Brüssel – Österreich setzt nach Ansicht der EU-Kommission im Nationalpark Hohe Tauern in Salzburg die Naturschutz-Richtlinie Fauna-Flora-Habitat nicht ordnungsgemäß um. Deshalb leite die EU-Behörde ein Vertragsverletzungsverfahren ein, teilte sie am Freitag mit. Österreich habe in den letzten Jahren keine „geeigneten Schritte“ unternommen, um einer „erheblichen Verschlechterung der natürlichen Lebensräume“ entgegenzuwirken und entsprechende wirtschaftliche Tätigkeiten zu regulieren.
Das zentrale Ziel des Nationalparks Hohe Tauern, das größte Schutzgebiet der Alpen, sei „die Erhaltung einer europaweit einzigartigen und artenreichen Hochgebirgslandschaft“, heißt es in der Mitteilung. Er beherberge „prioritäre natürliche Lebensraumtypen“, die vom Verschwinden bedroht seien. Trotz „gut dokumentierter Belege für eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume“ habe Österreich nichts gegen wirtschaftliche Aktivitäten, „die das Problem befeuern“, unternommen, lautete die Kritik.
Auch in einem anderen Punkt der Habitat-Richtlinie ist Österreich nach Ansicht der Brüsseler Behörde säumig. Die Vorschrift, jeder Plan und jedes Projekt, das nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets zusammenhängt, auf seine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen zu überprüfen, sei nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt, erklärte die EU-Kommission: „Zahlreiche Arten von Projekten unterliegen keiner Prüfung nach dem Salzburger Nationalparkgesetz.“
Die Brüsseler Behörde forderte Österreich in einem formalen Schreiben auf, diese Mängel zu beheben. Österreich muss binnen zwei Monaten auf die Mahnung zufriedenstellend antworten, sonst kann die EU-Kommission mit einer mit „Gründen versehenen Stellungnahme“ das Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben. (14.7.2023)
Landwirtschaftsminister Totschnig kritisiert EU-Gesetz zu Renaturierung
Wien – Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) kritisiert das geplante EU-Renaturierungsgesetz scharf. Die Ziele der EU-Kommission seien „überschießend“ und „unrealistisch“, erklärte Totschnig am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal des ORF-Radios. Er forderte, „die Konsequenzen für die Bauern zu beurteilen“. Das Gesetz sehe weniger Fläche für die landwirtschaftliche Produktion vor, was auch weniger Versorgungssicherheit und mehr Abhängigkeit bedeute.
Es seien bei dem Vorhaben noch viele Fragen offen: „Was ist mit den Eigentümern? Das kommt ja praktisch einer Enteignung gleich“, meinte der Minister. Unklar sei auch die Finanzierung. Unklarheiten sieht Totschnig außerdem beim Ziel der EU-Kommission, bis 2030 mindestens 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen in der EU wieder herzustellen. „Wie viel Fläche dann am Ende des Tages tatsächlich relevant ist, müsste dann – wenn einmal klar ist, wie der Entwurf ausschaut – gemeinsam mit der Europäischen Kommission ja ausverhandelt werden.“ Als Referenz werde das Jahr 1953 genommen: „Wie hat denn damals Österreich ausgeschaut?“ Totschnig forderte „machbare Gesetze“, die auch umgesetzt werden können im Sinne des Natur- und Klimaschutzes.
Die Naturschutzorganisation WWF Österreich kritisierte die Aussagen von Totschnig als „unsachlich“. „Anstatt das geplante Gesetz mit längst widerlegten Aussagen zu sabotieren, sollte sich Österreich konstruktiv einbringen. Die geplanten Schritte zur Wiederherstellung der Natur sind eine einzigartige Chance, um die Zwillingskrise aus Biodiversitätsverlust und Erderhitzung zu bekämpfen. Jetzt müssen sich Rat, Parlament und Kommission auf einen ambitionierten Text einigen“, forderte WWF-Biodiversitätssprecher Joschka Brangs.
„Die größte Bedrohung der österreichischen Agrarflächen ist der seit Jahrzehnten viel zu hohe Bodenverbrauch in Österreich“, so Brangs. Hier muss der Landwirtschaftsminister endlich seine Hausaufgaben machen, wenn ihm die Ernährungssicherheit wirklich ein Anliegen ist.“ Ausständig sei insbesondere eine ambitionierte Bodenschutzstrategie mit verbindlichen Zielen und Maßnahmen gegen den Flächenfraß von zuletzt zwölf Hektar pro Tag.
Das EU-Parlament hat am Mittwoch seine Position zu dem weitreichenden Gesetz zur Wiederherstellung der Natur beschlossen. Damit können die Verhandlungen mit den EU-Staaten für den finalen Gesetzestext beginnen. Eine Einigung vor den EU-Wahlen im Juni 2024 ist möglich. (13.7.2023)
Renaturierungsgesetz: Experten erwarten schwierige Umsetzung
Wien – Die Zustimmung des EU-Parlaments zum umstrittenen Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) am Mittwoch wird von Professoren an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) grundsätzlich begrüßt, es gibt aber auch Skepsis. Die Experten Reinhard Steurer und Klaus Hackländer warnen im Gespräch mit der APA, dass der Einfluss von nationalen Bemühungen und Widerständen in Österreich nicht zu unterschätzen sei.
Der Professor für Klimapolitik, Steurer geht davon aus, dass der Gesetzesvorschlag in den kommenden Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten „vermutlich noch verwässert“ wird. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sieht vor, dass jene Lebensräume in Europa, die in einem schlechten ökologischen Zustand sind, bis 2050 renaturiert werden. Zahlreiche Wissenschafterinnen und Wissenschafter hatten dies vor der Abstimmung auch in einem offenen Brief gefordert.
Die nationale Umsetzung des Renaturierungsgesetzes wird in Österreich laut Steurer sicher schwierig. Problematisch seien vor allem die föderalistischen Strukturen, die bei den Themen Natur- und Klimaschutz „extrem hinderlich“ seien. Der Experte rechnet „früher oder später mit einem Vertragsverletzungsverfahren“, weil die Bundesländer vermutlich die Verantwortung jeweils von sich abweisen würden und dadurch die Umsetzung von Renaturierungsmaßnahmen verzögert werde.
Laut Steurer spielt das Renaturierungsgesetz für den Klimaschutz jedoch „keine zentrale“ Rolle. Andere Teile des „Green Deals“, wie die Ausweitung des Europäischen Emissionshandelssystems, der ab 2026 geplante CO2-Grenzausgleichsmechanismus – eine CO2-Abgabe auf bestimmte Importe aus Drittländern – seien hier viel wichtiger als der CO2-Senkungseffekt, der durch die Renaturierung von Wäldern oder Mooren entsteht.
Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sei hingegen eine zentrale Maßnahme gegen das „sechste Massenaussterben“ – so nennen Wissenschafterinnen und Wissenschafter den aktuellen massiven Verlust der Artenvielfalt. „Die Biodiversitätskrise zu bekämpfen ist mindestens so wichtig wie Klimaschutz“, meinte der Professor für Klimapolitik.
Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), erklärte gegenüber der APA, dass die Biodiversitätskrise auch in Österreich „ein Thema“ sei. Zwar sei das vollkommene Aussterben einer Art in Österreich noch nicht so häufig, aber die Populationen gingen jedenfalls zurück, wodurch die Anzahl der „gefährdeten Arten kontinuierlich steigt“.
Die Experten betonen beide, dass diese Zielsetzungen der EU grundsätzlich zu begrüßen seien. Jedoch würden die Vorgaben der EU immer weniger als konkrete Maßnahmen beschrieben. Dies ist laut Steuer durchaus sinnvoll, da die Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich seien. Er merkte aber an, im Fall von Österreich „erweitert es den Spielraum, es nicht ernst zu meinen und so zu tun als ob“. Gerade in der Bodenversiegelung und beim Klimaschutz kritisiert er die mangelnde Umsetzung ambitionierter Ziele. Konkrete Klimaschutzmaßnahmen wie ein EU-weites Tempolimit wären für Steurer wünschenswert, deren Umsetzung sieht er jedoch als unrealistisch, da es immer zahlreiche Mitgliedstaaten gebe, die konkreten Maßnahmen nicht zustimmen würden. (13.7.2023)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl der APA-Europaberichterstattung. Die redaktionelle Verantwortung für die Veröffentlichung liegt bei der APA. Sie wird montags und donnerstags veröffentlicht.