Wien/Brüssel – Ab 1. Jänner können Investitionen in Gas-und Atomkraftwerke in der EU als klimafreundlich eingestuft werden. Die umstrittene Ergänzung zur EU-Taxonomie-Verordnung tritt zum Jahreswechsel in Kraft. Daran ändert auch eine Klage Österreichs beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorerst nichts. Eine Entscheidung wird erst in rund zwei Jahren erwartet. Experten gehen davon aus, dass zusätzliche Investitionen durch die neue Regelung vor allem in bestehende AKWs fließen werden.
Ziel der sogenannten Taxonomie-Regelung ist es, den Kampf gegen den Klimawandel voranzubringen. Dies geschieht durch eine Art Katalog für klimafreundliche Investitionen, die Unternehmen und Privaten dabei helfen sollen, klimafreundliche Projekte zu identifizieren und Geld dort zu investieren. Für Kritik von Umweltschützern und Atomkraftgegnern sorgt, dass im vergangenen Jahr Atomkraft und Gas unter Auflagen darin aufgenommen wurden.
Vor allem Frankreich, das 70 Prozent seines Energiebedarfs durch Atomenergie deckt, war eine treibende Kraft dabei, Investitionen in die Atomkraft aufzunehmen. Auch viele andere Staaten – allen voran die östlichen Nachbarstaaten Österreichs – erhoffen sich von der neuen Regelung mehr Geld für den Ausbau ihrer Atomkraftwerke. Deutschland unterstützte den Plan andererseits, weil Gas als Übergangstechnologie eingestuft wurde.
Die Einstufung sende „ein katastrophales Signal an die internationalen Finanzmärkte“, kritisiert der Pariser Energieexperte Mycle Schneider gegenüber der APA und sieht eine „einzigartige historische Chance“ verpasst. „Milliarden werden in Optionen fließen, die für den Klimanotstand keine Erlösung bieten“, prognostiziert der Experte.
Das Geld dürfte dabei weniger in Neubauprojekte als in die Erneuerung und Instandhaltung alter AKW-Anlagen fließen, meint Schneider. Einen zusätzlich verstärkten Ausbau der Atomenergie in Europa erwartet er nicht und verweist auf Bauverzögerungen, fehlende technische Voraussetzungen und Abhängigkeiten von russischem Kernbrennstoff. Die zusätzlichen Investitionen werden daher eher in den AKW-Bestand fließen und „vielleicht weitere Milliarden in Projektentwicklungen und Baustellen, die vielleicht nie vollendet werden“, so Schneider.
Der Experte betont, dass die Einstufung von Atomenergie und Gas als nachhaltig in beiden Fällen faktisch falsch sei. „Erdgas ist de facto ein ausgesprochen wirkungsvolles Treibhausgas – wesentlich wirkungsvoller als CO2 – und Atomkraft erzeugt de facto radioaktiven Müll, der auf Tausende von Generationen Auswirkungen hat und damit eindeutig einem Grundprinzip der Nachhaltigkeit widerspricht“, so Schneider.
Der Chefökonom der Nuclear Energy Agency (NEA), die bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris angesiedelt ist, Jan Horst Keppler, ist anderer Ansicht. Die Einstufung von Kernenergie und Erdgas als „grüne Energien“ diene dazu, beide Energien ohne finanziellen oder politischen Malus weiterzubetreiben. „Da Europa auf absehbare Zeit beide Energien brauchen wird, ist das eine gute Sache“, meint Keppler gegenüber der APA.
Allerdings handle es sich um eine „weiche“ oder indirekte Form der Unterstützung. „Es ist eine Illusion zu meinen, dass die Taxonomie nun automatisch neue Finanzierungsquellen zu geringeren Kapitalkosten ermöglichen wird“, so der Experte. Die Kriterien für Umwelt, Soziales und guter Unternehmensführung (ESG) seien viel zu vage, als dass sie zu mehr als ungefähren Absichtserklärungen der Investoren führen könnten.
Zudem gebe es in den USA eine Gegenbewegung zu ESG und die amerikanischen Finanzströme seien wichtiger als die europäischen. Die Finanzierungsbedingungen für Kernkraft und Erdgas in Europa werden sich daher in einem Wechselspiel zwischen beiden Finanzplätzen, sowie den nationalen Rahmenbedingungen in den europäischen Mitgliedsländern entscheiden, prognostiziert Keppler. (27. Dezember)
Tanner warnt vor Blackouts in Teilen der EU in „naher Zukunft“
Berlin/Wien – Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) rechnet schon bald mit großflächigen Stromausfällen in der Europäischen Union, wie sie in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung „Welt“ sagte. Die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts in Teilen der EU in naher Zukunft sei sehr groß. „Die Frage ist nicht, ob er kommt, sondern wann er kommt“, so Tanner. Das Risiko für einen flächendeckenden Stromausfall habe sich durch den Ukraine-Krieg noch einmal deutlich erhöht, betonte sie.
„Für Putin sind Hackerangriffe auf die westliche Stromversorgung ein Mittel der hybriden Kriegsführung. Wir sollten nicht so tun, als ob das nur Theorie wäre. Wir müssen uns in Österreich und in Europa auf Blackouts vorbereiten.“ Tanner betonte, „dass ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger spätestens am vierten Tag eines Stromausfalls nicht mehr in der Lage wäre, sich selbst zu versorgen“. Das Bundesheer will daher bis 2025 insgesamt 100 autarke Kasernen, die sich für zwei Wochen selbstständig versorgen können, einrichten. Außerdem soll es sogenannte Sicherheitsinseln geben, die im „Ernstfall Anlaufstellen sein können für zivile Helfer und Ordnungskräfte“.
Ein baldiges Ende des Ukraine-Siegs erwartet die ÖVP-Politikerin indes nicht. Russland verfüge über enorme Reserven an Material und an Soldaten, sagte sie. „Die Ukraine hat glücklicherweise sehr wichtige Erfolge erzielt, aber sie muss ein riesiges Gebiet verteidigen. Es ist unklar, ob es in diesem Krieg überhaupt jemals einen Sieger geben wird.“ Tanner forderte die internationale Gemeinschaft auf, sich stärker auf Verhandlungen zur Lösung des Ukraine-Kriegs zu konzentrieren und in dieser Frage mit der Ukraine zusammenzuarbeiten. „Es ist wichtig, dass im Hintergrund Gespräche laufen und der Fokus wieder vermehrt auf die Diplomatie gelegt wird.“
Einige EU-Staaten würden die Ansicht vertreten, dass die Ukraine als souveräner Staat allein darüber entscheiden solle, wann verhandelt werde und was das Ziel dieser Verhandlungen sein sollte. „Man kann es aber auch so sehen, dass der Westen, der die Ukraine seit Monaten mit Waffen und Milliardenbeträgen unterstützt, gemeinsam mit Kiew herausfinden muss, wann die Grenze dieses Krieges erreicht ist und wann es Sinn macht, in einem geeigneten Format mit Verhandlungen zu beginnen“, sagte die Verteidigungsministerin.
Das sei „eine schwierige Angelegenheit“, aber mit dieser Frage sollte sich die internationale Staatengemeinschaft jetzt verstärkt beschäftigen, so Tanner. „Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass die hohen Energiepreise, die eine Folge von Putins brutalem Angriffskrieg gegen die Ukraine sind, von den Menschen im Westen zunehmend als Belastung empfunden werden könnten.“ (27. Dezember)
Teuerung: Österreich hält sich im internationalen Vergleich gut
Wien – Die Inflation hat sich hierzulande in den vergangenen Monaten in lichte Höhen katapultiert – Werte von teilweise mehr als 10 Prozent im Jahresvergleich bedeuten das höchste Niveau seit der Nachkriegszeit. Vergleicht man die Situation mit anderen Ländern, stand Österreich mit zuletzt 10,6 Prozent aber noch relativ gut da. In Argentinien etwa wurde im November ein Preisauftrieb von kräftigen 92,4 Prozent erreicht, in der Türkei waren es laut OECD-Daten 84,4 Prozent.
Auch im EU-Vergleich schnitt die Alpenrepublik nicht allzu schlecht ab. Dort platziert man sich knapp unter dem November-Schnitt von 11,1 Prozent. Besonders mit der Teuerung kämpfen Litauen (22,9 Prozent) und Österreichs Nachbarland Ungarn (22,5 Prozent). Festzuhalten ist jedoch auch: Manche europäische Länder haben die Teuerung, die besonders von den hohen Energiepreisen getrieben wird, besser im Griff. Zu nennen sind etwa Frankreich mit 6,2 Prozent oder die Schweiz mit 3 Prozent. Etwas besser ist die Situation auch in Deutschland, wo im November eine Rate von 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen war. (28. Dezember)
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