Am Wochenende haben die Wähler in der gesamten EU die 720 Mitglieder des Europäischen Parlaments gewählt.
Obwohl die etablierten Parteien der Mitte ihre Mehrheit im Europäischen Parlament behalten haben, konnten die rechtsextremen Parteien im gesamten Block eine Reihe aufsehenerregender Siege verbuchen. Nach Rekordergebnissen im Jahr 2019 haben die Liberalen und die Grünen Sitze verloren.
- Europäische Volkspartei (EVP): 186 Sitze, +10
- Sozialdemokraten (S&D): 135 Sitze, -4
- Liberale (Europa erneuern): 79 Sitze, -23
- Europäische Konservative und Reformisten (ECR): 73 Sitze, +4
- Fraktion Identität und Demokratie (ID): 58 Sitze, +9
- Grüne/Europäische Freie Allianz: 53 Sitze, -18
- Die Linke: 36 Sitze, -1
- Fraktionslose Mitglieder (NI): 45 Sitze, -17
- Neu gewählte Mitglieder, die bisher nicht zu einer Gruppe gehören: 55 Sitze
Information: Vorläufige Ergebnisse über das Europäische Parlament, 11/06/2024, 17:52 Uhr. Im Vergleich zum scheidenden Parlament.
„Die Demokratie ist lebendig,“ betonte die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, als sie in der Wahlnacht von der Bühne des als Pressesaal eingerichteten Plenarsaals des Parlaments zu mehr als 1.000 anwesenden Journalisten sprach.
Den Hochrechnungen zufolge liegt die Mehrheit, die sich aus der Mitte-Rechts-Partei EVP, den Sozialisten und der liberalen Erneuerungspartei zusammensetzt, bei etwa 400 Sitzen, was einen ziemlich deutlichen Vorsprung vor der Mindestschwelle von 360 Sitzen bedeutet. Theoretisch können diese drei Pro-EU-Parteien ohne Unterstützung anderer auskommen. Während der letzten Legislaturperiode wurde ihre Koalition „Ursula-Mehrheit“ genannt.
„Wir werden ein Bollwerk gegen die Extreme von links und rechts errichten,“ versprach die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, deren Europäische Volkspartei ihren Platz als stärkste Kraft sicherte. Sie selbst strebt eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin an.
Große Zugewinne für rechtsextreme Parteien in Deutschland und Frankreich; Meloni stark in Italien
Im Vorfeld der Wahlen war ein Rechtsruck in der europäischen Politik vorausgesagt worden. Nun zeigt sich, dass mehr Wähler als zuvor rechtsextremen Parteien ihre Stimme gegeben haben.
- Stärkste Kraft: Frankreich, (RN; 31,4%), Österreich (FPÖ, 25,4%), Italien (FdI, 28,8%), Ungarn (Fidesz, 44,8%), Belgien (VB, 22,94%)
- Zweitstärkste Kraft: Deutschland (AfD, 15,9%), Polen (PiS, 36,2%), Niederlande (PVV, 17,7%), Rumänien (AUR, 14,9%)
- Drittstärkste Kraft: Spanien (VOX; 9,6%), Portugal (Chega, 9,8%), Slowakei (Republika, 12,5%)
Information: Die Zahlen basieren auf den Zahlen des Europäischen Parlaments von dpa-Infocom, letzte Aktualisierung 12/06/2024, 9:43 Uhr. Die Zahlen für Belgien stammen von der IBZ.
In Italien, wo etwas weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, gewannen die rechtsextremen Partei Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni mit 28,8 Prozent der Stimmen. Die Partei der Ministerpräsidentin übertraf damit ihr nationales Wahlergebnis von 2022. Da hatte die FdI 26 Prozent der Stimmen bekommen, und Melonis Position sowohl im Inland als auch auf EU-Ebene gestärkt.
In Frankreich haben die Rechtsextremen das von Präsident Macrons Renaissance-Partei angeführte Bündnis massiv überholt. Mit 31,4 Prozent erzielte Marine Le Pens Rassemblement National (RN) ihr bisher bestes Ergebnis, im Vergleich zu 14.6 Prozent für Macrons zentristisches Bündnis unter Führung seiner Renaissance-Partei. Die Ergebnisse sind ein Schlag für Macron, der sich lange als Bollwerk gegen Rechtsextremismus in Europa dargestellt hat.
Der französische Präsident rief eine riskante nationale Parlamentswahl aus. Frankreich werde am 30. Juni eine neue Nationalversammlung wählen, mit einer zweiten Runde am 7. Juli, so Macron in einer Ansprache an die Nation.
Im Gegensatz zu Frankreich hat die deutsche Regierung die wegen der Verluste der Koalitionsparteien bei den Wahlen laut gewordenen Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen zurückgewiesen.
Die Partei des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz – bestehend aus seiner Partei, den Sozialdemokraten, sowie den Grünen und den Liberalen – erhielt zusammen weniger als ein Drittel der Stimmen (31 Prozent). Die Sozialdemokratische Partei hat ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) erhielt fast 16 Prozent der Stimmen und landete damit auf Platz zwei. Das Oppositionsbündnis CDU/CSU (Konservative) kam mit 30 Prozent auf den ersten Platz.
Auch in der Tschechischen Republik hat die Opposition gewonnen. Die ANO-Bewegung erhielt mehr als 26 Prozent der Stimmen. Der Sieg machte die Unzufriedenheit der Wähler mit ihrer derzeitigen Regierung bei einer Europawahl mit Rekordbeteiligung deutlich.
Verluste für rechtsextremen Parteien in Portugal und Schweden
Während rechtsextreme Parteien bei den Wahlen in einigen Ländern zulegen konnten – vor allem in Ländern wie den EU-Schlüsselakteuren Frankreich und Deutschland –, haben die Wahlergebnisse in Schweden und Portugal ihnen wiederum einen Dämpfer verpasst.
In Portugal bekam die rechtsextreme Chega-Partei 9,8 Prozent der Stimmen. Nachdem sie bei den Parlamentswahlen vor drei Monaten mit 18 Prozent für Furore gesorgt hatte, konnte sie das Ziel eines Wahlsiegs, das ihr Anführer im Wahlkampf umrissen hatte, nicht erreichen.
Die Schwedendemokraten (ECR) verloren zum ersten Mal seit ihrem nationalen Durchbruch vor 15 Jahren an Unterstützung und verzeichneten mit 13,2 Prozent einen Verlust von zwei Prozentpunkten. Die rechtsextreme Partei ist die zweitstärkste Kraft im schwedischen Parlament, erreichte aber in der EU-Abstimmung nur den vierten Platz. Einer der Gründe für ihr Abschneiden könnte darin liegen, dass sich die traditionellen Wähler der Schwedendemokraten nicht sonderlich für die Europawahlen interessieren.
Keine Einigkeit in den rechtsextremen Bewegungen: Gewichtung eingeschränkt
Obwohl alle einwanderungsfeindliche Einstellungen teilen, gibt es tiefe Gräben zwischen denjenigen, die Europas Rolle bei der Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen die russische Invasion aufrechterhalten wollen – wie Melonis Partei – und denjenigen, die das ablehnen, zu denen Le Pens RN gehört.
„Die Stimmen der extremen Rechten und der Rechtspopulisten können nicht addiert werden, da dies ihre direkte Gewichtung in der Legislative einschränken würde,“ sagte Sébastien Maillard vom Jacques-Delors-Institut der französischen Nachrichtenagentur AFP.
„Aber die braune (rechtsextreme) Welle, die vor allem in Frankreich zu beobachten ist, wird unweigerlich das politische Klima durchdringen, in dem die Kommission handeln wird, und die Mehrheit wird dies berücksichtigen müssen,“ fügte er hinzu.
Beteiligung: Wahlmüdigkeit als mögliche Ursache für geringe Beteiligung
Nach vorläufigen Zahlen des Europäischen Parlaments liegt die Wahlbeteiligung bei 51,01 Prozent und ist damit eine minimale Steigerung im Vergleich zu der Wahlbeteilung von 50.66 Prozent von 2019.
In einigen Mitgliedstaaten fanden zeitgleich mit den Europawahlen mehrere Wahlen oder Referenden statt – so etwa in Belgien oder Slowenien.
Die niedrigste Wahlbeteiligung wurde in Kroatien mit 21,34 Prozent verzeichnet, noch niedriger als die bereits niedrige Wahlbeteiligung von 29,85 Prozent im Jahr 2019. Litauen (28,35 Prozent) ist das einzige andere EU-Land mit einer Wahlbeteiligung von weniger als 30 Prozent.
Die niedrige Wahlbeteiligung in Kroatien wird auf die jüngsten Parlamentswahlen zurückgeführt, die wahrscheinlich dazu geführt haben, dass die Öffentlichkeit sowohl von den Wahlen als auch von den jeweiligen Kampagnen genervt ist. Darüber hinaus hält man dort die Europawahlen für weniger wichtig als die Wahlen auf nationaler Ebene.
In Bulgarien, wo die Wahlbeteiligung ebenfalls niedrig war (33,79 Prozent), wurden gleichzeitig die Mitglieder des Europäischen sowie des nationalen Parlaments gewählt – zum sechsten Mal innerhalb von drei Jahren.
Ingrid Shikova, Professorin für EU-Politik an der St.-Kliment-Ohridski-Universität in Sofia, erklärte gegenüber der bulgarischen Nachrichtenagentur BTA, dass es bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Bulgarien keine großen Überraschungen gegeben habe. „Die Tatsache, dass die nationalen und europäischen Wahlen gleichzeitig stattfanden, hat dazu geführt, dass unsere nationalen Probleme irgendwie die europäischen überschattet haben,“ sagte sie.
In Slowenien hingegen lag die Wahlbeteiligung bei über 41 Prozent, was zwölf Prozentpunkte höher ist als 2019 und die höchste Wahlbeteiligung seit 2004 bedeutet. Die gleichzeitige Abstimmung in drei konsultativen Referenden – zur Sterbehilfe, zur Vorzugsstimme bei den Parlamentswahlen und zum Cannabiskonsum – hat wahrscheinlich zur Wahlbeteiligung beigetragen.
In Belgien, wo gleichzeitig auf föderaler, regionaler und europäischer Ebene gewählt wurde und eine Wahlpflicht besteht, war die Wahlbeteiligung mit 89,82 Prozent die höchste in den 27 EU-Staaten.
Die EU stellt ein: Was jetzt ansteht
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden am 17. Juni zu einem informellen Abendessen in Brüssel zusammenkommen. Dann und dort werden sie zum ersten Mal über die Verteilung der Spitzenämter der EU – die Präsidentschaft der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments sowie des Hohen Vertreters der EU für Außenpolitik – diskutieren.
Am 27. und 28. Juni werden die Staats- und Regierungschefs der EU dann ein zweitägiges Gipfeltreffen abhalten, mit dem Ziel eine Einigung über die Verteilung der oben genannten Posten zu erreichen.
Dieser Artikel wird wöchentlich veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.