Das Aufflammen des Gaza-Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Hamas hat eine Welle der Desinformation in Sozialen Netzwerken ausgelöst. Das hat die EU-Kommission alarmiert. EU-Kommissar Thierry Breton wandte sich in einem offenen Brief an den Besitzer der Plattform X, Elon Musk, und an andere Netzwerke, um sie zum Einschreiten gegen falsche Informationen zu ermahnen. Die ehemals Twitter genannte Plattform X reagierte und erklärte, sie habe Hunderte Hamas-nahe Nutzerkonten aus dem Netzwerk entfernt. Ist die Desinformation über den Nahost-Konflikt damit erledigt?
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Weiterhin zirkulieren zahlreiche Falschinformationen über die Situation im und um den Gaza-Streifen. Das betrifft sowohl falsche Behauptungen auf X wie in anderen Sozialen Netzwerken, wie viele Faktenchecks beweisen. Dabei lässt X auch Beiträge unbehelligt, die erwiesenermaßen falsch sind.
Fakten
In den ersten vier Tagen seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat X nach eigenen Angaben Zehntausende Posts auf seiner Plattform entweder gelöscht oder mit Hinweisen versehen; Nutzer hätten Notizen an Tausende Posts gehängt. Andere Soziale Netzwerke wie Meta (Facebook, Instagram) oder TikTok arbeiten mit unabhängigen, professionellen Faktencheck-Organisationen wie dem dpa-Faktencheck zusammen, um Falschinformationen wirksam einzudämmen.
Gänzlich stoppen lässt sich Flut inhaltlich falscher Beiträge auf den Internet-Plattformen damit allerdings nicht. Während Faktenchecker akribisch nachweisen, warum diese oder jene Angabe irreführend oder rundweg falsch ist, erfinden die Verbreiter von Desinformationen ständig neue Behauptungen. Eine Auswahl:
Die Fallschirmspringer in Kairo
Ein Post auf der Plattform Telegram soll zum Beispiel ein «Video der Hamas» sein, «die mit dem Fallschirm über Israel abspringt, um die Unschuldigen zu massakrieren». Zu sehen sind mehrere Fallschirmspringer, die in einer Stadt niedergehen und rund um ein Gelände landen, das wie ein Sportplatz aussieht. Tatsächlich wurde das Video jedoch in Ägypten aufgenommen und zeigt nicht die Hamas, wie ein Faktencheck nachweist. Die Falschinformation verbreitete sich in verschiedenen europäischen Ländern und Sprachen.
Ein General angeblich in Unterhose
Weit verbreitet war auch das Gerücht von der Entführung des israelischen Generals Nimrod Aloni. In Sozialen Netzwerken hieß es: «Die Palästinenser haben ihn heute Morgen aus seinem Haus geholt.» Dazu wurden zwei Bilder gezeigt: Einmal ein Mann mit grauen Schläfen in Uniform vor einer Israel-Flagge und einmal ein Mann ebenfalls mit grauen Haaren, der barfuß und mit zerrissenem T-Shirt von zwei uniformierten Männer weggeführt wird. Doch auch diese Bilder sind kein Beleg für eine Verschleppung. General Aloni ist in Videos und auf Bildern eines Treffens der israelischen Armee vom 8. Oktober 2023 zu sehen – dem Tag nach den Entführungen. Zudem dementiert das israelische Militär das Gerücht.
Die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus
Am 17. Oktober kam es zu einer tödlichen Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Beide Seiten des Gaza-Kriegs machten sich gegenseitig dafür verantwortlich. Ein Facebook-Post mit einem Bild sollte belegen, dass die israelische Armee einen Luftschlag ausgeführt und dies sogar vorher über einen offiziellen Account in den sozialen Netzwerken angekündigt hat. Auch das stellte sich als unwahr heraus: Das Bild ist kein Screenshot eines offiziellen Accounts der israelischen Streitkräfte (IDF). Das Facebook-Konto, das den Beitrag veröffentlicht hat, lässt sich inzwischen nicht mehr aufrufen. Ein IDF-Sprecher bezeichnete das Profil als Fälschung.
Völkerrecht gilt auch für israelische Soldaten
Auch die Behauptung, dass israelische Soldaten «für nichts verantwortlich gemacht werden», kursierte im Internet. Dies habe angeblich Verteidigungsminister Yoav Gallant gesagt. Alle «Regeln der Kriegsführung» seien aufgehoben worden, Kriegsgerichte werde es nicht geben. Das ist jedoch falsch. Auch für Israel und seine Streitkräfte gilt weiterhin das Völkerrecht. Für mögliche Kriegsverbrechen können die Soldaten und Soldatinnen vor einem Gericht verurteilt werden. Der israelische Verteidigungsminister hat nichts Gegenteiliges gesagt.
Schweigeminuten im UN-Menschenrechtsrat
Im Netzwerk X empörte sich ein Journalist, eine deutsche Vertreterin habe im UN-Menschenrechtsrat an einer Schweigeminute «nicht etwa für die ermordeten Juden, sondern für die getöteten Hamas-Terroristen» teilgenommen. Auch in einem Artikel heißt es, Deutschland gedenke «der getöteten Hamas-Terroristen». Tatsächlich gab es im UN-Menschenrechtsrat mehrere Schweigeminuten. Zunächst wurde der Opfer des Hamas-Terrors gedacht. Auf Wunsch eines pakistanischen Vertreters wurde später, seiner Formulierung nach, «getöteter Unschuldiger» in den Palästinensergebieten gedacht. Von getöteten Terroristen der radikalislamischen Hamas war nicht die Rede. Deutsche Vertreter beteiligten sich an beiden Schweigeminuten.
Das Freudenfeuer von Algier
Ein Videoclip zeigt eine Stadt, die in der Nacht in rotes Licht getaucht ist. Laute Knallgeräusche sind zu hören. Angeblich sei das der «Gaza-Streifen heute Abend nach israelischen Angriffen», heißt es in einem Telegram-Post vom 8. Oktober 2023. Nichts dergleichen ist wahr: Das Video zeigt Szenen in der Stadt Algier, wahrscheinlich während Fußballfans den Meisterschaftsgewinn feierten. Auch diese falsche Zuordnung des Videos verbreitete sich in anderen Ländern und Sprachen.
Das Handy mit Hakenkreuz in New York
Im im Zuge der weltweiten Reaktionen auf den Nahost-Konflikt wird im Netz auch ein Foto verbreitet, das angeblich Demonstranten in Frankfurt zeigen soll. Ein Mann hält auf dem Bild ein Handy hoch, auf dem man ein Hakenkreuz sieht. Doch eine genauere Prüfung zeigt: Die Behauptung ist falsch. Das Bild ist in New York entstanden.
Lange Reihe weiterer Falschberichte
Die Reihe von Social-Media-Berichten zur aktuellen Nahost-Krise, die als falsch erkannt wurden, ließe sich noch lange fortsetzen. Mal wird der Antidiskriminierungsstelle zu Unrecht vorgeworfen, sich nicht zu dem Angriff geäußert zu haben. Dann geht es um eine angeblich zerstörte Kirche in Gaza. Mal werden alte Bilder gepostet oder falsche Narrative über den ersten Angriff verbreitet. Auch manipulierte Fotos sind zu sehen und oder die falsche Behauptung, Medien täuschten das Publikum über eine Entführung.
X zeigt weiter falsche Behauptung zu US-Botschaft
Die Plattformen gehen mit den Falschnachrichten unterschiedlich um. Die Behauptung, die US-Botschaft in Beirut werde evakuiert, haben Faktenchecker am 13. Oktober als falsch bewertet. Auf der Plattform X, die dem EU-Kommissar Breton wortreich ein striktes Vorgehen gegen Fake News versprach, stand die Falschbehauptung aber auch mehr als eine Woche nach der Mahnung aus Brüssel noch online – ohne jede Inhaltswarnung. Bei Facebook hingegen wurde die falsche Nachricht unübersehbar als solche gekennzeichnet und mit einem entsprechenden Faktencheck verknüpft.
Links
Tweet Breton mit Brief an Musk (archiviert)
Antwort von X an Breton (archiviert)
Deutschlandfunk zu Angriff (archiviert)
Meta über Nahostkonflikt (archiviert)
TikTok über Faktenchecks (archiviert)
Faktencheck zu Fallschirmspringern auf Deutsch, Französisch
Faktencheck zu General Aloni auf Deutsch, Französisch, Niederländisch
Faktencheck zu Al-Ahli-Krankenhaus
Faktencheck zum UN-Menschenrechtsrat
Faktencheck zu Freudenfeuer auf Deutsch, Französisch, Niederländisch
Faktencheck zu Hakenkreuz-Bild
Faktencheck zu Antidiskriminierungsstelle
Faktencheck zu Angriff auf Festival
Faktencheck zu manipuliertem Foto
X-Tweet zu US-Botschaft, archiviert am 20.10.2023
Facebook-Post zu US-Botschaft, archiviert am 20.10. 2023
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