Brüssel/Wien – Er sei kein großer Freund von Strompreisdeckelungen, erklärte der österreichische EU-Budgetkommissar Johannes Hahn in einem am Samstag ausgestrahlten Interview im Ö1-Mittagsjournal. Man müsse jetzt zielgerichtet unterstützen: „Wenn einkommensschwache Haushalte unter den hohen Energiepreisen leiden, sollte ihnen prioritär und direkt geholfen werden“, so Hahn. Die EU werde einen europäischen Notfallplan für den Winter verabschieden.
Ziel dieses Plans ist es laut Hahn, „im Geiste der europäischen Solidarität“ gemeinsame Maßnahmen zur Sicherstellung der Energie ergreifen. Zudem wolle man Kapazitäten aufbauen, um anderen Ländern zu helfen. Man habe bereits entscheidende Schritte gemacht: „Wir haben seit März die Flüssiggasversorgung um 75 Prozent gesteigert, aus den USA verdreifacht.“ Hahn selbst habe vor kurzem mit Unternehmern gesprochen, die für den Flüssiggastransport Waggons produzieren. So könnten Binnenländer wie Österreich auch ohne Häfen aus anderen Quellen und geografischen Ecken versorgt werden können.

Zum Vorschlag, ähnlich wie in den Niederlanden ein Schiefergasfeld in Niederösterreich anzubohren, sagte Hahn: „In so einer Situation muss es absolute Gedankenfreiheit geben.“ Aktuell gehe es aber um diesen und möglicherweise nächsten Winter. „Daher müssen wir jetzt auf Quellen zurückgreifen, die es schon gibt“, so Hahn. Die Niederlande hatten zuletzt trotz Erdbebengefahr ein altes Gasfeld reaktiviert, um sich von Gaslieferungen unabhängiger zu machen.
Hahn ist zudem für die Forcierung eines europäischen Energiepreises: „Wenn wir gemeinsam als Einkäufer tätig werden, können wir ganz andere Preise am internationalen Markt erzielen.“ Weiters spricht er von einem starken „Schub in Richtung erneuerbare Energie“. Der Krieg in der Ukraine beschleunige die Frage des „grünen Übergangs“.
Auch zum Kandidatenstatus der Ukraine zum EU-Beitritt äußerte Hahn sich und bezeichnete ihn als ein „klares und wichtiges politisches Signal an die ukrainische Bevölkerung und ihre Widerstandsfähigkeit“.
Es gelte, den Ukrainern den Rücken zu stärken. Laut Hahn hat die Ukraine in der jüngeren Vergangenheit erhebliche Reformen gemacht: „Die Ukraine befindet sich nicht im europäischen Mittelalter.“ Das gleiche gelte für Moldawien. Natürlich sei noch viel zu tun, wie Hahn betont: „Es gibt keinen Mitgliedsstatus zum Discount.“ Entsprechende Verhandlungen könnten erst stattfinden, wenn es keinen Krieg mehr gibt.
Hahn war bis 2019 fünf Jahre lang als EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen mit der Ukraine beschäftigt, bevor er die Agenden EU-Haushalt und Verwaltung übernahm. (9.7.2022)
Wifo-Chef Felbermayr: Bei Gasmangel könnte sich Inflation verdoppeln
Berlin – Wifo-Chef Gabriel Felbermayr rechnet mit einem weiteren Anstieg der Inflation auf neun Prozent. Wenn es aber über den Winter nicht genug Gas gibt, könnte sich die Inflation noch einmal verdoppeln – das wären 18 Prozent. Für den Rest des Jahres 2022 werde die Konjunktur noch gut laufen, aber ab Dezember werde es „möglicherweise sehr dick kommen“, sagte Felbermayr am Donnerstagabend in der Verbund-Diskussionsveranstaltung „Energiewende – aber sicher“ in Berlin.
„Da schlummert gewaltiges soziales Konfliktpotenzial“, warnt der Wifo-Chef .
Dann werde vieles nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Regeln über die Bühne gehen. Es drohten „kriegswirtschaftliche Zustände“, die die Menschen „auf die Straße treiben“ könnten. Dann sei auch wieder Kurzarbeit zu erwarten, „mit schnell sehr großen Zahlen“. Da würden Einmalzahlungen nichts helfen, die Menschen würden nur mehr merken, dass ihnen zur Monatsmitte das Geld ausgeht.
Von Kriegswirtschaftszuständen im Winter sprach auch der frühere EU-Kommissar aus Deutschland, Günther Oettinger. Es werde „einen Gaspreis geben, der sich gewaschen hat“, da der russische Präsident Wladimir Putin „den Gashahn auf- und zudrehen“ und damit die Befüllung der Speicher verhindern werde. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sprach von einem „Tal der Tränen“ durch das man durchmüsse und sagte, man müsse der Realität ins Auge blicken, „dass wir mit einem Wohlstandsverlust rechnen müssen“. Es werde sich die Frage stellen, „was hält man aus“. Angesichts dessen, was Europa möglicherweise jetzt bevorstehe „war die Coronapandemie nur zum Warmlaufen“ sagte die Ministerin.
Felbermayr forderte im Kampf gegen hohe Energiepreise eine Abkoppelung des Strompreises vom Gaspreis. Ein Preisdeckel müsste auf jeden Fall im europäischen Gleichschritt erfolgen und werde auch „zig Milliarden“ kosten, sei aber dennoch effizienter als Maßnahmen wie Sondersteuern auf Energieunternehmen oder ein Tankrabatt. Allerdings hätte es zahlreiche Folgekosten wie Exportverbote für den mit Steuergeld verbilligten Strom.

Dem hielt Verbund-Chef Michael Strugl entgegen, dass solche Eingriffe in den Strommarkt unweigerlich zu einem staatlich regulierten Preis führen müssten „wie bei uns vor 20 Jahren“ – was er ablehne. Auch habe der Preisdeckel in Spanien und Portugal dazu geführt, dass dort „Gaskraftwerke Tag und Nacht laufen“ – das würde den Gasmangel noch beschleunigen. Aus seiner Sicht ist die einzige Alternative, so rasch wie möglich neue Kapazitäten für erneuerbare Energie zu schaffen. „Wir müssen bauen, bauen, bauen“, so Strugl. Erst wenn genug Kraftwerke mit erneuerbarer Energie zur Verfügung stünden, würden fossile Kraftwerke aus dem Markt gedrängt. In der Übergangszeit müsse man sozial Bedürftige und betroffene Unternehmen unterstützen. (8.7.2022)
VCÖ: Netto-Benzinpreis im EU-Vergleich am stärksten gestiegen
Wien – Der Netto-Benzinpreis, also ohne Steuern und Abgaben, ist in Österreich seit Kriegsbeginn im EU-Vergleich am stärksten gestiegen. Auch der Netto-Dieselpreis legte stärker zu als im EU-Schnitt. Das hat der VCÖ nach Analyse von Daten der EU-Kommission herausgefunden, wie er am Freitag mitteilte. Bei beiden Spritsorten betrug das Preisplus per 4. Juli 46 Cent pro Liter gegenüber dem 28. Februar. Im EU-Schnitt waren es laut VCÖ bei Benzin 35 Cent und bei Diesel 38 Cent.

Der VCÖ rät den Autofahrerinnen und Autofahrern, durch Fahrgemeinschaften, Temporeduktion und vorausschauendes Fahren Sprit zu sparen und bei kurzen Distanzen zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nehmen. Der Politik legt der Mobilitätsklub eine „Sondersteuer auf Übergewinne nach italienischem Vorbild“ nahe. (8.7.2022)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl der APA-Europaberichterstattung. Die redaktionelle Verantwortung für die Veröffentlichung liegt bei der APA. Sie wird montags und donnerstags veröffentlicht.