Berlin – Sie sind jung, politisch interessiert und begeistert von der rechtspopulistischen AfD: Bei der Europawahl haben deutlich mehr junge Wähler als 2019 ihr Kreuzchen bei der Partei gemacht, deren Spitzenkandidaten zuletzt vor allem durch Skandale aufgefallen waren. Auch die konservative Union konnte bei den 16- bis 24-Jährigen zulegen – im Gegensatz zu den einstigen Lieblingen der Jugend, den Grünen, und der FDP. Sind junge Wähler «rechter» als andere?
Elf Prozentpunkte mehr für die AfD
17 Prozent der teilnehmenden 16- bis 24-Jährigen in Deutschland wählten diesmal CDU oder CSU – bei der vorangegangenen Europawahl 2019 waren es noch 12 Prozent, ein Plus also von fünf Prozentpunkten. Für die AfD haben in der Altersgruppe 16 Prozent gestimmt – das sind sogar satte elf Punkte mehr.
Experte: Junge Menschen sind «grundfrustriert»
«Das hat mich gar nicht überrascht», sagt der deutsche Politikberater und Social-Media-Experte Martin Fuchs. Er nehme bei jungen Leuten schon länger eine «Grundfrustration» wahr. Das habe schon zu Zeiten der Finanzkrise begonnen und sich bis nach der Corona-Pandemie durchgezogen: Es seien immer die Jüngeren gewesen, für die «am wenigsten Politik gemacht» worden sei. Ein weiterer Grund sei der Umgang der deutschen Regierung mit Kriegen und Krisen. Der habe zu einer «maximalen Ernüchterung» auch von Anhängern progressiver Ideen geführt, analysiert Fuchs. Die AfD habe hier einfache Antworten zu bieten. «Populismus ist anschlussfähig – nicht nur bei jungen Leuten.»
«Struktureller Rassismus» helfe der AfD
Und dennoch bleibt die Frage: Warum wählt ein Teil der jungen Menschen dann nicht eher die Union und letztendlich doch die AfD – eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall und in drei Ländern sogar als gesichert rechtsextrem eingestuft wird? «Junge Menschen sind nicht unbedingt links-progressiv eingestellt, sondern haben auch teilweise ein vielleicht antisemitisches, rassistisches Weltbild», sagt Fuchs. Einigen sei die CDU «zu mittig» und «zu wenig nationalistisch». Die AfD habe es geschafft, das Potenzial von strukturellem Rassismus in Deutschland zu heben – dieser sei schon seit 20, 25 Jahren durch Studien belegt.
Experte: Absturz der Grünen auch durch Regierungsbeteiligung
Die schwerste Niederlage bei den Jüngeren mussten die Grünen einstecken: 23 Prozentpunkte Verlust seit der letzten Wahl. Nur noch elf Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 16 und 24 Jahren entschieden sich für die Partei, die einst neben der FDP als Magnet für junge Menschen galt und als Garant für gute Klimaschutzpolitik.
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas verweist zwar darauf, dass das Thema Klima in der medialen Wahrnehmung jüngst nicht mehr so präsent war wie beispielsweise Migration. Eine generelle «Klima-Müdigkeit» sieht er aber nicht. Die Europawahl habe vor allem eines gezeigt: «Keine Gruppe hat so heterogen gewählt wie die Gruppe junger Menschen.» Das zeige sich auch am Zuspruch zu Volt und anderen Kleinstparteien. In den westdeutschen Groß- und Universitätsstädten sei Volt mit einer progressiven Agenda verstärkt in die «Lücke gestoßen, die die Grünen hinterlassen haben», analysiert Faas. Seit der letzten Wahl 2019 habe die grüne Regierungsbeteiligung bei jungen Leuten teilweise Enttäuschung hervorgerufen. Debatten wie die um das «Heizungsgesetz» hätten «extrem polarisiert» und den Grünen geschadet. (10. Juni)
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