Die Preise auf dem Energiemarkt sind so niedrig wie seit Monaten nicht mehr. Europäische Politiker mögen das bereits als Ergebnis des EU-Gipfels letzter Woche bewerten: „Die gestern Abend getroffenen Entscheidungen haben zu einem Rückgang des Gaspreises geführt“, sagte der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi am 21. Oktober. „Nach der Einigung sank der Preis um 10 Prozent, was zeigt, dass Spekulation ein wichtiger Faktor ist“, fügte Draghi hinzu. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte, die Einigung auf dem Gipfel habe bereits zu einem Preisrückgang geführt. Jedenfalls haben die langwierigen Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschefs zu Ergebnissen geführt – die vorgeben, wie die Energiekrise zu bewältigen ist. Zu diesen gehören ein Preisdeckel, gemeinsame Gaseinkäufe und ein neuer Preisindex für Flüssiggas. Was beinhalten die einzelnen Vorschläge?
Gaspreisdeckel light
Seit Monaten verhandeln die Mitgliedstaaten darüber, wie eine solche Preisobergrenze aussehen könnte. Mehrere Länder, darunter Italien, Belgien, Griechenland und Polen, drängen auf eine Preisobergrenze für „alle Erdgas-Geschäfte auf dem Großmarkt“. Deutschland und die Niederlande haben argumentiert, dass eine solche Preisobergrenze die Versorgungssicherheit gefährden oder zu einem erhöhten Gasverbrauch führen könnte. Das Ergebnis der EU-Staats- und Regierungschefs ist, an einer Gaspreisobergrenze zu arbeiten, um extreme Preisspitzen zu begrenzen. In ihrer gemeinsamen Erklärung heißt es, ein „befristeter dynamischer Preiskorridor für Erdgasgeschäfte“ würde die Versorgungssicherheit nicht gefährden. Dies gilt als der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle Länder einigen konnten. Eine Reihe von Staats- und Regierungschefs bezeichneten die Ergebnisse des Gipfels als Erfolg.
Der vorgeschlagene Mechanismus soll nicht das aktuelle Preisniveau drücken, sondern nur dann zum Einsatz kommen, wenn Manipulationen wie beispielsweise der russische Lieferstopp über Nord Stream 1 die Preise in die Höhe treiben. Der Gipfelkompromiss blieb vage. Für die kommenden Wochen und Monate wurde ein „Fahrplan“ vereinbart.
Gemeinsame Gaseinkäufe
Die EU-Mitgliedstaaten einigten sich auch darauf, gemeinsam Gas einzukaufen. Eine neue EU-Plattform für gemeinsame Gaseinkäufe soll die Befüllung der Speicher koordinieren. Der gemeinsame Einkauf erfolgt auf freiwilliger Basis, mit Ausnahme einer obligatorischen Beteiligung der Mitgliedsländer über mindestens 15 Prozent der Speicherfüllstände. Nach der Debatte sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, dass einige Maßnahmen, wie der gemeinsame Gaseinkauf, leichter umzusetzen seien als andere – wie die Vermeidung von Gaspreisspitzen.
Entwicklung eines neuen Preisindexes
Die Mitgliedstaaten einigten sich auch darauf, bis Anfang 2023 einen neuen Gaspreisindex zu schaffen, der nicht so anfällig für spekulative Schwankungen ist, wie der derzeitige. Daher beauftragten die EU-Staats- und Regierungschefs die Europäische Kommission mit der Entwicklung eines ergänzenden Preisindexes für verflüssigtes Erdgas (LNG) als Alternative zum niederländischen Gaspreisindex der Transfer Title Facility (TTF), der in der Vergangenheit hauptsächlich für Pipelinegas verwendet wurde. Der Gaspreisindex dient als Referenzpreis für viele Erdgastransaktionen in der gesamten EU.
Treffen der Energieminister
Die Energieminister sind bereits am Dienstag zusammengekommen, um die vorliegenden Vorschläge zu erörtern.
Vereinbarung über gemeinsame Käufe
Der kroatische Minister für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung, Davor Filipović, erklärte, die Mehrheit der Mitgliedstaaten befürworte die gemeinsame Gasbeschaffung und die Schaffung eines neuen Indexes, der die Großhandelspreise für Gas stabilisieren und begrenzen soll. Sie sprachen sich auch für die Einrichtung eines Preiskorridors aus, der den niedrigsten und den höchsten Gaspreis vorsehen würde.
Darüber hinaus erklärte EU-Energiekommissarin Kadri Simson nach dem Treffen am Dienstag, dass die EU-Energieminister den Vorschlag der Kommission unterstützen, den gemeinsamen Einkauf von Gas ab dem nächsten Jahr einzuführen.
Gemeinsame Einkäufe seien der „effizienteste Weg“, um den Gaspreis in der EU zu senken, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seiner Ankunft zu den Gesprächen. „Europa hat eine große Marktmacht. Wenn sich die großen Akteure absprechen dürfen – Einkaufsgemeinschaften bilden sollen oder dürfen – dann wird sich die Marktmacht Europas auswirken“, erklärte er.
Meinungen zur Preisobergrenze gehen weiter auseinander
Es habe breite Unterstützung gegeben für die „Einführung einer dynamischen Preisobergrenze für Strom und Gas, die übermäßige Preisspitzen im Falle einer Marktpanik begrenzen würde“, sagte der tschechische Industrieminister Jozef Sikela auf der Pressekonferenz nach dem Treffen.
Allerdings hätten die Minister „recht unterschiedliche Ansichten“ über einen Mechanismus zur Begrenzung des Gaspreises, der am TTF gehandelt wird, wie er zuvor von der Kommission vorgeschlagen worden sei, so Sikela, der den Vorsitz des Treffens führte. Bulgarien beispielsweise sprach sich auf dem Treffen für eine Begrenzung des Gaspreises aus, sofern die Begrenzung alle importierten Mengen abdeckt. „Die Hauptfrage ist, wie wir sicherstellen können, dass die Deckelung es uns immer noch ermöglicht, das Gas, das wir brauchen, auf dem Markt zu kaufen“, sagte Sikela.
Eine andere Idee, nämlich die Begrenzung des Gaspreises für Elektrizitätskraftwerke – eine Lösung, die von Frankreich vehement befürwortet, von Deutschland jedoch abgelehnt wird – wurde nach der Veröffentlichung eines Kommissionsdokuments diskutiert. In dem Papier ging es um die unerwünschten Auswirkungen einer Ausweitung dieses Instruments, das derzeit nur in Spanien und Portugal angewandt wird.
Brüssel weist insbesondere auf das Risiko einer Erhöhung des europäischen Gasverbrauchs, auf die variablen finanziellen Kosten der einzelnen Staaten und auf die Gefahren der Subventionierung von Stromexporten in Drittländer hin.
„Jetzt liegt es an den Mitgliedstaaten, eine Lösung zu finden, insbesondere wie man die Stromflüsse in Drittländer in den Griff bekommt und wie man sich auf die Grundsätze der Kostenteilung einigen kann“, erklärte Energiekommissarin Kadri Simson auf der Pressekonferenz. „Diese Analyse ist notwendig, bevor wir [die EU-Kommission] einen Legislativvorschlag zu diesem Mechanismus vorlegen werden“, aber „eine weitere notwendige Voraussetzung … ist eine ausreichend breite Unterstützung unter den Mitgliedstaaten, um diesen Vorschlag voranzubringen“, fügte sie hinzu.
Ergebnisse im November?
Für die französische Energieministerin Agnès Pannier-Runacher, „liegt der Ball bei der Kommission“: Die 27 Mitgliedstaaten hätten der europäischen Exekutive „ein einvernehmliches und einstimmiges Mandat“ erteilt, „sehr schnell einen Vorschlag zu diesem Thema zu erarbeiten“, betonte sie.
Innerhalb der belgischen Regierung, die auf eine ehrgeizigere Preisobergrenze gedrängt hatte, wächst die Frustration darüber, dass der Rat nach monatelangen Diskussionen immer noch nicht in der Lage ist, konkrete Entscheidungen zu treffen, weil die Kommission noch keine detaillierten, technischen Vorschläge auf den Tisch gelegt habe. Die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten erwartet nun, dass die Kommission Vorschläge für einen zeitlich befristeten Mechanismus zur Begrenzung von Episoden überhöhter Gaspreise vorlegt.
Der kroatische Wirtschaftsminister Filipović geht davon aus, dass beim nächsten Treffen der Energieminister am 24. November eine Einigung erzielt werden kann. Laut dem slowenischen Infrastrukturminister Borjan Kumer ist dies der letztmögliche Tag, um sich auf die Maßnahmen zu einigen. „Ich möchte nicht die Qualität opfern, um eine Woche früher eine Einigung zu erzielen“, so Kumer.
Nach dem EU-Gipfel letzte Woche zeigte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicher, dass ein „dynamischer Preiskorridor“ eingeführt werde. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wies darauf hin, dass „noch viel technische Arbeit zu leisten ist“. Nach seinen Worten müssen die Minister einen möglichen Beschluss zu diesem Thema einstimmig fassen, andernfalls werde sich ein EU-Gipfel erneut damit beschäftigen müssen.
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