Die Gelder aus dem Fördertopf zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung der EU nach Corona laufen Gefahr, die EU-Länder nicht schnell genug zu erreichen. Das teilte der Europäische Rechnungshof (EuRH) mit Sitz in Luxemburg am Montag.
Nach der Hälfte der Laufzeit des COVID-19-Hilfsfonds “haben die EU-Länder weniger als ein Drittel der geplanten Mittel abgerufen“, warnte Ivana Maletić, eine der leitenden Prüferinnen, in einer Erklärung.
Laut Rechnungshof gefährde das langsame Tempo die Ziele des Fonds und berge das Risiko, „dass sich die Ausschöpfung der Mittel weiter verlangsamen und Projekte nicht abgeschlossen werden könnten“.
Inflation und Materialknappheit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, Planungsverzögerungen bei großen Infrastrukturprojekten, nationale Bürokratie wie Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen und Regierungswechsel seien für die Verzögerungen bei der Verwendung der Mittel verantwortlich, so die EU-Aufsichtsbehörde.
Der EuRH hat die Aufgabe, zu kontrollieren, ob EU-Mittel ordnungsgemäß erhoben und verwendet werden. Außerdem leistet der Rechnungshof einen Beitrag zur Verbesserung der Finanzverwaltung der EU.
Was ist der Coronatopf und wie können die EU-Länder ihn in Anspruch nehmen?
Der ursprünglich 724 Milliarden Euro umfassende Fördertopf mit dem Namen Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) wurde 2021 geschaffen, um die wirtschaftlichen Schäden der Corona-Pandemie zu bewältigen. Er läuft bis 2026 und ist der wichtigste Teil des EU-Instruments “NextGenerationEU”, mit dem den Mitgliedstaaten nach der Pandemie geholfen werden soll.
Die Europäische Union einigte sich im Juli 2020 auf diesen beispiellosen Mechanismus, nachdem sie sich bei den Verhandlungen gegen den Widerstand der sparsamen Länder unter Führung der Niederlande durchgesetzt hatte.
Die Länder, vor allem in Nordeuropa, befürchteten, für höhere Ausgaben in ihren südlichen Nachbarländern aufkommen zu müssen. Italien und Spanien gehören zu den Hauptnutznießern der Mittel.
Bis Ende 2023 hat die Europäische Kommission, die für die Verwaltung der Mittel zuständig ist, nur 213 Milliarden Euro an die Mitgliedstaaten überwiesen.
Um die ARF zu finanzieren, nimmt die Kommission auf den Kapitalmärkten Kredite auf und stellt den Mitgliedstaaten die Mittel unter bestimmten Bedingungen zur Finanzierung von Projekten sowie von ökologischen und digitalen Reformen zur Verfügung.
Einen Teil des Geldes bekommen die Länder als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, den Rest als Darlehen. Dafür wurden in der EU erstmals im großen Stil gemeinsam Schulden gemacht. Ende 2058 sollen die Schulden spätestens beglichen sein.
Um die Hilfen zu erhalten, müssen Mitgliedsstaaten einen Plan mit konkreten Investitions- und Reformvorhaben vorlegen. Die Gelder sind leistungsabhängig und sollen erst dann gezahlt werden, wenn zugesagte Etappenziele und Zielwerte bei der Umsetzung geplanter Reformen und Investitionen erreicht wurden.
Nach Angaben des Rechnungshofs hatten fast alle Länder ihre Zahlungsanträge mit Verzögerungen bei der Kommission eingereicht. Die Gründe dafür seien häufig Unsicherheiten bei den Umweltvorschriften und unzureichende Verwaltungskapazitäten gewesen. Auch sei etwa die für die Umsetzung von Maßnahmen erforderliche Zeit unterschätzt worden.
Zwar steige der Anteil der von der Europäischen Kommission ausgezahlten Mittel, heißt es in einem von den EU-Prüfern veröffentlichten Bericht. Trotzdem seien die EU-Länder möglicherweise nicht in der Lage, die Mittel rechtzeitig auszuschöpfen, um geplante Projekte vor Ende der Laufzeit der Förderperiode abzuschließen.
Neben dem Risiko, dass ein Teil der Gelder am Ende nicht genutzt wird, bestehe auch Gefahr, dass die Kommission den EU-Ländern viel Geld überweist, ohne dass die versprochenen Projekte und Reformen am Ende umgesetzt werden.
Das liegt daran, dass ein Mitgliedstaat nicht erst bei Vollendung eines Projekts Geld erhält, sondern bereits beim Erreichen bestimmter Zwischenziele. Die Brüsseler Exekutive habe hier keine rechtliche Möglichkeit, diesen Teil der Mittel zurückzufordern, falls das Land auf die Vollendung des Projekts verzichtet, beziehungsweise das Projekt nicht bis August 2026 fertigstellt, warnen die EU-Rechnungshofprüfer.
Wie ist die Situation in den Mitgliedstaaten?
Den Prüfern zufolge machten die EU-Länder bis Ende letzten Jahres „weniger als 30 % Fortschritte bei der Erreichung ihrer vorab festgelegten Meilensteine und Ziele“.
Die Gesamtzahl der Meilensteine und Ziele beläuft sich dem Bericht zufolge auf 2159, von denen Ende 2023 679 zufriedenstellend erfüllt waren.
Die Prüfer stellten außerdem fest, dass die Hälfte der an 15 EU-Mitgliedstaaten ausgezahlten Mittel die Endempfänger der öffentlichen Gelder nicht erreichten und dass sieben EU-Länder „keine vollständigen und konsistenten Informationen über den aktuellen Verbleib dieser Mittel“ lieferten.
Der Rechnungshof warnt vor der Gefahr, dass sich die Beantragung von europäischen Geldern aus dem Konjunkturprogramm weiter verzögert und Projekte nicht rechtzeitig abgeschlossen werden können. Infolgedessen können die Mitgliedstaaten “nicht in den Genuss der erwarteten wirtschaftlichen und sozialen Vorteile kommen“, so der Rechnungshof.
Während 16 Mitgliedstaaten planen, Ziele und Meilensteine für mindestens 30 Prozent ihrer Investitionen erst im Jahr 2026 zu erfüllen, plant Italien, 62 Prozent der geplanten Investitionen bis 2026 abzuschließen. Das Land habe bis Ende 2023 178 von 525 Meilensteinen und Zielen erfüllt, darunter zum Beispiel die Erhöhung der Verwaltungskapazität der lokalen Behörden. Italien hat 46 Prozent der dem Land zur Verfügung stehenden Mittel beantragt.
Bis Ende 2023 habe Österreich nur 23 Prozent der für das Land vorgesehenen Mittel beantragt und nur 44 der 171 Meilensteine und Ziele erfüllt. Österreich hat bis Ende 2023 eine Tranche von insgesamt 700 Millionen Euro erhalten. Über die gesamte Laufzeit hat das Land Anspruch auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Die Niederlande haben erst im Mai dieses Jahres einen ersten Antrag in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gestellt, sagte ein Sprecher der ECA. Die niederländische Regierung plant, diesen ersten Betrag für Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Bau von erschwinglichem Wohnraum und Digitalisierung auszugeben. Insgesamt stehen für das Land über 5,4 Milliarden Euro zur Verfügung.
In Deutschland sollen mit Geld aus dem Fördertopf unter anderem mit verschiedenen Maßnahmen Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrssektor beschleunigt werden und die Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben werden. Insgesamt wird die Bundesrepublik jüngsten Angaben zufolge 30,3 Milliarden Euro an nicht zurückzahlbaren Zuschüssen abrufen können.
Slowenien hat mehr als 1.000 Projekte abgeschlossen, führt sie durch oder wird sie demnächst durchführen. Nach Angaben des slowenischen Amtes für Wiederaufbau und Resilienz hat das Land bisher 841 Millionen Euro an Zahlungen erhalten, davon 310 Millionen Euro als Darlehen. Bis Ende 2026 stehen dem Land 1,61 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung, außerdem kann es 1,07 Milliarden Euro an Darlehen in Anspruch nehmen.
Der Staat hat bisher rund 500 Millionen Euro ausgezahlt, hauptsächlich für Projekte zur Bereitstellung von öffentlichem Mietwohnraum, zur Erhöhung der Kapazität der Eisenbahninfrastruktur, zur Verbesserung der Wasserversorgung sowie der Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur.
Nach den katastrophalen Überschwemmungen im August 2023 genehmigte Brüssel Änderungen am slowenischen Aufbauplan, die den Green Deal noch stärker in den Vordergrund stellen. Slowenien hat bisher 15 der 36 Reformmaßnahmen abgeschlossen, die erforderlich sind, um sich für eine Förderung zu qualifizieren.
“NextGenerationEU”: EU-Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs
Anfang April dieses Jahres verhaftete die Finanzpolizei in Italien, Österreich, Rumänien und der Slowakei 22 Personen und beschlagnahmte rund 600 Millionen Euro im Zusammenhang mit einer Untersuchung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA) gegen kriminelle Organisationen, die versuchten, die EU zu betrügen.
Die Verdächtigen sollen ein Netzwerk fiktiver Unternehmen genutzt haben, um Gelder aus dem EU-finanzierten “NextGenerationEU”-Wiederaufbauinstrument [desses Hauptkomponente die ARF ist]] zu beantragen und diese dann zu veruntreuen, so die EuStA. Die Straftaten fanden zwischen 2021 und 2023 statt, so die Behörde.
Konkret ging es der mutmaßlichen kriminellen Vereinigung um Gelder aus dem nationalen italienischen Wiederaufbauplan. Mit Hilfe fiktiver Unternehmen und unter Beteiligung von Strohmännern beantragten die Verdächtigen große Summen für verschiedene Projektinitiativen, heißt es in der Erklärung der Polizei.
Italien soll als besonders betroffenes Land mit fast 200 Milliarden Euro die größte Summe aus dem Fördertopf erhalten.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.