Die Europäische Union hat die lange blockierten Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien begonnen. In Brüssel wurden dazu im Juli die Ministerpräsidenten der beiden Länder zu den ersten Regierungskonferenzen begrüßt. Diese markierten den Start des Verhandlungsprozesses.
Der nordmazedonische Regierungschef Dimitar Kovačevski sagte, ein drei Jahrzehnte währender Traum seines Landes sei nun in Reichweite. Sein albanischer Amtskollege Edi Rama kommentierte, mit Freude und Stolz sitze Albanien nun am großen Tisch eines vereinten Europas, um die Verhandlungen über die Mitgliedschaft zu beginnen. „Wir wissen, dass dies nicht der Anfang vom Ende ist. Dies ist nur das Ende des Anfangs.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die deutsche Bundesregierung bezeichneten den Schritt als historisch. Von der Leyen betonte, dass Nordmazedonien und Albanien hätten hart für diesen Schritt gearbeitet.
Das rund 2,1 Millionen Einwohner zählende Nordmazedonien ist bereits seit 2005 Kandidat für einen EU-Beitritt, Albanien mit seinen rund 2,8 Millionen Bürgern seit 2014. Während Albanien feierte, dass der Prozess endlich beginnt, ist der Erfolg jedoch für Nordmazedonien bittersüß: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung und der politischen Kräfte hält den Preis für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen für zu hoch.
Was war geschehen?
Nordmazedonien wurde auf seinem Weg in die EU zunächst von Griechenland aufgrund eines Namensstreits blockiert. Es warf seinem Nachbarn vor, sich griechische Symbole anzueignen, da die griechische Nordprovinz Mazedonien heißt. Diese Blockade wurde schließlich mit dem Prespa-Abkommen überwunden, das im Sommer 2018 von Athen und Skopje unterzeichnet wurde. Das Abkommen führte zur Umbenennung der damaligen „ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ in Nordmazedonien. Obwohl das Abkommen Nordmazedonien die Türen zur NATO öffnete, verliefen die Gespräche mit der EU anders.
Die Regierungskonferenzen (RK) zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien sollten eigentlich schon im Jahr 2020 stattfinden. Doch der EU-Mitgliedstaat Bulgarien blockierte die notwendigen Entscheidungen wegen eines Streits mit Nordmazedonien. Bei dem Streit ging es unter anderem um die Auslegung der teilweise gemeinsamen Geschichte sowie um die Rechte der ethnischen Bulgaren in Nordmazedonien. Am 17. Juli unterzeichneten beide Seiten ein Protokoll zur Beilegung des Streits.
Die Lösung kam durch einen Vorschlag der französischen EU-Ratspräsidentschaft zustande, der stark von Albanien unterstützt wurde, dessen Verhandlungsgespräche ebenfalls auf Eis lagen, der Sofia dazu veranlasste, sein Veto fallen zu lassen. Der Streit, der tief in der Geschichte und kulturellen Identität verwurzelt ist, hat die mazedonische Gesellschaft tief gespalten. Was in Nordmazedonien als „französischer Vorschlag“ bekannt wurde, umfasste einige der Hauptforderungen Sofias, wie die Aufnahme eines bilateralen Protokolls in den EU-Verhandlungsrahmen, das sich mit der „gemeinsamen“ Geschichte beider Länder befasst, sowie die Aufnahme der bulgarischen Minderheit in die Verfassung Nordmazedoniens. Die schwierigste Frage war jedoch die der mazedonischen Sprache, die Bulgarien als einen Dialekt seiner eigenen Sprache betrachtet. Eine Schlüsselfrage für Bulgarien war der Schutz der Rechte der mazedonischen Bulgaren.
Der „französische Vorschlag“ wurde von der mazedonischen Regierung im Juni zunächst abgelehnt, aber am 24. Juni 2022 von Bulgarien akzeptiert. Um Nordmazedonien umzustimmen, arbeitete die französische Präsidentschaft eine Reihe von Änderungen aus, die vor allem das bilaterale Protokoll und die Sprache betrafen, so dass die mazedonische Regierung das Abkommen akzeptieren konnte. Dadurch wurde auch der Weg Albaniens frei, das zumindest in dieser Phase an den von Skopje gebunden ist. In dem geänderten Verhandlungsrahmen wird das umstrittene bilaterale Protokoll nicht mehr ausdrücklich erwähnt, und beide Länder können eine einseitige Erklärung zur Sprache abgeben.
Der Premierminister Nordmazedoniens, Dimitar Kovačevski, erklärte am 20. Juli, dass „nach 17 Jahren endlich der Prozess der Aufnahme Nordmazedoniens in die große europäische Familie begonnen hat. Wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen, ein europäisches Kapitel, das schnellere Entwicklung, Wohlstand und Stabilität bringen wird“.
Nordmazedonien: Politische Herausforderungen bei der Änderung der Verfassung
Den Weg zu EU-Verhandlungsgesprächen freizumachen, stellt zweifellos eine politische Herausforderung dar. Die erforderlichen Verfassungsänderungen, die die bulgarische Minderheit in die Verfassung aufnehmen würden, erfordern eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Ohne die Stimmen der Opposition ist dies nicht möglich.
Hristijan Mickoski, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der rechtsgerichteten VMRO-DPMNE, sagte, dass der geänderte Vorschlag immer noch die gleichen bulgarischen Forderungen enthält. „Er fügte hinzu, dass der Text auch bedeute, dass Nordmazedonien „akzeptiert, dass die mazedonische Sprache ein Dialekt des Bulgarischen ist“. Die Opposition hatte im Juli tagelang zahlreiche Proteste gegen das Abkommen organisiert.
Zwischen den triumphalen Tönen der Regierung und den düsteren Tönen der Opposition gibt es einige überparteiliche Stimmen, wie die von Dragan Tilev, einem langjährigen Beamten im Büro für europäische Angelegenheiten, die vielleicht am ausgewogensten sind. In einem Interview mit MIA erklärte Tilev:
„Aus den Schlussfolgerungen des Rates und den Erklärungen der EU-Beamten geht hervor, dass die Verhandlungen nicht fortgesetzt werden, solange die Verfassungsänderungen nicht durchgeführt werden. Das ist eine enorme Belastung für unsere Gesellschaft und eine große politische Herausforderung, die nicht lange schwelen darf.“
Nächste Schritte
Bei den Regierungskonferenzen wurden den beiden Kandidatenländern offiziell die Leitlinien und Grundsätze für die Verhandlungen vorgestellt. Auf deren Grundlage kann die EU-Kommission nun mit den sogenannten Screenings beginnen. Dabei prüft die Behörde, inwieweit das nationale Recht des Kandidatenlandes von den EU-Rechtsvorschriften abweicht und Anpassung bedarf. Im Anschluss an die «Screenings» kann die Kommission dann vorschlagen, sogenannte Verhandlungskapitel zu eröffnen. Damit die Empfehlungen umgesetzt werden können, braucht es erneut eine einstimmige Entscheidung der EU-Staaten. Insgesamt kann der Verhandlungsprozess viele Jahren dauern und bei Problemen auch wieder gestoppt werden.
Nordmazedonien muss nun seine Verfassung ändern, um die getroffenen Vereinbarungen umzusetzen. Konkret geht es dabei um die offizielle Anerkennung der Bulgaren als ethnische Minderheit in Nordmazedonien.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.