Brüssel – Die Aussichten für die europäische Wirtschaft für das nächste Jahre trüben sich angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs weiter ein. Am 11. November korrigierte die EU-Kommission ihre Vorhersage für das Wirtschaftswachstum 2023 deutlich nach unten auf 0,3 Prozent in der EU und im Euroraum. Im Sommer war sie noch von einem Wachstum von 1,5 Prozent in der EU und 1,4 Prozent in den Euro-Ländern ausgegangen. Dieses Jahr soll das Wachstum zwar stärker als erwartet ausfallen, doch über den Winter soll die europäische Wirtschaft zwischenzeitlich in eine Rezession rutschen, wie die Kommission mitteilte.
In Deutschland wird für das komplette nächste Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gerechnet. Für dieses Jahr gehen die Analysten von einem Wachstum von 1,6 Prozent aus, nächstes Jahr soll Deutschland jedoch mit einem Minus von 0,6 Prozent in die Rezession rutschen. Das ist pessimistischer als die Prognose der Bundesregierung, dass das BIP um 0,4 Prozent schrumpfen wird. Der Kommission zufolge ist Deutschland zudem nur eins von drei Ländern, in denen es eine längere Rezession geben soll – neben Schweden und Lettland.
Wendepunkt für die EU
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sprach angesichts der Unsicherheit wegen des Kriegs, der hohen Inflation und der Energiekrise von einem «Wendepunkt für die EU-Wirtschaft». «Die wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verschlechtert, und wir steuern auf zwei Quartale des Abschwungs zu», sagte er. Ab Frühling sollte die Wirtschaft sich langsam wieder erholen.
Inflation erreicht neuen Rekord
Die Inflation wird der Prognose zufolge einen neuen Höchstpunkt im Jahresdurchschnitt erreichen. In diesem Jahr gehen die Analysten von 8,5 Prozent im Euroraum und 9,3 Prozent in der gesamten EU aus. Im Sommer sprachen sie noch von einer Preissteigerung von 7,6 Prozent für die Euro-Länder und 8,3 Prozent für die EU. Auch im kommenden Jahr dürften die Preise weiter steigen, es wird eine Inflation von 6,1 Prozent in der Eurozone sowie 7,0 Prozent in der ganzen EU prognostiziert. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt grundsätzlich eine Inflationsrate von 2 Prozent an.
Energieausgaben vergrößern Haushaltslücken
Die Ausgaben zur Entlastung von Verbrauchern angesichts der hohen Energiepreise reißen größere Löcher in die Haushalte der EU-Staaten. So soll sich das Defizit in der EU von 3,4 Prozent in diesem Jahr auf 3,6 Prozent im nächsten erhöhen. Die EU-Haushaltsregeln schreiben grundsätzlich ein Defizit von höchstens 3 Prozent vor. Gentiloni sagte, dass die Maßnahmen der EU-Länder gegen die hohen Energiepreise 1,2 Prozent des BIPs in diesem Jahr ausmachen würden. Wenn sie im nächsten Jahr so weitergeführt würden, könnten sie fast 2 Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU ausmachen. Gleichzeitig sinkt die durchschnittliche Schuldenquote der EU – auch wegen der hohen Inflation – da die Schulden vor dem Preisanstieg aufgenommen wurden.
Bessere Aussichten 2024
Für 2024 hellt sich die Prognose auf. Dann soll die Wirtschaft in der EU um 1,6 Prozent wachsen, in den Euro-Ländern um 1,5 Prozent. Die Inflation soll auf 2,6 Prozent im Euroraum und 3,0 Prozent in der ganzen EU sinken. Gentiloni warnte jedoch, dass diese Vorhersagen daran geknüpft seien, dass die EU eine Gasmangellage im nächsten Winter etwa durch Energiesparen vermeiden könne und die Kriegssituation sich nicht verschlechtere. (11. November)
Ungarn stellt Justizreformen für Corona-Milliarden der EU in Aussicht
Brüssel – Nach monatelanger Blockade kommt Bewegung in die Verhandlungen zwischen Ungarn und der EU-Kommission über den Plan für die Auszahlung milliardenschwerer Corona-Hilfen. Die rechtsnationale Regierung in Budapest habe die Bedingungen der Kommission mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz akzeptiert, sagte ein EU-Beamter am 11. November der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Dies sei ein Knackpunkt in den Gesprächen gewesen. Dies sei ein wichtiger Schritt, aber nicht das Ende der Verhandlungen.
Zu den Bedingungen gehört den Angaben zufolge, dass Schlüsselpositionen im Justizwesen nur unter Einbeziehung des unabhängigen Nationalen Justizrats besetzt werden dürfen. Außerdem soll das Recht der Regierung abgeschafft werden, endgültige Gerichtsentscheidungen vor dem politisch gewählten Verfassungsgericht anzufechten. Auch werde die Möglichkeit des Obersten Gerichtshofs abgeschafft, in das Recht von Richtern einzugreifen, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, hieß es. Sollte die EU-Kommission aufgrund der Zugeständnisse empfehlen, den ungarischen Plan zu billigen, würde es noch mehrere Monate dauern, bis Budapest Geld erhält. Zunächst müssten die EU-Staaten den Plan billigen. Außerdem müssten die zugesagten Reformen zufriedenstellend umgesetzt werden, bevor Geld fließe, betonte der EU-Beamte. Ziel sei, dass dies bis März 2023 geschehe.
Die EU-Kommission bemängelt seit Jahren politischen Einfluss auf die Justiz in Ungarn, zugleich aber auch ein hohes Maß an Korruption und andere Verstöße gegen den Rechtsstaat. Auch diese Punkte spielen in den Verhandlungen eine Rolle. Das EU-Parlament attestierte Ungarn zuletzt sogar, keine vollwertige Demokratie mehr zu sein. Die Milliarden aus dem Corona-Fonds sind nicht das einzige Geld, auf das Budapest wartet. Mitte September hatte die EU-Kommission unter anderem wegen weit verbreiteter Korruption vorgeschlagen, Zahlungen in Höhe von rund 7,5 Milliarden Euro einzufrieren. Auch hier machte Ungarn umfassende Reformzusagen. (11. November)
Verhandlungen zum EU-Haushalt 2023 unterbrochen
Brüssel – Die Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedsländern über den milliardenschweren EU-Haushalt für das kommende Jahr sind zunächst ergebnislos unterbrochen worden. Die Gespräche sollen am 14. November fortgesetzt werden, wie die tschechische Ratspräsidentschaft am 11. November mitteilte. Es brauche mehr Zeit, die Differenzen zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten zu überwinden. Sollte es bis Mitternacht am 14. November keine Einigung geben, muss die EU-Kommission einen neuen Budgetentwurf vorlegen.
Hintergrund war unter anderem ein Streit über fast 170 neue Stellen, die das Parlament gefordert hatte. Die EU-Staaten haben hingegen angesichts der hohen Inflation zur Zurückhaltung bei zusätzlichen Ausgaben aufgerufen. Das Parlament hatte bereits im Haushalt 2022 zahlreiche Extrastellen bewilligt bekommen. Grundsätzlich geht es bei den Verhandlungen um die Frage, wie viel Geld 2023 verplant werden kann. (11. November)
Mehr Klimaschutz: EU-Einigung auf CO2-Diät durch Wälder und Böden
Brüssel – Mit Hilfe natürlicher CO2-Speicher sollen in der EU bis 2030 mindestens 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in Böden und Wäldern gebunden werden. Deutschland müsste dem in der Nacht zum 11. November zwischen Unterhändlern des Europaparlaments und der EU-Staaten gefundenen Kompromiss zufolge rund zehn Prozent davon stemmen, wie aus einer Mitteilung des Parlaments hervorgeht.
Im Sommer 2021 hatte die EU-Kommission das Klimapaket «Fit for 55» vorgestellt, wonach die Emissionen der Europäischen Union bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken sollen. Mit den neuen Vorgaben legt die EU bei ihren Klimaambitionen nun Parlamentsangaben zufolge einen Zahn zu, indem dieses Ziel de facto auf 57 Prozent erhöht wird. Die Einigung muss noch von den EU-Ländern und dem EU-Parlament bestätigt werden. Das gilt aber als Formsache.
Die Bundesregierung begrüßte die Einigung. «Das ist ein guter Tag für den Klimaschutz und ein starkes Signal an die laufende COP 27», sagte Staatssekretär Sven Giegold. Deutschland stimme den Großteil seiner eigenen Maßnahmen, die bis 2030 innerhalb der neuen Regeln erfolgen sollten, aktuell im Klimaschutzsofortprogramm oder im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz in der Bundesregierung ab, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit.
CO2 dauerhaft zu binden ist notwendig, um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Damit in der EU bis 2050 unter dem Strich keinerlei Treibhausgase mehr ausgestoßen werden, muss ein gewisser Anteil in der Natur gespeichert werden. Die Einspeicherungen können auch gehandelt werden. Sprich: Wenn Staaten ihre neuen Ziele nicht erreichen, können sie anderen EU-Ländern ihren Überschuss an Einspeicherungen quasi abkaufen. Bäume, die in Spanien gepflanzt werden, könnten so auf dem Papier etwa Polen zugeschlagen werden. (11. November)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl auf der Grundlage der Europa-Berichterstattung der dpa. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der dpa. Der EU Digest erscheint jeweils montags und donnerstags.