Gegner der europäischen Asyl- und Migrationspolitik feiern eine Abstimmung im niederländischen Parlament und fordern: «Jetzt die Grenzen schließen». Die Abgeordneten in Den Haag hätten «für einen historischen Antrag gestimmt», verbreiten sie in verschiedenen Ländern und Sprachen und auf unterschiedlichen Plattformen. Die Niederlande könnten «nun» in Dänemarks Fußstapfen treten und aus der EU-Politik auf diesem Gebiet «aussteigen». Machen die Niederlande also ab sofort nicht mehr mit bei gemeinsamen Entscheidungen zu Asyl und Migration?

Beurteilung

Trotz der Abstimmung in den Haag sind die Niederlande bis auf Weiteres an die EU-Regeln auf diesem Politikfeld gebunden. Der Antrag zielt darauf ab, dass die niederländische Regierung bei einer nächsten Änderung der EU-Verträge über eine solche Ausnahmeklausel verhandeln soll. Ob und wann das geschieht, ist derzeit ungewiss.

Fakten

Ein Abgeordneter der neuen Partei NSC (Nieuw Sociaal Contract), Caspar Veldkamp, hatte den fraglichen Antrag am 12. Dezember eingebracht. Nach der Wahl vom 22. November gilt die sozial-konservative NSC als möglicher Koalitionspartner einer Regierung unter Führung des Rechtspopulisten Geert Wilders (PVV). Weil auch Parlamentarier von BBB, VVD und Wilders‘ PVV den Antrag unterstützten, wurde er mit breiter Mehrheit angenommen.

Niederlande bleiben an EU-Beschlüsse gebunden

Doch das bedeutet keineswegs, dass die darin bekundete Absicht ohne weiteres umgesetzt werden kann. Ohne mehrere weitere Schritte bleibt die niederländische Regierung an die europäische Asyl- und Migrationspolitik gebunden.

In dem Antrag steht, dass dieser auf eine Resolution des Europäischen Parlaments vom 22. November reagiert. Darin ruft das Europaparlament die Mitgliedstaaten auf, die EU-Verträge so zu ändern, dass künftig über verschiedenen Themen häufiger mit Mehrheit entschieden werden kann. Das würde das Vetorecht einzelner Länder und damit mögliche Blockaden einschränken.

Der Antrag, dem eine Mehrheit im niederländischen Parlament zustimmte, fordert die dortige Regierung auf, im Fall einer solchen EU-Vertragsänderung eine Ausnahme in der Asyl- und Migrationspolitik für die Niederlande auszuhandeln. Bis dahin sind EU-Beschlüsse auf diesem Gebiet auch für die Niederlande bindend.

Änderung der EU-Verträge steht in den Sternen

Ob und wann Verhandlungen über eine Änderung der EU-Verträge beginnen, ist bislang offen. Dazu müsste erst ein sogenannter Konvent einberufen werden. Ob die Niederlande dann eine Ausnahmeregelung durchsetzen könnten, ist auch keineswegs sicher, wie niederländische Medien bereits analysierten.

Selbst wenn es einer niederländischen Regierung gelingen sollte, ein solches sogenanntes Opt-out in der Asyl- und Migrationspolitik durchzusetzen, hieße das noch nicht, dass die Niederlande einseitig die Grenzen schließen können. Das Land muss sich auch noch an andere internationale Abmachungen halten.

Die Niederlande sind – wie Deutschland – Teil der Schengenzone. Deren Mitglieder können nicht einfach wieder Grenzkontrollen einführen. Darüber hinaus haben die Niederlande auch die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Auf diese Verträge hätte eine Ausnahmeregelung zur EU-Asylpolitik keine direkte Auswirkung.

Mehrere europäische Nichtbeteiligungsklauseln

Mitgliedstaaten mit Opt-out-Regelungen müssen sich auf einem bestimmten Politikfeld nicht an die einschlägigen EU-Regeln halten. Auf diese Weise kann die Europäische Union den Prozess der Integration fortsetzen, auch wenn einzelne Staaten nicht mitziehen.

Seit dem Vertrag von Maastricht vom Februar 1992, der die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union machte, wurden mehrere Nichtbeteiligungsklauseln in die europäischen Verträge aufgenommen. So war Großbritannien bis zu seinem EU-Austritt nicht an die EU-Beschlüsse zur Wirtschafts- und Währungsunion gebunden, die unter anderem den Euro umfassen. Auch der Schengenzone gehörte das Vereinigte Königreich nie an.

Dänemark hatte Ausnahmeregeln zur Schengenzone, zu Sicherheit und Verteidigung, zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Asylpolitik. Das Land wurde allerdings im März 2001 Mitglied der Schengenzone. 2022 verzichtete es angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine in einem Referendum auf sein Opt-out in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nur bei der Wirtschafts- und Währungsunion und der Asylpolitik scheren die Dänen weiterhin aus.

Irland gehört nicht zur Schengenzone und Polen hat sich Ausnahmen von der Europäischen Grundrechtecharta ausbedungen. Alle diese Sonderregeln sind bei einer Neufassung der Europäischen Verträge, wie denen von Maastricht oder Lissabon, zustande gekommen.

Dänemark und Niederlande unterscheiden sich

Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» merkte an, dass eine Opt-out-Regelung zum EU-Asylrecht für die Niederlande ein Novum wäre: Noch nie sei ein EU-Land aus einem gemeinsamen Politikfeld ausgestiegen, an dem es zuvor mitgewirkt habe. Mit einem Austritt aus der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik würden die Niederlande also keineswegs in Dänemarks Fußstapfen treten – wenn es denn überhaupt eines Tages zu diesem Schritt kommt.

Links

Asyl- und Migrationspolitik der EU (archiviert)

Falscher Facebook-Post I (archiviert)  

Falscher X-Post I (archiviert)

Falscher Facebook-Post II (archiviert)

Falscher Telegram-Post (archiviert)

Falscher X-Post II (archiviert)

Antrag des Abgeordneten Veldkamp (archiviert)

Caspar Veldkamp (archiviert)

Regierungsbildung Niederlande (archiviert)

Resolution des Europaparlaments (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Resolution

FAZ zu Mehrheitsentscheidungen (archiviert)

Forderung nach Grenzschließung (archiviert)

Artikel de Volkskrant (archiviert)

Schengenzone (archiviert)

Genfer Flüchtlingskonvention (archiviert)

BPB zu Opt-out (archiviert)

Geschichtliche Daten der EU-Integration (archiviert)

Gründungsverträge der EU (archiviert)

Opt-out-Klauseln (archiviert)

Dänische Ausnahmen von EU-Regeln (archiviert)

Länderprofil Dänemark (archiviert)

Artikel Politico (archiviert)

Polen und die Grundrechtecharta (archiviert)

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