Brüssel/Wien – Die EU-Kommission hat am Mittwoch neue Pläne für einen deutlich lockeren Umgang mit der Neuen Gentechnik (NGT) in der Landwirtschaft vorgestellt. Neue Mutationsverfahren wie die Genschere Crispr/Cas sollen demnach künftig einfacher zum Einsatz kommen und damit bearbeitete Pflanzen nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Ziel der Deregulierung ist unter anderem, gegen Wassermangel oder Schädlinge widerstandsfähigere Gewächse zu züchten.
Die EU-Kommission schlägt vor, gentechnisch veränderte Pflanzen in zwei Kategorien zu unterteilen. Für beide sollen unterschiedliche Anforderungen gelten, um auf den Markt zu gelangen.
Die erste Kategorie enthält Pflanzen, die mit natürlich vorkommenden Pflanzen vergleichbar sind. Ihre gentechnischen Veränderungen könnten auch natürlich entstehen. Pflanzen der ersten Kategorie würden einem Überprüfungsverfahren unterzogen. Erfüllen sie bestimmte Kriterien, gelten sie laut Vorschlag als normale Pflanzen und fallen nicht mehr unter die Anforderungen der geltenden EU-Gentechnik-Richtlinie.
Pflanzen der zweiten Kategorie würden hingegen umfangreicheren Tests unterzogen. In die zweite Kategorie fallen Gewächse mit komplexeren Veränderungen im Genom. Sie müssten wie bisher die umfangreichen Verfahren zur Risikobewertung durchlaufen, die in der geltenden EU-Regelung vorgesehen sind. Allerdings könnte es Ausnahmen geben: Für Pflanzenzüchter oder Saatguthersteller, die zur nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen könnten, will die EU-Kommission verkürzte Verfahren oder reduzierte Zulassungskosten erlauben.
Die neuen Gentechnik-Regelungen sind Teil des am Mittwoch vorgelegten „Food and Biodiversity Package“ der EU-Kommission. Darin enthalten sind auch Gesetzesvorschläge zur Bodengesundheit sowie für Reformen des Saatgutrechts bzw. der Abfallrahmenrichtlinie. EU-Staaten und Europaparlament müssen die Vorschläge jetzt diskutieren und einen Kompromiss ausarbeiten.
„Wir haben uns in Österreich als Vorreiter der Bio- und gentechnikfreien Landwirtschaft positioniert. Strenge Regelungen auch für die sogenannte ’neue Gentechnik‘ sind gemeinsame Regierungsposition. Der Vorschlag der Kommission ist eine Gefahr für den österreichischen Weg der Landwirtschaft und nimmt Konsument:innen auch ihre Wahlfreiheit“, sind sich Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), Konsumentenschutzminister Johannes Rauch (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) einig. „Wir werden das nicht zulassen, uns daher mit aller Kraft in Brüssel dafür einsetzen, dass auch weiterhin strenge Regeln für gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel gelten. Dass die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten zwingen will, den unkontrollierten Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erlauben, ist inakzeptabel.“
Greenpeace-Landwirtschaftssprecherin Melanie Ebner fordert von Landwirtschaftsminister Totschnig ein klares „Nein“ zur neuen Gentechnik: „Die Menschen in Österreich und Europa haben ein Recht darauf zu erfahren, was auf ihren Tellern landet. Auch Bäuerinnen und Bauern müssen weiterhin die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob Gentechnik auf ihren Feldern eingesetzt wird oder nicht.“ „Der Ausschluss von NGT-Pflanzen von der Kennzeichnung dient dazu, neue Märkte für bereits große Agrarkonzerne zu öffnen und streicht die Transparenz für Lebensmittelhersteller:innen und Einzelhändler:innen“, kritisierte Brigitte Reisenberger, GLOBAL 2000 Gentechniksprecherin. Der „Lebensmitteleinkauf wird damit zum Lotteriespiel“, zeigte sich BIO AUSTRIA Obfrau Barbara Riegler entsetzt. Auch für Heidi Porstner, Leiterin von foodwatch Österreich, ist der Vorschlag „inakzeptabel“. Es würden „rote Linien für Österreich überschritten“ und der Vorschlag sei daher abzulehnen, so ÖVP-EU-Abgeordneter Alexander Bernhuber. „Mehr hätte sich die Gentechnik-Lobby gar nicht wünschen können“, kritisierte EU-Parlamentarier Günther Sidl (SPÖ).
Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, bezeichnete den Entwurf hingegen als „Schritt in die richtige Richtung. Mit den neuen Regelungen kann das Potenzial der Forschung in dem Bereich besser ausgeschöpft werden. In Österreich müssen wir nun endlich in zu einer faktenbasierten Debatte kommen.“ (5.7.2023)
EU-Kommission äußert Bedenken zu Österreichs Justizsystem
Brüssel – Die EU-Kommission hat in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Rechtstaatlichkeitsbericht mehrere Bedenken zu Österreich geäußert. Grundsätzlich sei die „Wahrnehmung der Unabhängigkeit des österreichischen Justizsystems hoch“, heißt es in dem länderspezifischen Dokument. Gleichzeitig stellte die Brüsseler Behörde aber kaum Fortschritte bei der Einrichtung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft sowie beim Informationsfreiheitsgesetz fest.
Das Justizsystem in Österreich „befindet sich in einem wichtigen Reformprozess“, erklärte die EU-Kommission. Anlass zu Sorge bereite allerdings, dass „die Notwendigkeit einer richterlichen Mitwirkung bei der Ernennung von Verwaltungsgerichtspräsidenten“ nicht berücksichtigt wurde. Auch sei die Reform der Staatsanwaltschaft nicht vorangekommen, wird kritisiert. Der Abschlussbericht der Expertengruppe vom September 2022 hätte bisher keine politischen Maßnahmen zur Folge gehabt.
Die EU-Kommission hob in ihrer Analyse auch die Arbeiten an einem neuen Aktionsplan zur Korruptionsbekämpfung hervor. Die Empfehlungen zur Parteienfinanzierung, darunter die Ermächtigung des Rechnungshofs, die Finanzen der Parteien zu prüfen, seien umgesetzt worden. Keine Fortschritte stellte die EU-Behörde hingegen bei der Einführung „wirksamer Vorschriften für die Offenlegung von Vermögenswerten und Interessen der Parlamentsmitglieder, einschließlich wirksamer Überwachungs- und Sanktionsmechanismen“ fest.
„Die Medienaufsichtsbehörde arbeitet weiterhin unabhängig“, heißt es zudem. Für den mit finanziellen Problemen konfrontierten Presserat sei Unterstützung vorgesehen. Bewegung ist nach Ansicht der EU-Kommission auch in die Reform der mehrmals kritisierten Vergabepraxis von Regierungsinseraten gekommen. Damit sei zwar „die Transparenz der staatlichen Werbung verbessert, die gerechte Zuteilung der Gelder ist aber noch nicht geklärt“, mahnte sie allerdings.
Vorangekommen sei Österreich auch nicht beim Gesetz zur Informationsfreiheit, wird in dem Bericht kritisiert. Außerdem blieben einige Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheit von Journalisten bestehen, erklärte die EU-Behörde, ohne konkrete Angaben dazu zu machen.
Positive Worte gab es für die Volksanwaltschaft, diese „arbeitet weiterhin effizient“. Auch würden mehrere Initiativen zur Unterstützung der Öffentlichkeitsbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen laufen und die Zivilgesellschaft sei „weiterhin in einem stabilen Umfeld tätig“, so die EU-Behörde.
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ließ per Aussendung wissen, sie freue sich, dass auch die EU-Kommission auf die Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft auf Grundlage des im Justizministerium (BMJ) erarbeiteten „Expert:innen-Konzepts“ poche. „Mit unserem Konzept haben wir somit erstmals in der Geschichte des BMJ ein Modell vorgestellt, hinter dem nicht nur die Justiz und die EU-Kommission, sondern auch weite Teile der Zivilgesellschaft und Wissenschaft stehen.“
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) interpretierte den EU-Bericht als positive Bewertung. „Die Europäische Kommission hat Österreich ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Empfehlungen des Vorjahres wurden zum Teil umgesetzt bzw. befinden sich in Umsetzung“, hieß es in einer Aussendung. „Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundpfeiler in der Europäischen Union. Österreich hat den Anspruch, sich stetig zu verbessern. Diesem Anspruch wollen wir auch täglich gerecht werden. Klar ist, dass seit dem letzten Bericht tatkräftig an der Informationsfreiheit gearbeitet wurde. Österreich ist und bleibt europaweit und international ein Maßstab für Rechtsstaatlichkeit.“
SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim sah die Sache etwas anders: „Es zeigt sich, dass die EU-Kommission die Kritik der SPÖ an der Bundesregierung teilt. Sowohl die Ankündigung der Bundesstaatsanwaltschaft als auch die der Informationsfreiheit sind bis heute nicht mehr als heiße Luft“, wurde per Mitteilung festgestellt. „Wenn man sich die Streitereien in dieser Regierung ansieht, wird klar: da kommt auch nichts mehr nach. Beides ist dringend notwendig, um Korruption vorzubeugen und eine transparente und offene Politik zu fördern.“
Die NEOS nahmen den EU-Bericht zum Anlass für scharfe Kritik an der türkis-grünen Bundesregierung. „Es ist eine Bankrotterklärung für die gesamte Bundesregierung, dass sowohl bei der ‚Unendlichen Geschichte Informationsfreiheit‘ als auch bei der unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft seit Jahren einfach nichts weitergeht“, teilte NEOS-Vizeklubchef Niki Scherak am Mittwochnachmittag mit.
Die EU-Kommission präsentiert seit 2020 einmal im Jahr einen Bericht über den Zustand von Justiz, Medien und Rechtsstaat für die einzelnen 27 Länder in der EU. Er dient hauptsächlich als Diskussionsgrundlage für EU-Parlament und EU-Staaten. (5.7.2023)
Edtstadler: Bisherige Belastungen bei EU-Asylkompromiss angerechnet
Wien – Bei dem Asylkompromiss der EU-Innenminister werden bisherige Belastungen „anerkannt, wenn man so will angerechnet“. Das sagte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im APA-Sommergespräch auf die Frage, ob Österreich bereit wäre, gemäß dem Asylkompromiss neue Migranten aufzunehmen oder Kompensationszahlungen zu leisten. Edtstadler forderte außerdem rasches Handeln auf dem Westbalkan. „Die Europäische Union kann sich keine weiteren Konflikte auf europäischem Boden leisten.“
„Wir haben schon sehr viele Asylanträge zu stemmen“, verwies Edtstadler auf die 100.000 Asylanträge in Österreich im Vorjahr. Wichtig sei, dass im Vorschlag der Innenminister die „bisherige Belastung Berücksichtigung findet und Österreich damit keine zusätzlichen Migranten aufzunehmen hat“. Dass Polen und Ungarn den Kompromiss beim EU-Gipfel nicht mittragen wollten, „tut dem Prozess, der von den Innenministern angestoßen wird, keinen Abbruch“, erklärte sie. Diese Entscheidung, die mit qualifizierter Mehrheit der Innenminister getroffen wurde, sei auch von jenen Ländern „zu akzeptieren“, die nicht mitgestimmt hätten. Wichtig sei nun, dass die Verhandlungen des Trilogs mit EU-Kommission und EU-Parlament über eine endgültige Regelung rasch vorangehen.
Die Krawalle in Frankreich nach dem Tod eines Jugendlichen mit Migrationshintergrund bezeichnete Edtstadler als Alarmsignal. „Die hochdramatische Situation muss auch für andere Staaten alarmierend sein. Sie zeigt, was passiert, wenn man einem Land zu viel zumutet, was Migration betrifft.“ Das Unglück eines Flüchtlingsbootes vor der griechischen Küste Mitte Juni sei „eine wahre Tragödie“. Forderungen nach einem EU-Vertragsverletzungsverfahren im Falle einer Mitschuld der griechischen Küstenwache an dem Tod von mutmaßlich hunderten Migranten will Edtstadler nicht teilen. Sie habe volles Vertrauen in die griechische Regierung, dass diese die Ursache des Unglücks aufklären werde – ebenso wie die Vorwürfe von Pushbacks. Pushbacks an der deutsch-österreichischen Grenze, wie von NGOs den deutschen Behörden vorgeworfen, kann sich Edtstadler unterdessen „beim besten Willen nicht vorstellen“.
Angesichts der Lage in den EU-Beitrittswerberländer am Westbalkan sprach sich Edtstadler für rasches Agieren der EU aus. „Die Europäische Union kann sich keine weiteren Konflikte auf europäischem Boden leisten und deswegen müssen wir jetzt handeln“, betonte Edtstadler gegenüber der APA. Sie sei sehr besorgt über die Spannungen in der Region. Die EU sollte „schauen, dass das nicht eskaliert“.
Die EU müsse Präsenz zeigen, Unterstützung geben und den Staaten klar vermitteln, dass sie in der EU willkommen seien. Wichtig sei ein Austausch auf Beamtenebene etwa im Justizbereich und bei der Korruptionsbekämpfung. Die Fortschrittsberichte für alle Kandidatenländer inklusive der Ukraine erwartet Edtstadler im September.
Bei der Ukraine betonte sie erneut: Es gibt keine Abkürzung im Erweiterungsprozess. Die EU bereite sich auf die Erweiterung vor. Vieles werde Europa „neu denken müssen“, etwa die bisherige Kohäsions- und Landwirtschaftspolitik angesichts der großen Agrarsektoren von Ländern wie der Ukraine und Albanien. „Veränderungen brauchen Zeit, deswegen hoch an der Zeit, das jetzt anzugehen.“
Edtstadler bekräftigte außerdem, auf EU-Ebene mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammenarbeiten zu wollen. „Wir müssen einfach Kräfte bündeln im europäischen Kontext“, erklärte Edtstadler. „Wir sollten die reinholen, die proeuropäisch denken“, betonte Edtstadler und sieht dies bei Meloni gegeben. Andere Kräfte, wie etwa die Partei der französischen Rechtspopulistin Marine „Le Pen würde wir nicht einladen in die Familie der EPP (Europäische Volkspartei EVP, Anm.).“
Im Zusammenhang mit der EU-Wahl im Juni 2024 bestätigte Edtstadler, nicht für das Europaparlament kandidieren zu wollen. Sie werde sich aber im EU-Wahlkampf engagieren. Bei der Frage nach dem Amt als EU-Kommissarin antwortete Edtstadler: „Mein Herz schlägt für Europa.“ (6.7.2023)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl der APA-Europaberichterstattung. Die redaktionelle Verantwortung für die Veröffentlichung liegt bei der APA. Sie wird montags und donnerstags veröffentlicht.