Ungarn wird nach Belgien nun bis Ende 2024 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehaben. Das Land unter dem ultranationalistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist dafür bekannt, dass es immer wieder EU-Beschlüsse blockiert, und wird daher während der gesamten Präsidentschaft genau beobachtet werden.
Während jedes Mitgliedsland sonst stets mit aller Kraft für seine eigenen Interessen kämpft, sollte bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft die eigene Politik beiseite gelassen und eine neutralere Rolle eingenommen werden.
Auf einer Pressekonferenz am 18. Juni in Budapest betonte der ungarische Minister für europäische Angelegenheiten, János Bóka, dass Ungarn „ein ehrlicher Vermittler“ sein werde.
Rückblick: Was hat die Belgien in den letzten sechs Monaten erreicht?
Wenn ein Land den Ratsvorsitz übernimmt, während die Europawahlen anstehen – wie es bei Belgien der Fall war –, gibt es ein klares übergeordnetes Ziel: so viele Gesetzgebungsvorhaben wie möglich abzuschließen.
Als sich das Europäische Parlament Ende April auflöste, gab es für mehr als 60 Dossiers grünes Licht. Dazu gehörten der neue Asyl- und Migrationspakt und das Paket zur haushaltspolitischen Überwachung. Erwähnenswert ist, dass einige Dossiers bereits von der vorangegangenen spanischen Präsidentschaft erfolgreich verhandelt worden waren.
Nach den Wahlen vom 6. bis 9. Juni – und mit unerwarteter Hilfe der österreichischen Umweltministerin Leonore Gewessler – gelang es dem belgischen Ratsvorsitz, die erforderliche Mehrheit für die Verabschiedung des Renaturierungsgesetz zu finden. Das Gesetz hatte im Mittelpunkt langer und hitziger Debatten auf europäischer und nationaler Ebene gestanden.
Die bevorstehende ungarische Ratspräsidentschaft trug angesichts der bekannten Haltung Ungarns innerhalb der EU ebenfalls zu dem gesetzgeberischen Druck bei. Während der belgischen Ratspräsidentschaft gelang es Belgien, einen Konsens über neue Finanzhilfen zu finden, auch durch Gewinne aus eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank. Außerdem haben in dieser Woche die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine begonnen. Verabschiedet wurden darüber hinaus das 13. und 14. Sanktionspaket gegen Russland. Letzteres am vergangenen Montag – es zielt erstmals auf Russlands milliardenschweren Flüssiggas-Sektor (LNG) ab.
„Make Europe Great Again“ – Ungarns Motto für die Ratspräsidentschaft
Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán übernimmt die rotierende und halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft unter dem umstrittenen Motto „Make Europe Great Again“, fast derselbe Slogan, mit dem der ehemalige US-Präsident Donald Trump bei den Wahlen 2016 triumphierte.
„Europa befindet sich in einer Ausnahmesituation, mit Problemen wie einem Krieg in der Nachbarschaft oder dem Thema Einwanderung,“ sagte der ungarische Europaminister János Bóka und versprach, dass während der Präsidentschaftszeit sein Landes als „ein ehrlicher Vermittler“ fungieren werde.
Das betonte auch der Ständige Vertreter Ungarns bei der EU, Bálint Ódor, bei der Vorstellung der Prioritäten der Präsidentschaft vor der europäischen Presse. „Es wird eine Präsidentschaft wie jede andere sein. Wir werden ein ehrlicher Vermittler sein. Wir werden versuchen, aufrichtig mit den Ländern und Institutionen der EU zusammenzuarbeiten.“
EU-Politiker, die seit langem an Blockaden aus Budapest gewöhnt sind, sehen die Gefahr, dass Ungarn das EU-System verstopft, gelassen und sagen, dass sie bereits Wege gefunden haben, um ein widerspenstiges Budapest notfalls zu umgehen. Das Land übernimmt nun die Zügel kurz nach den EU-Wahlen, was bedeutet, dass ein Großteil der nächsten sechs Monate davon bestimmt sein wird, ein neues Europäisches Parlament und eine neue Europäische Kommission einzurichten.
Die Präsidentschaft habe laut Diplomaten nur begrenzte Macht. Wenn andere Länder ein Thema diskutieren wollen, können sie die Präsidentschaft überstimmen und es selbst auf die Tagesordnung setzen. „Selbst wenn die Präsidentschaft nicht einverstanden ist, kann man die Agenda beeinflussen,“ sagte ein hochrangiger Diplomat. „Ich habe also keine Angst vor Ungarn.“
Sieben Prioritäten für die nächsten sechs Monate
Ungarn hat sieben Prioritäten für seine Präsidentschaft festgelegt: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, gemeinsame Verteidigung und Schutz der Außengrenzen, Vorantreiben der EU-Erweiterung und Förderung der Kohäsionspolitik, Landwirtschaft sowie das Angehen demografischer Probleme.
Außerdem erwartet Ungarn Fortschritte bei der Aufhebung der Schengen-Kontrollen an den Landgrenzen für Bulgarien und Rumänien sowie bei der Bekämpfung des Antisemitismus. Das Land möchte auch die Diskussionen über Themen im Zusammenhang mit der Hochschulbildung und dem Schutz von kulturellem Erbe vorantreiben.
Eines der Hauptthemen der Präsidentschaft wird die EU-Erweiterung sein, mit Blick auf den westlichen Balkan und nicht auf die Ukraine. „Was den westlichen Balkan betrifft, so möchten wir so viele Fortschritte wie möglich erzielen. Unser Ziel ist es, so viele Verhandlungscluster wie möglich zu eröffnen und zu schließen. Wir müssen diesen Prozess beschleunigen,“ sagte Ódor in einem Gespräch mit Korrespondenten in Brüssel.
Der ungarische Ratsvorsitz möchte ein Gipfeltreffen in der Region zwischen der EU und den Ländern des westlichen Balkans – Serbien, Kosovo, Albanien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina und Montenegro – abhalten. Alle Länder haben einen Beitrittskandidaten-Status, mit Ausnahme des Kosovo, der diesen jedoch auch beantragt hat.
Derzeit hat die EU Beitrittsverhandlungen mit Serbien, Albanien, Nordmazedonien und Montenegro aufgenommen. Im März 2024 stimmte die Union bedingt zu, formelle Gespräche mit Bosnien und Herzegowina über einen Beitritt zur Europäischen Union aufzunehmen.
Dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto zufolge besteht das Ziel Ungarns in der ersten Hälfte seiner Präsidentschaft darin, Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen und erste Regierungskonferenzen zu führen.
Szijjarto wies weiter darauf hin, dass es im Europäischen Parlament Mitgliedstaaten gebe, die öffentlich die Erweiterung unterstützten, aber hinter verschlossenen Türen anders reden würden. Außerdem forderte er alle ungarischen Diplomaten auf, sich aktiv für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina einzusetzen.
Der Weg der Ukraine in die EU wird voraussichtlich steiniger werden
Europäische Beamte und Diplomaten befürchten, dass die Unterstützung der EU für die Ukraine, die sich nach der Invasion von Wladimir Putins Armee im Krieg mit Russland befindet, unter der sechsmonatigen ungarischen Ratspräsidentschaft leiden könnte.
Nach Angaben des Ständigen Vertreters Ungarns bei der EU, Bálint Ódor, wird Ungarn die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien nicht unterstützen. Budapest – der engste Verbündete Russlands in der EU – hat wiederholt Sanktionen gegen Moskau wegen des Krieges hinausgezögert. In den vergangenen Jahren hat es die Auszahlung von EU-Geldern für die Bewaffnung der Ukraine blockiert.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.