Tirana – Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bezeichnet den Aktionsplan der EU-Kommission für die Balkanroute am Dienstag als „ersten wichtigen Schritt“. Bei seiner Ankunft beim EU-Westbalkangipfel in der albanischen Hauptstadt Tirana betonte Nehammer, dass es Österreich aber nicht nur um die Westbalkan-Route gehe, sondern auch um die Migrationsroute über Bulgarien, Rumänien, Ungarn nach Österreich. Erneut bekräftigte er sein Nein zur Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien.
Es gebe noch in Sachen Migration weitere Forderungen von österreichischer Seite. Nehammer nannte Asylverfahren an der EU-Außengrenze oder eine „Zurückweisungsrichtlinie“ statt Einzelfallprüfungen. „Da haben wir noch viele Themen zu besprechen“.
Angesprochen auf Schengen machte Nehammer klar: „Es gibt derzeit keine Zustimmung zu einer Erweiterung um Bulgarien, Rumänien.“ Es brauche mehr Zeit. „Es gibt bei uns viel zu große Zahlen. Wir haben 75.000 nicht registrierte Migranten“, erklärte der Kanzler. Das sei eine Frage der Sicherheit. Rumäniens Präsident Klaus Johannis seinerseits erklärte, weiter mit Österreich sprechen zu wollen. „Wir werden bis zum letzten Moment diskutieren und verhandeln“, sagte er laut rumänischen Medien. Die EU-Innenminister sollen am Donnerstag über die Schengen-Erweiterung entscheiden.
Österreich sei von den Migrantenströmen „außerordentlich stark betroffen“ und „wenn wir uns anschauen, wie die illegale Migration ist, dann sehen wir, dass sie sich verdreifacht hat im Vergleich zum vergangenen Jahr.“
Bei dem Gipfel, zu dem die 27 EU-Staats- und Regierungschefs sowie die sechs Westbalkanländer – Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Kosovo – eingeladen wurden und der erstmals in der Westbalkanregion stattfindet, ist neben Migration auch Sicherheit ein Thema. Es geht außerdem um die Verhinderung von Einflussnahme aus dem Ausland.
Von der Leyen forderte die Westbalkanstaaten auf, gegen autoritäre Staaten wie Russland oder China Stellung zu beziehen. „Ihr müsst euch entscheiden, auf welcher Seite ihr steht – auf der Seite der Demokratie, das ist die Europäische Union, euer Freund und Partner. Oder wollt ihr einen anderen Weg nehmen?“ Nehammer verwies in diesem Zusammenhang auf die Partnerschaft zwischen dem Westbalkan und der EU und die wirtschaftliche Kooperation etwa bei der Energieversorgung. Der Gipfel sei deswegen wichtig, „dass man sieht, dass das Zueinanderkommen eine wichtige Agenda der Europäischen Union ist. Österreich gilt hier als Brückenbauer.“
„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunft unserer Kinder sicherer und wohlhabender sein wird, wenn der Westbalkan der EU angehört, und wir arbeiten sehr hart daran, Fortschritte zu erzielen“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Er kündigte auch an, dass eine gemeinsame Erklärung zwischen der EU und dem Westbalkan zu Roaming unterzeichnet werde.
Aus österreichischer Sicht ist im EU-Erweiterungsprozess insbesondere die Verleihung des Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina auf Basis einer entsprechenden Empfehlung der EU-Kommission wichtig. Die Zuerkennung des Kandidatenstatus wird im Dezember erwartet.
Vom EU-Gipfel ist ein Bekenntnis zur Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und den sechs Westbalkanländern vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu erwarten. Der Beschluss, die gemeinsame Beschaffung von Gas, Flüssiggas und Wasserstoff für den Westbalkan zu öffnen, soll bekräftigt werden. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung soll vertieft werden. Für eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses sollten notwendige Reformen vorangetrieben werden, insbesondere in Bezug auf den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Im Bereich Migration wird eine Anpassung der Visapolitik der Westbalkan-Staaten an die EU-Standards angestrebt, sowie eine verstärkte Zusammenarbeit bei Rückführungen.
Zuletzt hatte Serbien die Visafreiheit für Reisende aus Tunesien und Burundi aufgehoben, ähnliches ist mit Indien geplant. Nach Ansicht der EU-Kommission sollen weitere Staaten folgen. Die Asylantragszahlen in Österreich von Staatsbürgern Indiens und Tunesiens hatten sich im heurigen Jahr vervielfacht.
Die EU-Kommission hat den Aktionsplan zur Balkanroute am Montag vorgestellt. Der Plan umfasst 20 Maßnahmen. Die EU-Kommission will die Westbalkanländer bei den Asyl- und Registrierungsverfahren unterstützen sowie bei der „Gewährleistung angemessener Aufnahmebedingungen“. Für das kommende Jahr kündigte sie ein Programm für Rückführungen an. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll bei der Verstärkung des EU-Außengrenzschutzes helfen. Zur Bekämpfung von Schleppern soll außerdem eine Taskforce der EU-Polizeibehörde Europol eingesetzt werden.
Laut Frontex ist die Westbalkanroute aktuell die aktivste Migrationsroute in Europa. 128.438 Menschen seien hier in den ersten zehn Monaten 2022 eingereist, ein Plus von 168 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. (6.12.2022)
Kampf gegen Geldwäsche – EU-Staaten fordern Bargeldobergrenze
Brüssel – Die EU-Staaten fordern im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eine Bargeldobergrenze von 10.000 Euro. Die Mitgliedsländer legten am Mittwoch ihre gemeinsamen Standpunkt zu den entsprechenden Gesetzestexten fest, wie der Rat mitteilte. Die Nationalstaaten können demnach auch eine niedrigere Bargeldobergrenze bestimmen. Finanzminister Markus Brunner (ÖVP) kritisierte zuletzt ein solches Limit. „Ich bin prinzipiell gegen Obergrenzen“, betonte Brunner am Rande eines Treffens der EU-Finanzminister am Dienstag in Brüssel.
Ähnlich äußerte sich sein deutscher Amtskollege Christian Lindner. Deutschland sei gegen eine Obergrenze, sagte Lindner laut der Deutschen Presse-Agentur. Bargeld sei auch ein Ausdruck von Privatsphäre und Datenschutz.
Abgesehen von der Bargeldobergrenze sollen die neuen Vorschriften nach Vorstellung der EU-Staaten u.a. auf den Kryptomarkt sowie auf Personen, die mit Edelsteinen, Edelmetallen und Kulturgütern handeln, ausgeweitet werden, wie der Rat mitteilte. Auch Juweliere, Uhrmacher und Goldschmiede wären demnach von der Regelung betroffen. Außerdem sollen die Vorschriften für wirtschaftliche Eigentümer transparenter gestaltet sowie mehrschichtige Eigentums- und Kontrollstrukturen präzisiert werden.
Die Entscheidung musste von einer qualifizierten Mehrheit getroffen werden – das heißt von mindestens 15 der 27 EU-Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. Nun müssen die Staaten noch mit dem Europäischen Parlament darüber verhandeln, bevor es in Kraft treten kann. (7.12.2022)
EU-Kommission will die Anerkennung von Elternschaft angleichen
Brüssel – Die EU-Kommission will die Anerkennung von Elternschaft zwischen den Mitgliedsstaaten angleichen: In dem am Donnerstag in Brüssel angenommenen Vorschlag für eine Verordnung heißt es, dass die in einem EU-Land begründete Elternschaft in allen anderen Mitgliedsstaaten ohne besondere Verfahren anerkannt werden solle.
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger können zwar bisher in verschiedenen EU-Ländern leben und arbeiten. Eine Familie in einer „grenzüberschreitenden Situation“ könne aber möglicherweise ihre Rechte auf Elternschaft in einem neuen EU-Land verlieren. Das wiederum gefährde die Grundrechte der Kinder wie das Recht auf Identität. Kinder können auch ihre Erb- oder Unterhaltsrechte in einem anderen Mitgliedsstaat einbüßen sowie ihr Recht auf Vertretung durch einen ihrer Elternteile beispielsweise im Rahmen einer medizinischen Behandlungen oder in der Schule.
Die EU-Kommission schlägt deshalb auch die Einführung eines Europäischen Zertifikats für Elternschaftsurkunden vor, die Kinder oder ihre gesetzlichen Vertreter beantragen und verwenden können, um ihre Elternschaft in einem anderen Mitgliedstaat nachzuweisen. „Wenn Sie in einem Land Eltern sind, sind Sie in jedem Land Eltern“, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2020 die Richtung vorgegeben.
Der Vorschlag wurde in der EU-Kinderrechtsstrategie und in der EU-Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ als eine der wichtigsten Maßnahmen genannt, heißt es in der Aussendung der EU-Kommission am Mittwoch. Nach Anhörung des EU-Parlaments muss der EU-Rat den Kommissionsvorschlag einstimmig annehmen. (7.12.2022)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl der APA-Europaberichterstattung. Die redaktionelle Verantwortung für die Veröffentlichung liegt bei der APA. Sie wird montags und donnerstags veröffentlicht.