Wien – Österreichs Grüne gehen mit der Klimaaktivistin und Kolumnistin Lena Schilling als Spitzenkandidatin in die EU-Wahl. Bundessprecher Werner Kogler präsentierte die 23-Jährige am Montag als seinen Vorschlag für den ersten Listenplatz. Die Wienerin dürfte in Österreich die einzige weibliche Spitzenkandidatin einer chancenreichen Partei bei der Wahl sein.
Bekannt wurde Schilling durch die Fridays-for-Future-Bewegung sowie im Rahmen der Besetzung der Baustelle für den Lobau-Tunnel. In den vergangenen Monaten war die parteipolitische Quereinsteigerin als Kolumnistin für die „Kronen Zeitung“ tätig, was sie nun aber beenden will.
Wie Bundessprecher Werner Kogler bei der Präsentation betonte, genieße Schilling die volle Unterstützung des Bundesvorstands und aller Länderspitzen seiner Partei. Sie sei eine der wichtigsten Stimmen für Klimaschutz und Jugend.
Schilling dankte Kogler für die „lieben Worte“ und das große Vertrauen, formulierte ein „herzliches Hallo“ und gestand ihre Aufregung ein: „Heute hier zu stehen macht mir ziemliches Herzpumpern ehrlich gesagt.“ Fünf Jahre lang sei sie mit ganzem Herzen als Klimaaktivistin aktiv gewesen, nun stelle sie sich einer neuen, großen Herausforderung: „Ich freue mich sehr, mich als grüne Spitzenkandidatin zu bewerben.“
Eine Aktivistin wolle sie aber bleiben: „Ich bin auch morgen nicht eine geschniegelte Politikerin.“ Es gehe nicht nur ums Klima, „meine Kandidatur ist auch eine Kampfansage gegen Rechts“. Sie stehe für ein klimagerechtes Europa, in dem Frauen und Männer gleich viel verdienten und wo für Hass und Hetze kein Platz sei.
Dass sie die Grünen in der Vergangenheit oft auch hart kritisiert hat, sah sie nicht als Hindernis für ihr Antreten. Vielmehr sei es ein gutes Zeichen, dass genau das möglich sei. Und: „Welche Partei steht mehr für Klimaschutz?“ Dass die Grünen eigentlich zunächst die Ministerinnen Leonore Gewessler oder Alma Zadić ins Rennen schicken wollten (was Kogler als „Gerücht“ abtat), stört Schilling nach eigenen Angaben nicht. „So eitel bin ich dann doch nicht“, meinte sie. Es sei eine extreme Ehre, mit 23 Jahren gefragt worden zu sein.
Vielleicht fehlende Expertise etwa in außenpolitischen Fragen will Schilling durch Teamarbeit in der grünen EU-Fraktion und durch Beiziehung von Experten ausgleichen. Lob hatte sie etwa für EU-Mandatar Thomas Waitz übrig, der sich für den zweiten Listenplatz bewerben will. Von Waitz kam in einer Aussendung umgehend positives Echo. Eine Spitzenkandidatur Schillings wäre eine absolute Bereicherung für das Europaparlament und die Grünen, meinte er: „Meine Unterstützung ist ihr sicher.“ Ihre künftige Position in der EU-Delegation ließ Schilling offen. Grünen-Parteimitglied will sie nicht werden.
Bei den Wahlzielen blieben die Grünen vage. Die Voraussetzungen seien bei der EU-Wahl 2019 sicher andere gewesen, aber man wolle die drei österreichischen EU-Mandate der Grünen jedenfalls verteidigen, meinte Kogler. (22.01.2024)
General Brieger schließt EU-Armee langfristig nicht aus
Wien/Brüssel – Der frühere österreichische Generalstabschef und Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, schließt eine EU-Armee langfristig nicht aus. Sollte Europa nach den US-Wahlen mehr verteidigungspolitische Verantwortung übernehmen müssen, kann sich Brieger eine Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO oder eine europäische Armee vorstellen, sagte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin „profil“ (Samstag). „Ich würde es generell für die fernere Zukunft nicht ausschließen.“
Je stärker die europäische Integration voranschreite – was mit der Abgabe von hoheitlichen Souveränitätsrechten verbunden sei-, desto stärker werde auch die Frage gemeinsamer Streitkräfte in den Vordergrund rücken. Aktuell zeigte sich Brieger jedoch zuversichtlich, dass die „Europäische Union ein Instrumentarium erhalten wird, um auch künftig die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten“. Er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die EU-Battlegroups zu einer raschen Eingreiftruppe mit 5.000 Mann ausgebaut werden und ab 2025 in erster Linie außerhalb Europas und komplementär zur NATO einsatzbereit sein sollten.
Für den Ausbau der Battlegroups brauche es jedoch höhere Verteidigungsbudgets sowie mehr ausgebildete Soldaten. Hier sieht er noch Mängel. Seiner Erfahrung nach wären die Kapazitäten, um 5.000 Mann bereitzustellen, „grundsätzlich sehr wohl vorhanden“, allerdings gebe es noch keine endgültige politische Einigung. „Wir versuchen Anreize zu schaffen, indem bestimmte Kosten wie für den Transport gemeinschaftlich getragen werden“, betonte der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, der auch erklärte, sich mit dem ungarischen Generalstabschef „ausgezeichnet“ zu verstehen.
Ein weiteres Problem ist, dass es in „Europa bedauerlicherweise eine Unzahl verschiedener Fahrzeuge, Flugzeuge und Waffensysteme“ gebe. „Wir arbeiten jetzt aber in die Richtung, diese Vielfalt zu verringern, dafür aber mehr gemeinsame Projekte und Beschaffungen zu forcieren. Auch wenn es teils noch Zukunftsmusik ist“, so der General.
Außerdem plädierte Brieger für die weitere Unterstützung der Ukraine. „Russland darf den Krieg nicht gewinnen.“ Brieger erläuterte: „Die Sicherheit der Ukraine ist aufs Engste mit der Sicherheit Europas verbunden.“ Eine russische Kontrolle über die Ukraine würde den russischen Einfluss um viele 100 Kilometer nach Westen verschieben und damit ein ähnliches Gefährdungspotenzial wie im Kalten Krieg herbeiführen. Im Baltikum sei die „russische Nachbarschaft deutlich spürbarer als in Brüssel“.
Sollte Europa angegriffen werden, würde „dann sowohl die Beistandspflicht des EU-Vertrags als auch des Artikels 5 der NATO, also die kollektive Verteidigung, angewandt werden“, erläuterte Brieger die rechtliche Situation. „Pragmatisch gesehen wäre wohl die NATO der primäre Akteur, weil sie über ein Führungssystem verfügt, das in diesem Umfang in der EU nicht – oder noch nicht – ausgebaut ist. In einem solchen Szenario hätte aber auch die EU Schutzaufgaben zu übernehmen, etwa im Bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen.“
Den Raketenschutzschirm „Sky Shield“ als europäische Initiative findet Brieger sinnvoll. Verständnis zeigte er für Frankreich, das „die verständlichen Bedenken hatte, sich anzuschließen, wenn sie ihre eigenen Technologien nicht anbieten kann.“ Die wesentlichen Komponenten stammen aus den USA, Israel und Deutschland. „Wenn man eine Möglichkeit gefunden hätte, um Frankreich einzubinden, dann hätte es vielleicht anders ausgesehen.“ Außerdem bekräftigte Brieger, dass Sky Shield mit der österreichischen Neutralität vereinbar sei, „solange die Entscheidung über einen Waffeneinsatz in österreichischer Hand bleibt.“ (20.01.2024)
Totschnig sieht EU nach deutschen Bauernprotesten gefordert
Wien/Berlin – Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) ruft die Europäische Union im Lichte der jüngsten Protestwelle deutscher Bäuerinnen und Bauern zum Kurswechsel auf. So sei der dort vorherrschende Unmut neben der Kürzung von Leistungen auch auf fehlende Wertschätzung sowie den Regelungsdruck aus Brüssel in Bezug auf die grüne Agrarwende zurückführen. „Der Green Deal bringt unsere Bauern an die Grenzen“, sagte der Minister bei der Grünen Woche in Berlin.
Für die deutschen Landwirte äußerte Totschnig Verständnis. „Wenn eine hart arbeitenden Berufsgruppe nicht die Wertschätzung bekommt, die sie verdient, und die Politik nicht die richtigen Rahmenbedingungen setzt, werden sie nicht nur in Deutschland protestieren“, so der Minister bei der Agrarmesse, die heute ihre Pforten für tausende Besucherinnen und Besucher aus aller Welt öffnet.
Totschnig beklagte die hohen Vorgaben der EU in Bezug auf Klimaschutz, Artenschutz und die Biodiversität, die auch österreichische Produzenten massiv beeinträchtigen würden. „Die EU hat sich von den vier Grundfreiheiten hin zu den zehntausenden Regulierungen entwickelt“, findet der Politiker. Alleine beim Green Deal seien es 136 Rechtsakte, 32 würden sein Agrarressort betreffen. Er appellierte in Richtung Brüssel, „zahlreiche überzogene Forderungen“ abzuändern. Man stehe zwar grundsätzlich hinter dem Green Deal, müsse diesen „im Sinne unserer ökosozialen Agrarpolitik“ jedoch praxistauglich gestalten.
Eine konkrete Gefahr, dass sich eine ähnliche Protestbewegung in Österreich formieren könnte, ortet Totschnig allerdings nicht. Denn im Gegensatz zu Deutschland seien die Bäuerinnen und Bauern hierzulande direkt in der Regierung vertreten. Und: „In Deutschland wird Dialog gefordert, in Österreich ist das gelebte Realität.“ (19.01.2024)
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