Bei den Europawahlen 2024 gewannen rechtsgerichtete und rechtsextreme Parteien in mehreren Ländern deutlich an Zuwachs. In Italien siegte die nationalkonservative und populistische Partei Fratelli d’Italia (FdI) unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. In Frankreich erhielt die rechtspopulistische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen die meisten Stimmen. In Deutschland erzielte die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) ihr bisher bestes Ergebnis und wurde Zweiter hinter der konservativen CDU/CSU. In Österreich wurde die rechtsgerichtete Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zur größten Partei.

Im Europäischen Parlament konnten die beiden Fraktionen mit den rechtspopulistischen Parteien, die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) und Identität und Demokratie (ID), deutlich zulegen. Die mit Abstand größte Fraktion im Europäischen Parlament, bleibt dennoch das pro-europäische Lager, wobei die Mitte-Rechts-Partei Europäische Volkspartei (EVP) die meisten Sitze erhält. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammentun würden, kämen sie wahrscheinlich auf weniger als 200 Sitze. Damit wären sie weit unter der erforderlichen Mehrheit von 361 Sitzen. 

Italien: Meloni stärkt ihre Position in der EU

In Italien erzielte Fratelli d’Italia 28,8 Prozent der Stimmen – was einen Zuwachs von über 20 Prozentpunkten gegenüber den Europawahlen 2019 bedeutet. Ein Linksbündnis um die sozialdemokratische Demokratische Partei (PD) erreichte mit 24,1 Prozent den zweiten Platz.

Meloni war Spitzenkandidatin der Fratelli d’Italia bei diesen Europawahlen, will aber nicht als Abgeordnete ins Europaparlament einziehen, sondern lieber als Ministerpräsidentin in Rom bleiben. Die 47-Jährige führt seit Oktober 2022 eine Koalition aus drei rechtsgerichteten Parteien. Das Ergebnis dürfte nun ihren Einfluss auf europäischer Ebene stärken.

„Italien kann sich bei der G7 und in Europa mit der stärksten Regierung überhaupt präsentieren“, betonte Meloni. Ihrer Ansicht nach haben die Europawahlen ihrer Regierung geholfen, ihre Position zu festigen.

Frankreich: Le Pens rechtsextreme Nationalisten an der Spitze

In Frankreich hat die rechtsnationalistische und populistische RN-Partei von Marine Le Pen mit 31,4 Prozent der Stimmen mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten wie die Renaissance-Partei des derzeitigen französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Infolgedessen kündigte der Staatschef Neuwahlen des Unterhauses des französischen Parlaments, der Nationalversammlung, an. 

Le Pens Erfolg löste landesweite Proteste aus. Hunderttausende demonstrierten am Wochenende nach den Europawahlen gegen ihre Partei.

Deutschland: AfD stärkste Kraft in Ostdeutschland

Auch Deutschland ist bei den Europawahlen nach rechts gerückt. Die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) kam mit 15,9 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz, ein Plus von fast fünf Prozentpunkten im Vergleich zu 2019. Noch besser schnitt die Partei in den fünf ostdeutschen Bundesländern ab, wo sie den ersten Platz belegte. 

Das konservative CDU/CSU-Bündnis, derzeit in der Opposition, erhielt mit 30,0 Prozent bundesweit die meisten Stimmen. Die Regierungsparteien im Bund – die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die Grünen und die Freien Demokraten (FDP) – mussten Verluste hinnehmen und erhielten zusammen knapp ein Drittel der Stimmen. 

Die nächste Bundestagswahl in Deutschland findet im nächsten Jahr statt. In den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg stehen im Herbst dieses Jahres Landtagswahlen an. Zu den wichtigsten Aufgaben der Landesparlamente gehören die Wahl des jeweiligen Ministerpräsidenten, die Kontrolle der Landesregierungen und die Verabschiedung von Landesgesetzen.

Österreich: Erstmals liegen die Rechten vorn

In Österreich liegen die Rechtspopulisten erstmals vorn. Die FPÖ, Mitglied der ID-Gruppe im Europäischen Parlament, erhielt 25,4 Prozent der Stimmen. Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) kam auf 24,5 Prozent, die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) folgte mit 23,2 Prozent. 

Im Wahlkampf betonte die FPÖ oft ihre EU-Skepsis mit dem Slogan „Stoppt den EU-Wahnsinn“ und kritisierte die EU als kriegstreibende Kraft in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Parteichef Herbert Kickl sieht sein Ziel, Österreichs nächster Bundeskanzler zu werden, in greifbarer Nähe. Im Herbst wählt Österreich ein neues Parlament.

Können rechte Parteien einen neuen Ton in der EU anschlagen?

Der Europäische Rat, bestehend aus den 27 Staats- und Regierungschefs, bestimmt in erster Linie den Kurs der EU. Die Europawahlen werden daran vorerst nichts Grundlegendes ändern.

Im Europäischen Rat, der regelmäßig Gipfeltreffen abhält, dominiert derzeit die Mitte-Rechts-Fraktion EVP. 13 Staats- und Regierungschefs gehören ihr an. Danach folgen die Sozialdemokraten und die Liberalen. Die einzigen eindeutig rechtsgerichteten Politiker im Europäischen Rat sind bisher Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. 

Die EVP bleibt auch die stärkste politische Kraft im Europäischen Parlament. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammentun würden, kämen sie wahrscheinlich auf weniger als 200 der 720 Sitze – weit entfernt von einer Mehrheit. 

Die EKR- und die ID-Fraktion im Europäischen Parlament sind sich in einer Reihe grundlegender Fragen uneins. Differenzen bestehen nicht nur zwischen den Fraktionen, sondern auch innerhalb der Fraktionen. 

„Es fällt den Nationalisten nach wie vor sehr schwer, auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, und das ist die entscheidende Rolle, warum sie keinen großen Einfluss auf die öffentliche Politik nehmen können“, sagte Nathalie Brack, außerordentliche Professorin für Politikwissenschaft an der ULB, in einem Interview mit dem European Newsroom (enr) im Mai. 

Dieser Artikel ist Teil von enr’s EU Elections Spotlight: Die EU nach den Europawahlen. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der am enr beteiligten Agenturen.