Nach Angaben der Europäischen Kommission stieg die Zahl der unbesetzten Stellen im Jahr 2022 auf 2,9 Prozent und ist damit mehr als doppelt so hoch wie zehn Jahre zuvor. Da die Bevölkerung im Durchschnitt immer älter werde, könne die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in der EU voraussichtlich von 265 Millionen im letzten Jahr auf 258 Millionen im Jahr 2030 sinken.
Um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, hat die Europäische Kommission am 15. November einen neuen Vorschlag vorgestellt, der auch die legale Migration fördern soll. Er zielt darauf ab, unbesetzte Stellen und Bereiche, in denen es einen Mangel an Bewerbern gibt, mit qualifizierten Arbeitssuchenden zusammenzubringen und die Mobilität auch für Lernende zu fördern.
Die Kommission gab auch Anregungen, wie die Anerkennung von Qualifikationen aus Drittländern vereinfacht werden könnte und dass beispielsweise nationale Behörden in die Lage versetzt werden sollen, Verfahren durch Personalinvestitionen zu beschleunigen. Informationen über Einstellungs- und Migrationsverfahren in EU-Ländern sollten ebenfalls zur Verfügung gestellt werden.
Im Vergleich zu den meisten Ländern mit hohem Einkommen ist der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung in der Europäischen Union geringer. Nach Angaben von Eurostat und der OECD beträgt der Anteil der im Ausland geborenen Einwohner in der EU 8,5 %, während er in Australien 29,2 % und in den USA 14,0 % beträgt.
Länder wie Slowenien, Bulgarien und Bosnien und Herzegowina suchen auch außerhalb ihrer eigenen Arbeitsmärkte nach Kräften um ihre freien Stellen zu besetzen. Einige fordern weitere Rechtsvorschriften und verweisen auf ihre eigenen Erfahrungen mit der Mobilität von Arbeitskräften und der Abwanderung von Fachkräften aus ihren heimischen Arbeitsmärkten.
EU-Talentpool: Ausgleich unbesetzter Stellen, Wege zur legalen Migration
Am 15. November schlug die Kommission die Einrichtung einer Online-Plattform für Stellenangebote in der Europäischen Union vor, den EU-Talentpool, sowie Talentpartnerschaften, bei denen es sich um maßgeschneiderte Kooperationen mit Nicht-EU-Ländern handelt, die Mobilität für Arbeit oder Ausbildung anbieten.
Damit soll sichergestellt werden, dass Menschen legal in die EU kommen können, um eine ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechende Tätigkeit auszuüben. Ein weiteres Ziel ist es, eine neue Front gegen die illegale Migration zu eröffnen und so gemeinsam gegen Menschenhändler vorzugehen.
Laut Margaritis Schinas, Vizepräsident der Kommission und zuständig für die Förderung der Europäische Lebensweise, ist der Ausgangspunkt des Pakets „der Ausbildungs- und Arbeitskräftemangel auf unseren Märkten, der besorgniserregend ist, da 75 Prozent der europäischen KMU [kleine und mittlere Unternehmen] sagen, dass sie nicht die Mitarbeiter finden, die sie brauchen“.
Als Beispiel führte er an, dass die EU bis 2030 20 Millionen Menschen benötige, die im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) arbeiteten, dass es in der EU aber derzeit nur neun Millionen Menschen in diesem Bereich gebe. „Uns fehlen elf Millionen,“ fügte er hinzu. Schinas nannte zwar keine konkrete Zahl möglicher Neueinstellungen durch das künftige System, sagte aber, dass die EU „so viele [Arbeitskräfte] wie möglich haben möchte, solange sie zu den freien Stellen passen“.
Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, wies darauf hin, dass diese Vorschläge auch Teil eines „umfassenden Ansatzes zur Migration“ seien, der die Schaffung „legaler Wege“ vorsehe. In diesem Zusammenhang betonte sie, dass die EU bis 2030 mehr Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt benötige und dass „wir dafür mehr Arbeitsmigration brauchen werden“. Johansson wies darauf hin, dass es Sektoren mit einem „eindeutigen Arbeitskräftemangel in der Europäischen Union“ gebe, wie das Baugewerbe, der Gesundheitssektor, die Altenpflege aufgrund der demografischen Entwicklung, die IKT oder das Transportwesen.
Brüssel hat 42 Mangelberufe in der gesamten EU ermittelt, die Teil der vorgeschlagenen Verordnung für den Talentpool sind und die je nach Bedarf angepasst werden sollen.
Der Pool wird auch die Umsetzung von Talentpartnerschaften unterstützen. Arbeitsuchende, die ihre Fähigkeiten im Rahmen einer Talentpartnerschaft entwickelt haben, erhalten einen Talentpartnerschaftspass, der für die teilnehmenden Arbeitgeber sichtbar ist und ihre Qualifikationen belegt.
Die Teilnahme der Mitgliedstaaten wäre rechtlich nicht bindend, außerdem müssen das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten den Vorschlag noch verhandeln und annehmen, bevor eine solche Plattform eingerichtet werden kann.
Nationale Ansätze und Sorgen angesichts des Arbeitskräftemangels
In Südosteuropa sind einige Länder sowohl mit einem Mangel an einheimischen Arbeitskräften als auch mit der Mobilität ihrer eigenen Arbeitskräfte zu günstigeren Bedingungen in anderen EU-Ländern konfrontiert.
In Slowenien beispielsweise herrscht in bestimmten Sektoren Arbeitskräftemangel, während die Arbeitslosigkeit den niedrigsten Stand seit 1991 erreicht hat. Der Pool der ehemaligen jugoslawischen Länder, aus denen die Arbeitskräfte traditionell nach Slowenien kommen, leert sich. Eine Reihe von inländischen Arbeitnehmern, vor allem an der Grenze zu Österreich, arbeitet im Ausland, wo sie günstigere Arbeitsbedingungen vorfinden. Im September erreichte der Anteil der Arbeitskräfte aus der EU und aus Drittstaaten 15 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung von knapp einer Million und verdoppelte sich damit im Vergleich zu 2010.
Slowenien blickt weiter in die Ferne, aber derzeit ist der Anteil der Arbeitnehmer aus Drittländern exklusive der ehemaligen jugoslawischen Ländern mit rund einem Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung unbedeutend. Der slowenische Ministerpräsident Robert Golob betonte auf der Tagung des Europäischen Rates in Granada im Oktober, dass die beste Möglichkeit, Migration wirksam zu steuern, die Legalisierung sei – denn Europa brauche Arbeitskräfte. In Bezug auf die Beziehungen zu Drittländern forderte er eine Verknüpfung von Entwicklungshilfe und Migrationssteuerung, wie es die EU in ihrem Abkommen mit Tunesien getan hat.
Bulgarien, das zwar EU-Mitglied ist, aber nicht dem grenzfreien Schengen-Raum angehört, setzt das EU-Recht zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer um, indem es seinen Arbeitsmarkt für EU-Bürger öffnet. Die Ministerin für Arbeit und Sozialpolitik, Ivanka Shalapatova, erklärte am 20. Oktober, dass die bulgarische Regierung an einer Maßnahme arbeite, die den Import ausländischer Arbeitskräfte in den Fällen erleichtere, in denen die Möglichkeit, bulgarische Staatsbürger zu aktivieren, ausgeschöpft ist.
Zwischen 2018 und 2022 verzeichnete das Land einen positiven Trend bei der Zahl der Aufenthaltsgenehmigungen, die Drittstaatsangehörigen zu Beschäftigungszwecken erteilt wurden, laut Daten des nationalen bulgarischen Statistikamtes. Im Jahr 2018 unterzeichnete das Land ein bilaterales Abkommen mit der Republik Moldau über die Regulierung der Arbeitsmigration.
In Bosnien und Herzegowina (BiH) hat die zunehmende Abwanderung junger Menschen in die EU zu einem Mangel an Arbeitskräften geführt, insbesondere in Berufen mit hoher Nachfrage. Der Minister für Arbeit und Sozialpolitik der Föderation Bosnien und Herzegowina, Adnan Delić, kündigte kürzlich Änderungen am Gesetz über die Beschäftigung von Ausländern und die Liberalisierung der Arbeitsgenehmigungen an. Damit solle verhindert werden, dass die Produktion und die Wirtschaft insgesamt durch übermäßige und langwierige Verwaltungsverfahren bei der Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für Ausländer Verluste erleide.
In einer kürzlich von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Auftrag gegebenen Studie bekundeten zwei Drittel der Unternehmen in Bosnien und Herzegowina Interesse an der Einstellung von Migranten. Arbeitgebervertreter im Land sagten jedoch, dass sie sich nicht auf Migranten verließen, die sich derzeit im Land aufhalten, da ihr Ziel darin bestehe, den Westen zu erreichen.
Nach Ansicht des Sicherheitsministers von Bosnien und Herzegowina, Nenad Nešić, ist ein großes Problem die Ankunft legaler Migranten in Bosnien und Herzegowina, die im Land arbeiten und dann über Nacht in die Europäische Union fliehen. Er ist der Meinung, dass BiH mit den Ländern, die Menschen zur Arbeit nach Bosnien und Herzegowina schicken, Abkommen unterzeichnen muss, die sicherstellen, dass diese Personen nicht in die EU gehen können und nach Beendigung ihrer Arbeit in ihr Heimatland zurückkehren müssen.
Dieser Artikel wird wöchentlich veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.