Am 30. Oktober hat die Europäische Kommission die Erweiterungsberichte 2024 angenommen, die eine detaillierte Bewertung der Fortschritte der Länder, die der Europäischen Union beitreten wollen, enthalten. Die Berichte befassen sich mit den Fortschritten Georgiens, der Republik Moldau, der Ukraine, der Türkei und der westlichen Balkanländer (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien) auf ihrem Weg in die EU.
Die Bewertungen werden begleitet von Empfehlungen und Hinweisen zu den Reformen, die jedes Land vorrangig durchführen muss, um bei den Beitrittsverhandlungen voranzukommen.
Ende Oktober reiste die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu einer viertägigen Reise in die Länder des westlichen Balkans und besuchte sechs Staaten, die der EU beitreten wollen – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien.
Von der Leyen versprach, dass die EU-Erweiterung ganz oben auf der Tagesordnung in Brüssel stehen werde. “Seien Sie versichert, dass die Erweiterung auch in meiner nächsten Amtszeit oberste Priorität haben wird”, sagte von der Leyen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem albanischen Premierminister Edi Rama in Tirana.
Die Diskussionen über die EU-Erweiterung in der Region mit ihren rund 16,6 Millionen Einwohnern reichen 20 Jahre zurück, und Brüssel hat in dieser Zeit immer wieder heftige Kritik geäußert.
Ob der neue Präsident des Europäischen Rates, António Costa, der Erweiterung des Westbalkans Priorität einräumen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, doch sein letzter Besuch als portugiesischer Premierminister galt dem Westbalkan.
Costa sagte auch, dass die EU “jetzt mit den Vorbereitungen” für den Erweiterungsprozess beginnen sollte, damit sie “die Voraussetzungen für die Aufnahme derjenigen hat, die sie einlädt”.
Das Thema der EU-Erweiterung wird in der nächsten Europäischen Kommission (2024-2029) von der slowenischen Kandidatin Marta Kos übernommen. In ihren Antworten auf Fragen der Europaabgeordneten vor der Anhörung in dieser Woche sagte sie, dass die Beseitigung von Blockaden bei der EU-Erweiterung eine ihrer Hauptaufgaben während ihrer fünfjährigen Amtszeit sein werde, falls sie ernannt werde.
Kos wies auch darauf hin, dass bilaterale Probleme, die zu Verzögerungen führen, schnell angegangen werden sollten. Zu ihren kurzfristigen Zielen gehören die Fortschritte auf dem EU-Weg der Kandidaten, was konkret bedeutet, dass die EU die Beitrittsgespräche mit Montenegro abschließt, die verbleibenden Kapitel mit Albanien öffnet und die ersten Kapitel mit Nordmazedonien, der Ukraine und Moldawien eröffnet.
Unter besonderer Berücksichtigung der Kapitel zur Rechtsstaatlichkeit betonte Kos, dass die Erweiterung ein Prozess bleiben müsse, der auf den Ergebnissen der Beitrittskandidaten beruhe, damit er glaubwürdig und nachhaltig sei.
Status quo der EU-Erweiterung:
GEORGIEN | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Georgien erhielt ein vorhersehbar negatives Zeugnis. Dem Bericht zufolge hat es seit März 2024 besorgniserregende Entwicklungen gegeben, die nicht das erklärte Engagement der Regierung für den EU-Weg widerspiegeln. Unter anderem wurden Mängel bei den jüngsten Parlamentswahlen angemerkt, etwa Ungereimtheiten bei den Verfahren sowie Einschüchterung und Druck auf Wähler.
Die ehemalige Sowjetrepublik an der Südgrenze Russlands hatte am 26. Oktober ein neues Parlament gewählt. Die Wahlorganisatoren erklärten Georgiens regierende pro-russische Partei Georgischer Traum zum Sieger. Die pro-europäische Opposition und der Präsident halten das Ergebnis für gefälscht.
“Sollte der politische Wille der georgischen Führung vorhanden sein, bieten wir einen klaren Weg zur Wiederaufnahme in die Europäische Union an – die Aufhebung des Gesetzes über ausländische Einflussnahme”, sagte der EU-Außenbeauftragter Josep Borrell.
Der Erweiterungsbericht warnte auch: “Wenn Georgien nicht von seinem derzeitigen Kurs abrückt, der seinen Weg in die EU gefährdet (…), wird die Kommission nicht in der Lage sein, die Aufnahme von Verhandlungen mit Georgien zu empfehlen.”
- Georgien wurde im Dezember 2023 zum Beitrittskandidaten ernannt. Brüssel hat die Annäherung jedoch aufgrund mehrerer repressiver Gesetze, die die Regierungspartei in diesem Jahr durchgesetzt hat, auf Eis gelegt.
MOLDAU | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Im Fall der Republik Moldau betonte die Europäische Kommission, dass die Überprüfung der EU-Gesetzgebung “reibungslos” voranschreite und dass die Europäische Kommission, sofern das Land alle Bedingungen erfülle, sich darauf freue, die Verhandlungen über die Kapitel, beginnend mit den Kernaspekten, “so bald wie möglich im Jahr 2025” aufzunehmen.
Am 20. Oktober stimmte Moldawien mit einer hauchdünnen Mehrheit für die Verankerung eines EU-freundlichen Kurses in der Verfassung, nachdem das Referendum von Vorwürfen begleitet war, Russland habe versucht, die Abstimmung zu manipulieren. Nach Auszählung aller Stimmen sprachen sich 50,46 Prozent der Wähler für die Verfassungsänderung aus.
Auch der pro-europäische Präsident Moldaus, Maia Sandu, hat eine zweite Amtszeit gewonnen. Die moldauischen Bürgerinnen und Bürger senden eine Botschaft: Sie wollen, dass die Zukunft des Landes in der EU liegt.
- Die Republik Moldau wurde im Juni 2022 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen werden im Juni 2024 eröffnet.
UKRAINE | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Nach Angaben der Europäischen Kommission sollen die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine im kommenden Jahr konkreter werden – ähnlich wie im Fall der Republik Moldau. Trotz des russischen Angriffskrieges habe das Land sein starkes Engagement für Reformen in vielen Bereichen fortgesetzt, heißt es in dem Bericht.
Unter der Voraussetzung, dass die Ukraine alle Bedingungen erfüllt, hofft man daher, dass auch die Verhandlungen über die Grundprinzipien “so bald wie möglich im Jahr 2025” beginnen können. Dazu gehören die Themen Grundrechte, Justiz, Freiheit und Sicherheit sowie die Finanzkontrolle. Die EU hat Ende Juni Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufgenommen.
- Die Ukraine wurde im Juni 2022 zum Beitrittskandidat ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Juni 2024 eröffnet.
TÜRKEI | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Der Bericht hebt eine “allmähliche Wiederaufnahme” der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei und “konkrete Schritte” zu einem konstruktiven Austausch über Themen von gemeinsamem Interesse hervor. Die Kommission stellt jedoch fest, dass die Türkei, mit der die Beitrittsverhandlungen seit 2018 eingefroren sind, den in den letzten Jahren beobachteten negativen Trend der kontinuierlichen Verschlechterung der demokratischen Standards nicht umgekehrt hat.
- Die Türkei wurde im Dezember 1999 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Oktober 2005 aufgenommen.
Westliche Balkanländer:
ALBANIEN | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Die Europäische Kommission hielt es für “entscheidend”, dass das Tempo der auf die EU ausgerichteten Reformen erhöht wird. Albanien eröffnete am 15. Oktober das erste Kapitel der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union.
Albaniens Premierminister Edi Rama bewertete diesen Moment als historisch. „Die Eröffnung der Kapitel ist ein große Leistung und markiert einen historischen Meilenstein… Jeder Erfolg, den Albanien im EU-Prozess erzielt hat, sollte als ein Schritt für die gesamte Region gesehen werden. Es gibt keine andere Zukunft für Albanien“, sagte Rama.
Das erste Kapitel umfasst mehrere wesentliche Bereiche wie Justiz, Justizwesen, das Funktionieren der demokratischen Institutionen, das öffentliche Auftragswesen und die Reform der öffentlichen Verwaltung. Die Fortschritte in diesen Bereichen werden das Gesamttempo der Verhandlungen bestimmen. Albanien hat mehrere Jahre auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gewartet.
- Albanien wurde im Juni 2014 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Juli 2022 eröffnet. In ihrem letzten Bericht setzte sich die Europäische Kommission das Ziel, die Beitrittsverhandlungen mit dem Land bis Ende 2027 abzuschließen.
BOSNIEN UND HERZEGOWINA (BiH) | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Dem jüngsten Erweiterungsbericht zufolge stagniert der Reformprozess in Bosnien und Herzegowina (BiH) seit März dieses Jahres, obwohl die Behörden in BiH zuvor “konkrete Reformen durchgeführt” hatten. Die positiven Entwicklungen wurden durch die “Entwicklungen in der Republika Srpska” (der bosnischen Entität mit serbischer Mehrheit) “behindert”, einschließlich “anhaltender sezessionistischer Rhetorik”.
Die Behörden des Landes haben ihre Bereitschaft bekundet, bis Ende des Jahres eine Einigung zu erzielen und den Reformprozess zu beschleunigen.
- Bosnien und Herzegowina erhielt im Dezember 2023 den Beitrittskandidatenstatus und die Beitrittsverhandlungen wurden im März 2024 eröffnet.
KOSOVO | Beitrittsstatus: potenzieller Beitrittskandidat
In Bezug auf den Kosovo erklärte die Europäische Kommission in dem Bericht, dass sie bereit sei, eine Stellungnahme zum Beitrittsantrag vorzubereiten, sobald der Europäische Rat sie darum bittet.
Zu den EU-Mitgliedstaaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen, gehören Spanien, die Slowakei, Zypern, Rumänien und Griechenland.
- Der Kosovo hat im Dezember 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt.
MONTENEGRO | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Die Europäische Kommission erinnerte daran, dass im Juni dieses Jahres bestätigt wurde, dass das Land die vorläufigen Referenzkriterien für die Kapitel im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit erfüllt, was die Möglichkeit eröffnet, andere Abschnitte vorläufig zu schließen, “wenn die Bedingungen erfüllt sind”. Dennoch wies die Kommission darauf hin, dass weitere Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Justiz erforderlich sind.
- Montenegro wurde im Dezember 2010 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Juni 2012 eröffnet. In ihrem letzten Bericht setzte sich die Kommission das Ziel, die Beitrittsverhandlungen mit dem Land bis Ende 2026 abzuschließen.
NORDMAZEDONIEN| Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Nordmazedonien hat sein politisches Engagement für das strategische Ziel der EU-Integration und sein Bestreben, in den Beitrittsverhandlungen voranzukommen, immer wieder bekräftigt, heißt es in dem Bericht. Es wurde auch festgestellt, dass wesentliche EU-bezogene Reformen durchgeführt werden müssen. Nordmazedonien unterhält gute Beziehungen zu anderen Erweiterungsländern und setzt sein Engagement in regionalen Initiativen fort.
Gemäß dem im Juli 2022 angenommenen Verhandlungsrahmen muss Nordmazedonien Verfassungsänderungen vornehmen, um die Bulgaren sowie Kroaten, Montenegriner, Juden und andere Minderheiten als “Teile der im Land lebenden ethnischen Gruppen” in die Verfassung aufzunehmen.
In den Schlussfolgerungen der Sitzung des Europäischen Rates vom Dezember 2023 wurde festgestellt: „Die Europäische Union ist bereit, die Eröffnungsphase der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien abzuschließen, sobald dieses Land seine Zusage, die in den Schlussfolgerungen des Rates vom 18. Juli 2022 genannten Verfassungsänderungen vorzunehmen, im Einklang mit seinen internen Verfahren erfüllt hat. Der Europäische Rat appelliert an Nordmazedonien, den Abschluss dieser Änderungen zu beschleunigen“.
- Nordmazedonien wurde im Dezember 2005 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Juli 2022 aufgenommen.
SERBIEN | Beitrittsstatus: Beitrittskandidat
Serbien hat die Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen über die Abschnitte, die sich auf Wettbewerbsfähigkeit und integratives Wachstum beziehen, erfüllt. Die Europäische Kommission versicherte, dass das Land im kommenden Jahr die Umsetzung der mit dem EU-Beitritt verbundenen Reformen beschleunigen wird.
„Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz muss in den höheren Gerichten und in den Gerichten der ersten Instanz weiter verbessert werden“, betonte der Bericht.
„Wir sind auf dem Weg in die EU, und die EU ist unser größter Außenhandelspartner, und wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2027 alle Verpflichtungen im Rahmen der Wachstumsagenda und der Reformagenda zu erfüllen, unabhängig davon, ob wir (bis dahin) Mitglied sein werden oder nicht“, erklärte der serbische Präsident Aleksandar Vučić in seinem Kommentar zum jährlichen Erweiterungsbericht.
- Serbien wurde im Dezember 2010 zum Beitrittskandidaten ernannt. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Juni 2012 aufgenommen.
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