Brüssel – Im Tauziehen um das EU-Lieferkettengesetz, das Umweltstandards sowie Arbeit- und Menschenrechte absichern soll, haben sich die EU-Staaten am Donnerstag auf einen gemeinsamen Standpunkt geeinigt. Wie die tschechische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte, sollen die Regeln zuerst für sehr große Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mindestens 300 Millionen Euro netto gelten.
Für Unternehmen außerhalb der EU liegt die Schwelle bei einem Umsatz ab 300 Millionen Euro in der Union, die Regeln gelten drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie. Der gemeinsame Standpunkt des EU-Rates ist erst der Auftakt für Verhandlungen mit dem Europaparlament, das in dieser Angelegenheit mitentscheidet. Nach Angaben von EU-Diplomaten einigten sich die Staaten auf einen Kompromiss der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft vor, wonach die EU-Staaten freiwillig die Finanzindustrie in das Lieferkettengesetz aufnehmen können.
Österreich enthielt sich bei der Abstimmung, wie Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) nach Ende der Sitzung sagte. In Diskussion sei besonders die Frage gewesen, wie der Finanzsektor einbezogen werden soll. Dies müsse nun mit dem Europaparlament ausführlicher diskutiert werden, „die Zeit soll man sich auf jeden Fall nehmen“. Österreich werde sich konstruktiv einbringen.
Angelika Winzig, die ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament, erklärte, die derzeit auf dem Tisch liegenden Vorschläge seien zu tiefgreifend, „da müssen wir realistisch bleiben. Für unsere Wirtschaft braucht es praxistaugliche Gesetze und vor allem Rechtssicherheit. Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, sicherzustellen, dass Umwelt-, Menschen- und Sozialrechte eingehalten werden.“ Diese Verantwortung dürfe nicht vollends auf die Unternehmen abgewälzt werden und Unternehmen sollen nicht für etwas haftbar gemacht werden, auf das sie keinen Einfluss hätten, forderte Winzig. „Und wir müssen sicherstellen, dass betroffene Großunternehmen in der Lieferkette nicht die Verantwortung auf KMU weiterschieben.“
Ähnliche Bedenken hat die Industriellenvereinigung, die das Gesetzesvorhaben zwar begrüßt, aber die Praktikabilität des konkreten Gesetzesentwurfs beanstandet. „Die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie praktikabel und im unternehmerischen Alltag für alle Unternehmen entlang der Lieferkette umsetzbar sind“, so IV-Präsident Georg Knill in einer Aussendung. „Die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette, wie im aktuellen Entwurf vorgesehen, geht weit über den direkten Einflussbereich von Unternehmen hinaus und ist realitätsfern, unpraktikabel und stellt für viele Unternehmen eine unerfüllbare Anforderung dar.“
Indes kritisierten die NGOs Südwind und das Netzwerk Soziale Verantwortung die Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher bei der heutigen Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz. „Nach einem monatelangen Konsultationsprozess, in den auch die Zivilgesellschaft eingebunden war, kommt Österreichs Enthaltung einer Farce gleich“, hieß es in einem gemeinsamen Statement. Für die Organisationen sei zudem nicht nachvollziehbar, warum es für Banken eine Ausnahme im Lieferkettengesetz brauche, weil diesen genauso Verantwortung für Menschenrechte zukäme.
Der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär, Sven Giegold, sagte, das Lieferkettengesetz werde für fairen Wettbewerb in Europa sorgen. Deutschland habe keine Ausnahmen für die Finanzbranche gefordert, wolle aber einen Kompromiss nicht an dieser Frage scheitern lassen. (1.12.2022)
EU-Kommission will „Migrationsdruck“ auf Westbalkan-Routen bekämpfen
Brüssel – Mit einem Maßnahmen-Paket will die EU-Kommission dem „erhöhten Migrationsdruck“ entlang der Westbalkanrouten begegnen. „Wir müssen handeln und die Zahlen hinunterbekommen“, sagte Vizepräsident Margaritis Schinas am Montag in Brüssel. So soll die Grenzüberwachung verstärkt werden, Asylverfahren sollen zügiger durchgeführt werden und „alle, die irregulär ankommen, müssen registriert werden“, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei der Vorstellung des „Aktionsplans“.
Die EU-Kommission will die Westbalkanländer bei den Asyl- und Registrierungsverfahren unterstützen sowie bei der „Gewährleistung angemessener Aufnahmebedingungen“. Für das kommende Jahr kündigte Johansson ein Programm an, das den Westbalkan-Länder bei „freiwilligen und unfreiwilligen“ Rückführungen helfen soll. Ein Pilotprogramm mit Bosnien-Herzegowina nannte die Kommissarin „ziemlich erfolgreich“ und soll nun auf die anderen Staaten ausgeweitet werden.
Ein Augenmerk wird demnach auch auf die Bekämpfung des Schlepperwesens gelegt. Eine neu eingesetzte Europol-Taskforce werde speziell an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien tätig sein, so Johansson. Die Frontex-Mitarbeitenden würden zudem nicht nur an den Außengrenzen tätig sein.
Auch das Thema Visafreiheit steht weiterhin im Fokus: Johansson unterstrich, dass die meisten jener Menschen, die visafrei über die Balkanländer einreisten und „schlussendlich in der EU landen“ via Serbien gekommen seien. Das „Risiko“, dass Menschen zunächst visumsfrei nach Serbien einreisten, um in die EU zu kommen, bestehe aber nicht nur für Serbien. „Alle westlichen Balkanländer sollten ihre Visapolitik vorrangig an die der EU anpassen“, hieß es von der EU-Kommission. Hier gebe es „signifikante Lücken“. (5.12.2022)
EuGH-Anwalt fordert Vervollständigung von EU-Produktwarnungen
Unternehmer haben nach Ansicht des Generalanwaltes am Europäischen Gerichtshof ein Recht darauf, dass Meldungen im EU-Schnellwarnsystem über gefährliche Produkte (RAPEX) vervollständigt werden. Hintergrund des am Donnerstag in Luxemburg behandelten Falles (C-626/21) ist ein Streit um Feuerwerkskörper mit der Landespolizei und dem Verwaltungsgericht in Wien, die entsprechende Anträge des Importeurs zurückgewiesen hatten.
Bei den Produkten geht es um Knallkörper, die von dem polnischen Unternehmen Funke aus China in die Europäische Union eingeführt werden. Sie wurden über verschiedene Händler in mehreren EU-Staaten, darunter auch in Österreich, verkauft.
Die Landespolizeidirektion Wien hat dem in Österreich tätigen Feuerwerkshändler den Verkauf dieser Produkte untersagt und einen Rückruf angeordnet, nachdem sie bei einer Kontrolle festgestellt hatte, dass die Artikel nicht sicher waren. Außerdem erstattete sie eine RAPEX-Meldung an die Europäische Kommission. RAPEX ist das europäisches Schnellwarnsystem zum raschen Informationsaustausch über gefährliche Produkte am Verbrauchermarkt.
Der Importeur der Feuerwerksartikel hielt die RAPEX-Meldung für unvollständig und beantragte bei der Landespolizeidirektion eine Vervollständigung der Meldung sowie Akteneinsicht. Die Landespolizeidirektion sowie – nach einer Beschwerde – das Verwaltungsgericht Wien wiesen die Anträge des Importeurs als unzulässig zurück. Beide gingen davon aus, dass der Importeur kein Antragsrecht auf Vervollständigung einer Meldung oder auf Akteneinsicht habe. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat den EuGH hierzu um Klärung ersucht.
Ein Wirtschaftsteilnehmer, dessen Antrag auf Vervollständigung von der zuständigen Behörde abgelehnt worden sei, müsse Zugang zu einem Gericht erhalten, um diese Ablehnung anfechten, stellte nunmehr der EuGH-Generalanwalt fest. Er müsse geltend machen zu können, dass die unvollständige Meldung ein ungerechtfertigtes Handelshindernis darstelle. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in dieser Causa steht noch aus. Üblicherweise folgen die EU-Richter in vier von fünf Fällen dem Generalanwalt. (1.12.2022)
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