Ein Jahr nach Beginn des Konflikts forderte Olena Selenska, Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, am Mittwoch in einer Videobotschaft an die Vereinten Nationen, dass Russland für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müsse. „Ein Sieg der Ukraine wäre ein Sieg der Menschenrechte über Rechtlosigkeit, Folter und Zerstörung. Darum bedeutet Gerechtigkeit für die Ukraine Gerechtigkeit für die ganze Welt“, äußerte sie gegenüber UNO-Delegierten.
Nach einem Jahr des russischen Krieges in der Ukraine betonen die EU und die USA weiterhin, dass sie hinter der Ukraine stehen und die militärische Aggression Russlands verurteilen. Gemeinsam mit Washington unterstützen die europäischen Staats- und Regierungschefs Kiew mit Waffenlieferungen. Bislang wurden 3,6 Milliarden Euro aus der Europäischen Friedensfazilität mobilisiert. Hinzu kommt militärische Ausbildung für ukrainische Streitkräfte. Insgesamt beläuft sich die militärische Unterstützung der Ukraine durch die EU aus der Europäischen Friedensfazilität und direkt durch die Mitgliedsstaaten bisher auf rund 12 Milliarden Euro.
Außerdem versucht die EU, die russische Wirtschaft mit harten Sanktionen zu schwächen.
Unmittelbar nach Beginn der militärischen Operationen in der Ukraine schien es, als würde die russische Wirtschaft aufgrund der beispiellosen westlichen Sanktionen kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Die Börse wurde für einen Monat geschlossen, der Wechselkurs des Rubel stürzte ab und es drohten ein 8-prozentiger Rückgang des BIP und 20 Prozent Inflation. Zwölf Monate später ist nun klar, dass Moskau zwar getroffen wurde, aber weder in die Knie gegangen ist, noch von der Welt isoliert wurde, insbesondere aufgrund eines starken Anstiegs seiner Einnahmen aus Öl und Gas. Wie Oleg Itskhoki, Wirtschaftswissenschaftler an der UCLA, ausführt, könne aufgrund der sinkenden Energiepreise allerdings „der Zenit der Krise erst in 2023 erreicht werden“.
Bei einem außerordentlichen Treffen des Rats der Europäischen Union warnte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez die EU davor, den Druck auf den Kreml zu verringern. Er erinnerte daran, dass es vielmehr nötig sei, die im Laufe der letzten 12 Monate verabschiedeten Sanktionspakete zu verstärken und verbliebene Schlupflöcher zu schließen. Sánchez forderte, dass das zehnte Sanktionspaket am 24. Februar in Kraft treten müsse.
Zudem betonte der spanische Premier, dass es angesichts der russischen Invasion von elementarer Bedeutung sei, die Einheit der EU zu wahren und sicherzustellen, dass auch Nicht-EU-Länder den vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgelegten Friedensplan unterstützen.
Laut dem kroatischen Ministerpräsidenten Andrej Plenković ist das Schlüsselwort für die Ukraine und den Westen Nachhaltigkeit: „Nachhaltiger Widerstand der Ukrainer, nachhaltige westliche Hilfen für die Ukraine und ein nachhaltiges Vorgehen der westlichen Regierungen, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern: Energiepreise, Inflation, Ernährung und Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in unseren Ländern.“
Humanitäre und finanzielle Hilfen
Über die militärische Unterstützung hinaus haben die EU und ein Großteil ihrer Mitgliedsstaaten der Ukraine umfassende finanzielle und humanitäre Hilfen zur Verfügung gestellt und dabei stets betont, dass die Ukraine auf die Hilfe der EU zählen kann, so lange dies nötig ist. Außerdem wurde erstmals in der Geschichte der EU die Leitlinie über die Gewährung vorübergehenden Schutzes (Richtlinie 2001/55/EG) einhellig von sämtlichen Mitgliedsstaaten umgesetzt. Sie garantiert den Schutzsuchenden Aufenthaltsrechte sowie Zugang zu Wohnraum, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Beschäftigung. Bislang haben rund 4 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine vorrübergehenden Schutz beantragt.
Slowenien unterstützt die Ukraine mit humanitären, materiellen und militärischen Hilfen. Abgesehen von der Hilfe für rund 8.000 ukrainische Geflüchtete, die bislang in Slowenien vorrübergehenden Schutz beantragt haben, hat das Land auch Unterstützung bei der Instandsetzung kritischer Infrastruktur und der Räumung von Minen zugesichert. Außenministerin Tanja Fajon schätzte unlängst, dass Slowenien bereits Hilfen in einem Gesamtwert von mehr als 27 Millionen Euro an die Ukraine geleistet habe.
Bulgarien war seit letztem Februar Transitland für rund 1,1 Millionen ukrainische Geflüchtete. Davon haben laut Daten des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Geflüchtete ca. 150.000 um internationalen Schutz ersucht und 50.000 haben sich entschlossen, in Bulgarien zu bleiben. Wie das bulgarische Außenministerium bekannt gab, hat Bulgarien der Ukraine bislang humanitäre und andere Hilfen in einem Gesamtwert von 240 Millionen Euro geleistet. Sofia hat militärische Ausrüstung sowie Materialien für Unterkünfte und Selbstschutz in die Ukraine geliefert und verletzte ukrainische Soldaten zur Behandlung aufgenommen. Im Rahmen der militärischen Unterstützungsmission der EU (EUMAM Ukraine) bilden bulgarische Experten außerdem ukrainisches Militär aus.
Bosnien und Herzegowina uneins über Ukraine-Krieg
Mit Unterschrift des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit der Europäischen Union hat sich Bosnien und Herzegowina (BiH) verpflichtet, in punkto Sicherheits- und Außenpolitik dem Kurs der EU zu folgen. In der Praxis wirft dies jedoch Probleme auf. Während die beiden in der Föderation Bosnien und Herzegowina gewählten Präsidiumsmitglieder Željko Komšić und Denis Bećirović die russische Invasion unmissverständlich verurteilen, vertritt die in der Entität Republika Srpska (RS) gewählte Vorsitzende des dreiköpfigen Staatspräsidiums, Željka Cvijanović, die Auffassung, dass Bosnien und Herzegowina in dem Konflikt neutral bleiben sollte – obwohl die RS enge Verbindungen mit Moskau pflegt.
Als der Krieg bereits begonnen hatte, trafen sich Cvijanović und Milorad Dodik, Vorsitzender der serbischen Partei Allianz Unabhängiger Sozialdemokraten (SNSD) in BiH, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und versicherten ihm, dass sich Bosnien und Herzegowina in Sachen Ukraine nicht auf die Seite des Westens schlagen werde. Eine Delegation der Nationalversammlung der Republika Srpska, angeführt von ihrem Vorsitzenden Nenad Stevandić, reiste diese Woche nach Moskau, um dort erneut zu versichern, dass sich die RS der „antirussischen Hysterie nicht anschließen“ werde. Gleichzeitig verurteilte man jeden Versuch, die Republika Srpska als eine russische Plattform in Europa darzustellen. „Wir hoffen, die Zukunft wird zeigen, dass wir mit unserer neutralen Haltung richtig lagen. Kleine Länder wie das unsere können es sich nicht leisten, sich in Konflikte einzumischen“, fügte Stevandić hinzu.
Diese Spaltung innerhalb des Staates schürt Befürchtungen, dass die russisch-ukrainische Krise auf Bosnien und Herzegowina übergreifen könnte, auch wenn Analysten glauben, dass eine Destabilisierung der Westbalkanländer derzeit kein realistisches Szenario ist. Dennoch wurden die EUFOR-Truppen in Bosnien und Herzegowina im vergangenen Jahr um 500 Soldaten verstärkt, weil man just eine solche Ausweitung der Krise insbesondere auf Bosnien und Herzegowina für möglich hielt.
Eine neue Weltordnung?
Die russische Invasion des Nachbarlandes hat die Weltordnung zum Teil auf den Kopf gestellt und zu einer Blockbildung geführt, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zu beobachten war. Der Krieg hat Konflikte und Konfrontationen verschärft und die bereits zuvor existierende Tendenz der Länder zur Blockbildung um Washington oder Peking verstärkt.
„Wir haben uns in Richtung einer ungeordneten, multipolaren Welt bewegt, in der Alles eine Waffe ist: Energie, Daten, Infrastruktur, Migration“,
äußerte Josep Borrell, Chef der EU-Außenpolitik, im Dezember.
„Geopolitik ist das Schlagwort, Alles hat eine geopolitische Dimension“, so Borrell.
In Zentralasien, im Kaukasus, auf dem Balkan, in Afrika und in der Region Asien-Pazifik konkurrieren Mächte wie China, die EU, Russland und die Türkei um Einfluss, sei es durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten oder durch den Abschluss von Kooperationsverträgen in den Bereichen Handel, Militär oder Diplomatie.
Der Krieg in der Ukraine hat für zusätzliche Neuentwicklungen gesorgt, indem er den Zugriff Russlands auf die früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien geschwächt und der Türkei eine neue Rolle als Vermittlerin eröffnet hat.
„Bei dieser chaotischen Neugruppierung handelt es sich um eine reale, aber wahrscheinlich vorrübergehende Phase“, kommentierte Pierre Razoux, Leiter des französischen Think Tanks FMES. „Russland und Europa werden unweigerlich geschwächt und zermürbt aus dem Krieg hervorgehen, während die USA und China die großen Gewinner der Situation sein dürften“, fügte er hinzu.
Reale und potenzielle Herausforderungen
Obwohl noch kein Ende des Kriegs in Sicht ist, hat der russische Präsident Wladimir Putin den Widerstandsgeist der Ukraine offenbar unterschätzt und darauf gezählt, die Einigkeit innerhalb der EU und der NATO aufbrechen zu können. Bislang ist es der EU – abgesehen von einigen Zugeständnissen an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der sich weigert, Waffen an die Ukraine zu liefern – allerdings gelungen, ihre Einheit zu wahren und für Sanktionen zu stimmen.
Was die Abhängigkeit zahlreicher EU-Staaten von russischem Gas und Öl betrifft, ist es fast allen von ihnen gelungen, alternative Energiequellen zu erschließen, wenn auch zu deutlich höheren, die Inflation verschärfenden Preisen. Die westliche Haltung zu Russland könnte sich verkomplizieren, wenn China sich entschließt, Russland militärische Unterstützung zu gewähren. Dies würde die Lage der Ukraine deutlich verschlechtern. Die Vereinigten Staaten und die EU haben daher Peking öffentlich vor einem solchen Schritt gewarnt.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.