Eine robustere Rechtsstaatlichkeit und eine bessere Vorbereitung auf Herausforderungen brauche es – so lautet das Fazit des am Mittwoch veröffentlichten Rechtsstaatlichkeitsberichts 2024 der Europäischen Kommission, der die diesbezüglichen Entwicklungen in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union bewertet.
„Die Mitgliedstaaten und die EU als Ganzes sind viel besser darauf vorbereitet, neue Herausforderungen zu erkennen, zu verhindern und zu bewältigen,“ heißt es in einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission.
Der Gesamtbericht zur Rechtsstaatlichkeit stellt fest, dass 68 Prozent der von der Kommission in ihrem letztjährigen Dokument empfohlenen Änderungen in allen untersuchten Ländern vollständig oder teilweise umgesetzt worden seien.
In einigen Ländern – vor allem in Ungarn – hätten die Probleme jedoch Bestand oder sich sogar verschlechtert. Laut der Europäischen Kommission ist die Medienfreiheit in mehreren EU-Ländern weiterhin gefährdet.
„Der diesjährige Bericht zeigt, dass die Mitgliedstaaten die Rechtsstaatlichkeit nicht zuletzt durch die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission verbessert und gestärkt haben. Leider gibt es in mehreren Mitgliedstaaten in verschiedenen Kategorien noch Bedenken,“ so Věra Jourová, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für Werte und Transparenz, die den Bericht am Mittwoch gemeinsam mit ihrem Kollegen, EU-Justizkommissar Didier Reynders, vorgestellt hat.
Der Bericht wird seit 2020 jährlich veröffentlicht und dient der Überprüfung der Regierungsstandards in der Europäischen Union, des Korruptionsschutzes, der Bedingungen für die Zivilgesellschaft und des Zustands der Medienfreiheit. Er hat eine präventive Funktion und soll dazu beitragen, Probleme im Bereich der Rechtsstaatlichkeit frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, indem er die Situation in der EU insgesamt und in ihren Mitgliedstaaten bewertet. Der Bericht enthält auch Empfehlungen, die nicht verbindlich sind.
Zum ersten Mal finden auch die EU-Beitrittskandidatenländer Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien in dem Bericht Beachtung.
Besonders vernichtende Noten für Ungarn
Ungarn erfülle die demokratischen Standards der EU bei weitem nicht, insbesondere was Korruption, Bestechung, politische Finanzierung, Interessenkonflikte und mangelnde Unabhängigkeit der Medien betrifft. Das geht aus der am Mittwoch veröffentlichten Bewertung der Europäischen Kommission hervor und unterstreicht die wachsende Kluft zwischen Brüssel und Budapest.
„Ungarn ist für die Kommission in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit ein echtes Systemproblem,“ so Didier Reynders bei der Vorstellung des Berichts auf einer Pressekonferenz.
Das Land hat minimale bis gar keine Fortschritte bei den im letzten EU-Jahresbericht festgestellten Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gemacht, und die Kommission hat die Zahl der empfohlenen Abhilfemaßnahmen für Ungarn auf acht erhöht – eine mehr als im letzten Jahr.
„Das ist ein absoluter Rekord für den Rechtsstaatlichkeitsbericht, denke ich,“ sagte ein EU-Beamter, der nicht namentlich genannt werden wollte.
Ungarn, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hat seine EU-Partner mit einer Reihe von Themen verärgert, darunter vermeintliche demokratische Rückschritte in vielen innenpolitischen Bereichen, die Schurkendiplomatie des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Moskau und die Verzögerung der Hilfe für die Ukraine.
In Ungarn seien der Medienpluralismus und die Medienfreiheit bedroht. Insbesondere die Zusammensetzung der Medienaufsichtsbehörde und die mangelnde Transparenz in Bezug auf staatliche Werbung und Medieneigentum stellten ein Problem dar.
Die Korruption im öffentlichen Sektor Ungarns ist nach Ansicht von Experten und Unternehmen „nach wie vor hoch“, wobei vor allem Korruption auf hoher Ebene von den Staatsanwälten nicht aufgedeckt werde, so der Bericht. Transparenzmängel bei der Parteien- und Wahlkampffinanzierung „bleiben unbehandelt“, heißt es in dem Bericht weiter.
Zu den acht Reformen, zu denen die Kommission Ungarn aufforderte, gehören auch Verbesserungen des Justizsystems, eine stärkere Überwachung der Lobbyarbeit und der Unabhängigkeit der Medienaufsicht sowie die Beseitigung von Hindernissen für Organisationen der Zivilgesellschaft.
Für die Regierung des rechtspopulistischen Orbán ist der Bericht besonders problematisch, weil EU-Mittel in Milliardenhöhe wegen der Defizite in der Rechtsstaatlichkeit eingefroren wurden. Im vergangenen Jahr ist nach einer Reihe von Justizreformen nur ein Teilbetrag freigegeben worden.
Medienfreiheit in der gesamten EU muss vor schleichenden Bedrohungen geschützt werden
Die Arbeitsbedingungen für Journalisten und „die mangelnde Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien in mehreren Ländern geben weiterhin Anlass zur Sorge“, so die Kommission.
In der Slowakei gebe die Auflösung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt der Slowakei (RTVS) im Juli, um eine neue Medienorganisation (Slowakisches Fernsehen und Radio, STVR) gründen zu können, Anlass zur Sorge über die künftige Unabhängigkeit der neuen Sendeanstalt.
Obwohl das Land einiges zur Verbesserung der Sicherheit von Journalisten beigetragen habe, sieht die Kommission weiteren Bedarf an Fortschritten – auch im Hinblick auf die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlichen Medien und die Stärkung des unabhängigen Managements.
In Italien sei die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RAI in Sachen Führung und Finanzierung „seit langem Anlass besorgniserregend“. Eine umfassende Reform sei notwendig, „um sicherzustellen, dass die RAI besser vor der Gefahr politischer Einmischung geschützt ist“, sagte die Kommission und verwies auf Beiträge von Medienorganisationen in Italien.
Auch in Bezug auf Transparenz in Sachen Eigentumsverhältnisse in der Medienbranche seien keine Fortschritte zu verzeichnen, so die Kommission, die gleichzeitig betonte, dass sich auch beim Verleumdungsrecht des Landes keine Verbesserungen eingestellt hätten. Todesdrohungen, körperliche Angriffe und Einschüchterungen gegenüber Journalisten „geben weiterhin Anlass zur Sorge um die Sicherheit der Journalisten in Italien“, so die Kommission. Sie forderte die Regierung auf, den Prozess der Verleumdungsgesetz-Reform – Verleumdung stellt in Italien eine Straftat dar –, fortzusetzen und die Freiheitsstrafe für die Verleumdung von Journalisten abzuschaffen.
Auch die Frage der redaktionellen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Rumänien und Malta sei noch nicht geklärt, so die Kommission. In Bulgarien bestünden weiterhin Bedenken hinsichtlich der Transparenz des Medieneigentums.
Im Falle Kroatiens wurden im Bericht der Kommission mangelnde Fortschritte bei der Transparenz der staatlichen Werbung in den Medien festgestellt.
Im Nachbarland Slowenien wurden seit dem letzten Bericht einige Verbesserungen beim Schutz von Journalisten erreicht, aber es wird noch erwartet, dass bestimmte Schutzmaßnahmen in das derzeit entstehende neue Mediengesetz aufgenommen werden, so der Bericht.
Die Kommission erklärte, dass „das neue Verwaltungsmodell zwar zur Verbesserung der Unabhängigkeit von RTV Slovenija beigetragen hat, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt jedoch mit einer Finanzkrise konfrontiert ist und Änderungen bei der Förderung erforderlich sind, um angemessene Ressourcen zu gewährleisten“.
In Bezug auf die niederländische Medienlandschaft stellt die Europäische Kommission fest, dass die Niederlande die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterhin unterstützen und die Bedingungen für die öffentlich-rechtlichen Medien verbessern müssen, um „journalistische Standards zu wahren“.
Die laufenden Versuche, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu reformieren, geben Anlass zur Sorge, ebenso wie der Trend, dass Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten allmählich zu einer immer kleineren Anzahl von Medienunternehmen gehören.
Während die Menschen in Deutschland gut vor staatlicher Willkür geschützt sind, fordert der Bericht Fortschritte bei einem Konzept für das Informationsrecht der Presse gegenüber den Bundesbehörden.
Um die Medienfreiheit in der gesamten EU vor schleichenden Bedrohungen zu schützen, verabschiedete die EU den Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit, der am 8. August 2025 in Kraft treten soll und der EU-weite rechtliche Garantien für die redaktionelle Unabhängigkeit und den Schutz journalistischer Quellen festlegt.
Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung und der Stärkung des Justizwesens, aber es muss noch mehr getan werden
Die spanische Regierung ist der Ansicht, dass der Bericht zur Rechtsstaatlichkeit die Fortschritte in Spanien nach der Verabschiedung des Amnestiegesetzes und der Einigung über die Erneuerung des Allgemeinen Rates für das Justizwesen (CGPJ) als „großen Erfolg“ darstelle.
Im Bericht zeigt sich die EU aber auch „besorgt“ über das Vorgehen einiger Regionalregierungen, wie zum Beispiel die der Balearen, die ihr Amt für Korruptionsbekämpfung geschlossen habe, oder die Valencias, die den Haushalt seines Amtes für Betrugsbekämpfung gekürzt habe.
Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit untersuchte auch den Grad der wahrgenommenen Unabhängigkeit der Justiz. Einige Länder – Österreich, Dänemark, Finnland, Irland, Luxemburg und Schweden – erreichten mit Ergebnissen von über 75 Prozent sehr hohe Werte. Polen, Bulgarien und Kroatien schnitten mit weniger als 30 Prozent schlecht ab.
Polen hob sich jedoch positiver ab bevor. Die Europäische Kommission hat im Mai dieses Jahres bekannt gegeben, dass die „Bedingungen für die Aufrechterhaltung des Verfahrens [nach Artikel 7] nicht mehr gegeben“ seien.
Kroatien habe einige Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung gemacht, und erhebliche Fortschritte bei der Höhe der Vergütung von Richtern und Staatsanwälten.
Für Deutschland sieht die Kommission die derzeitige Vergütung von Richtern und Staatsanwälten als Risiko an und empfiehlt Maßnahmen zur Gewährleistung eines angemessenen Entgeltniveaus. Der Bericht empfiehlt auch, den Zeitraum zu verlängern, in dem Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht in den Lobbyabteilungen von Unternehmen oder Organisationen arbeiten dürfen.
Portugal habe zwar einige Fortschritte bei der Anpassung des Personalmanagements an das Justizsystem gemacht, aber die Kommission empfahl eine Erhöhung der Zahl der Justizbediensteten – insbesondere der Gerichtsbediensteten –, um die Effizienz der Verfahren vor allem bei der Korruptionsbekämpfung zu verbessern.
Auch die Niederlande erhielten Empfehlungen zur Bewältigung der Arbeitsbelastung und des Personalmangels in den Justizbehörden.
In Bezug auf Bulgarien wurden in dem Bericht der Beginn der Überarbeitung der bestehenden Korruptionsbekämpfungsstrategie und positive Schritte zur Verbesserung des Zugangs zu Informationen aus öffentlichen Behörden anerkannt. Die Kommission wies auch darauf hin, dass im vergangenen Jahr eine umfassende Verfassungsreform verabschiedet worden sei, um die Unabhängigkeit der Justiz zu verbessern und damit seit langem bestehende Bedenken auszuräumen. Zwar seien die Regeln für die Gesetzgebung verbessert worden, doch gebe es nach wie vor Probleme bei der Umsetzung und Bedenken hinsichtlich der Qualität des Gesetzgebungsverfahrens.
Erstmals wurden Beitrittskandidatenländer miteinbezogen
Zum ersten Mal untersuchte die Europäische Kommission auch die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in einigen der „fortgeschrittensten“ Beitrittskandidaten, ohne jedoch Empfehlungen auszusprechen, wie sie im Erweiterungsbericht formuliert werden. Die EU-Exekutive ist der Ansicht, dass dies die Reformbemühungen der Länder unterstützen könne und somit ihre Fortschritte auf ihrem europäischen Weg fördere.
In Bezug auf Serbien werden in dem Bericht die umfangreichen Reformen erwähnt, die das Land in den letzten Jahren durchgeführt habe, und es wird auf die laufende Verfassungsreform hingewiesen, die die Unabhängigkeit der Justiz stärken solle.
Gleichzeitig wird in dem Bericht auch festgestellt, dass der politische Druck auf die Justiz und die Staatsanwaltschaft nach wie vor hoch sei und es Mängel bei der Finanzierung der politischen Parteien gebe.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.