Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat am Mittwoch einen Gesetzesvorschlag angekündigt, mit dem sie eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne einführen will. Die EU kämpft mit steigenden Gas- und Strompreisen, die Wirtschaft und Haushalte bedrohen.
Aus der Abgabe könnten den EU-Mitgliedsstaaten mehr als 140 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um Familien und Unternehmen in Not zu unterstützen, sagte sie in ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union vor dem EU-Parlament in Straßburg.
„In diesen Zeiten müssen die Gewinne geteilt werden und denjenigen zugutekommen, die sie am meisten brauchen“, sagte von der Leyen.
Von der Leyens Plan, der noch von den EU-Hauptstädten gebilligt werden muss, konzentriert sich auf zwei Maßnahmen: die Begrenzung der Einnahmen von Stromerzeugern und die Erhebung eines Krisenbeitrags von fossilen Brennstoffunternehmen.
Die erste Maßnahme soll für diejenigen Stromerzeuger gelten, die Elektrizität nicht durch Gas herstellen – inklusive erneuerbarer Energiequellen, die in den letzten Monaten überproportional von den hohen Preisen profitiert haben. Die zweite Maßnahme, eine Krisenabgabe, richtet sich an die Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft, die derzeit Übergewinne machen.
Weitere Schritte, die von der Leyen vorschlägt, sind die Rationierung von Energie, zeitlich begrenzte staatliche Beihilfen und die Entkopplung der Preise für Gas und Strom. Die Europäische Kommission hat den Detailvorschlag am Mittwoch vorgestellt.
Noch keine beschlossene Sache
„Ich bin sehr froh, dass endlich beschlossen wurde, das Stromsystem zu reformieren, so dass der Gaspreis nicht zu bestimmten Zeiten den Preis für den gesamten Strom bestimmt. Wir müssen jetzt dringend Maßnahmen ergreifen“, sagte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, gegenüber der EFE, nach der Debatte in Straßburg.
Die am Mittwoch vorgeschlagenen Maßnahmen, werden nun von den Mitgliedstaaten geprüft und möglicherweise geändert, bevor sie in Kraft treten können. Die EU-Energieminister sollen sich am 30. September erneut treffen.
Keine Preisobergrenze für russische Gasimporte
Zu den im Vorfeld der Rede von der Leyens diskutierten energiepolitischen Maßnahmen gehörte unter anderem eine Preisobergrenze für aus Russland importiertes Gas. Borrell erinnerte daran, dass dafür „die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten erforderlich ist“.
„Die Präsidentin hat das nicht vorgeschlagen. Sie hat darüber gesprochen, aber sie hat es nicht formell vorgeschlagen, weil sie die bestehenden politischen Schwierigkeiten kennt“, so Borrell.
Die EU-Länder hüten sich davor, der Kommission zu viel Macht über ihre nationalen Energiepolitiken zu geben, obwohl sie bereits in ein EU-weites Vorhaben in Richtung erneuerbarer Energien als Teil einer kohlenstoffneutralen Zukunft eingebunden sind.
Borrell erinnerte daran, dass die EU ihre Abhängigkeit von russischem Gas bereits reduziert hat, „von 40 Prozent unserer Importe vor dem Krieg auf weniger als 10 Prozent jetzt“.
Ukraine: Schwierige Zeiten stehen bevor
Von der Leyen warnte vor schwierigen Zeiten und verwies auf die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine.
„Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht», sagte sie. „Weder für Familien, die nur schwer über die Runden kommen, noch für Unternehmen, die schwierige Zukunftsentscheidungen treffen müssen.“
„Lassen Sie es uns ganz klar sagen. Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa und die Welt im Allgemeinen“,
fügte von der Leyen hinzu.
„Dies ist nicht nur ein Krieg, der von Russland gegen die Ukraine entfesselt wird. Es ist auch ein Krieg um unsere Energie, ein Krieg um unsere Wirtschaft, ein Krieg um unsere Werte, ein Krieg um unsere Zukunft“, sagte von der Leyen.
Von der Leyen reist in die Ukraine
In Anwesenheit der ukrainischen First Lady Olena Selenska und in Blau und Gelb – den Farben der ukrainischen Flagge – gekleidet, kündigte von der Leyen an, dass sie später am Mittwoch nach Kiew reisen werde. Nach ihrer Rede brach sie zu ihrer dritten Kiew-Reise seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine auf.
Dort wollte die Kommissionspräsidentin mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über die Integration der Ukraine in den Binnenmarkt der Europäischen Union sprechen. Der europäische Binnenmarkt garantiert den freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen. Von der Leyen schlug außerdem vor, die Ukraine in die Roaming-Zone der EU für Nutzer von Mobilfunkgeräten aufzunehmen.
Vorschlag für flexiblere Haushaltsregeln im Oktober
Die Kommissionspräsidentin unterstützt zudem die Forderung nach einer flexibleren Gestaltung der gemeinsamen Haushaltsregeln der EU. Die strengen Regeln der EU für Haushaltsdisziplin und Haushaltsdefizite sind bis 2024 ausgesetzt, seit die Covid-19-Pandemie selbst sparsame Länder wie Deutschland dazu veranlasst hat, sich in großem Umfang zu verschulden.
Von der Leyen sagte, dass die für Oktober angekündigten neuen Regeln notwendige Investitionen in den „Übergang zu einer digitalen und klimaneutrale Wirtschaft“ ermöglichen und gleichzeitig den EU-Hauptstädten Eigenverantwortung bei dem Abbau von Staatsschulden lassen soll.
Schutzschild gegen „bösartige Einmischung“
In ihrer Rede stellte von der Leyen ein Verteidigungspaket für die Demokratie, vor um „uns besser vor bösartiger Einmischung zu schützen“. „Es soll verdeckte ausländische Einflussnahme und dubiose Finanzierungen ans Licht bringen. Wir werden es nicht zulassen, dass die trojanischen Pferde einer Autokratie unsere Demokratien von innen angreifen“, sagte sie.
Ihre Ankündigung erfolgte zu einem Zeitpunkt, als ein Bericht des US-Geheimdienstes über die russische Finanzierung ausländischer politischer Parteien den Wahlkampf für die italienischen Parlamentswahlen am 25. September erschütterte. Dem Bericht zufolge hat Russland seit 2014 über 300 Millionen Dollar (300,54 Millionen Euro) an ausländische Parteien, Beamte und Politiker in mehr als 20 Ländern gezahlt.
„Der US-Geheimdienstbericht zeigt, wie Russlands Einfluss auf die westliche Politik auf verschiedenen Ebenen und in weitreichender Weise funktioniert, bis hin zur Finanzierung einiger politischer Parteien“, sagte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Pina Picierno, und rief dazu auf, „wachsam zu sein“, da „Putin Demokratien und die freie Welt destabilisieren will, indem er einige politische Parteien direkt unterstützt“.
„Wir müssen der ständigen russischen Einmischung in unseren Demokratien entschlossen entgegentreten, denn der Kampf der Ukrainer ist unser Kampf, ihr Sieg gegen Putin wird unser Sieg sein“, kommentierte der Europaabgeordnete und EDP-Generalsekretär Sandro Gozi die Rede.
Versprechen, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen
In Anspielung auf den andauernden Streit der Kommission mit Ungarn und Polen sagte von der Leyen, es sei „Pflicht und vornehmste Aufgabe der Kommission, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen“.
„Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass wir weiterhin auf die Unabhängigkeit der Justiz pochen werden“, sagte sie.
Lob und Kritik für die Pläne
Die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden im Parlament begrüßte die Vorschläge, um die Energiekrise zu überkommen, in ihren Reaktionen auf von der Leyens Rede. Manfred Weber, Vorsitzender der stärksten EVP-Fraktion, sprach Ursula von der Leyen seine „volle Unterstützung“ für den Inhalt der Pläne aus, kritisierte aber das Verfahren und appellierte daran, das EU-Parlament in den Entscheidungsprozess stärker miteinzubeziehen. Die Sozialdemokraten kritisierten das Fehlen sozialer Aspekte in der Rede. Die Vorsitzende der S&D-Fraktion Iratxe Garcia Perez schrieb auf Twitter: „Wir haben schöne Worte von Ursula von der Leyen gehört, aber die soziale Dimension wurde vernachlässigt.“ Auch die Linke äußerte sich kritisch nach der Rede. Co-Vorsitzender Martin Schirdewan sagte der dpa, Ursula von der Leyen habe „mehr als deutlich unter Beweis gestellt, dass ihr zu Lebzeiten der Titel ‚Ankündigungsweltmeisterin‘ nicht mehr zu nehmen sein wird.“
Der slowenische Infrastrukturminister Bojan Kumer begrüßte die jüngsten von Ursula von der Leyen angekündigten Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise. Kumer sagte am Mittwochabend gegenüber RTV Slovenija, dass die Solidarität unter den EU-Mitgliedern deutlich zum Ausdruck gekommen sei, „insbesondere auf dem Energiemarkt“, und stellte fest, dass eine gemeinsame europäische Lösung weitaus besser sei als 27 verschiedene nationale Lösungen. Er befürwortete die Maßnahmen zur Senkung der Strompreise, die von der Leyen erwähnte. Er erklärte, dass der Vorschlag in den kommenden Tagen sorgfältig geprüft werde. Auf den ersten Blick scheine er eine Reihe von Lösungen zu enthalten, die auch von Slowenien befürwortet würden, fügte er hinzu.
Die slowenischen Europaabgeordneten sind der Meinung, dass es Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelungen ist, in ihrer Rede zur Lage der Union am Mittwoch die wichtigsten Herausforderungen für die Union zu nennen. Sie sind jedoch der Meinung, dass sie eine Reihe von wichtigen Themen ausgelassen habe, insbesondere konkrete kurzfristige Maßnahmen, um den Menschen zu helfen, die Wirtschafts- und Energiekrise zu überwinden.
Warten auf die Pläne
Der rumänische Ministerpräsident Nicolae Ciucă hatte zuvor erklärt, dass die Regierung durch die vorgeschlagenen Änderungen einer Verordnung (OUG 27/2022) die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und der Wirtschaft vor den Preissteigerungen bei Strom und Erdgas konsolidieren und ausweiten will. Er kündigte an, dass die derzeit in Rumänien bestehende Regelung zur Deckelung und Kompensation von Rechnungen bis zum 31. März 2023 in Kraft bleiben werde und die Überbesteuerung nicht nur für die Erzeuger, sondern für die gesamte Energiekette gelte, um spekulatives Verhalten auf dem Strom- und Erdgasmarkt zu unterbinden.
Gleichzeitig betonte er, dass Bukarest bereit sei, entsprechend der auf EU-Ebene getroffenen Entscheidungen die notwendige Flexibilität zu zeigen, um die Maßnahmen anzupassen.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.