungen: hierhierhierhierhier und hier

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