Wien/EU-weit/Brüssel – Auch für den im November im Trilog gefundenen Kompromiss für das EU-Renaturierungsgesetz („Nature Restauration Law“) gibt es in Österreich keine Einigkeit. EU-Parlamentarier Alexander Bernhuber kündigte am Dienstagabend bei einer Diskussion im Haus der Europäischen Union in Wien an, dass die EVP Ende Februar im Plenum des Europäischen Parlaments nicht zustimmen werde: „Ein Ja wird es bei diesem Gesetzesvorschlag nicht mehr geben.“ Er sei „viel zu lange zerredet“ worden.
Die Klimaaktivistin Lena Schilling hielt einen Tag nach ihrer Vorstellung als Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen für die kommenden EU-Wahlen dagegen. „Diese Blockadehaltung halte ich für total schädlich“, sagte sie Richtung Bernhuber. Das Gesetz wäre ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer zukunfts- und planungsfähigen Landwirtschaft. „Wir brauchen eine langfristige gemeinsame Strategie. Wenn wir alle unser eigenes Süppchen kochen, kommen wir nicht weiter“, meinte sie und verwies darauf, dass Bernhubers Partei in Österreich viel Zeit ungenützt verstreichen habe lassen: „Die ÖVP ist länger in der Regierung als ich auf der Welt bin.“
Zwei der Hauptargumente der Konservativen, die in der EU ab dem Frühjahr gegen diesen wichtigen Baustein des „Green Deal“ der Kommission mobil gemacht haben, sorgten unter Beteiligung des zahlreichen Publikums für lebhafte Debatten. Die geäußerte Angst vor Enteignungen hielt der Biodiversitätsforscher Franz Essl für völlig unbegründet. Dem stimmte Schilling bei: „Wo Bauern wirklich enteignet werden, ist in Niederösterreich bei Straßenbauten, weil wir offenbar noch nicht genug Straßen haben.“ Die Ernährungssicherheit sehen Schilling und Essl nicht durch das geplante Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, sondern durch die bisherige Landwirtschaftspolitik gefährdet, die zu einer Übernutzung der Böden geführt habe.
„Es braucht grundlegende längerfristige Veränderungen. Aber das muss uns als Gesellschaft auch etwas Wert sein“, so Essl, der „eine massive finanzielle Unterdotierung“ für Strukturänderungen hin zu naturnaher Landwirtschaft konstatierte und politischen Willen einforderte, die österreichischen Biodiversitätsstrategie umzusetzen. „Ich sehe keine gemeinsame Anstrengung, wie wir diese Ziele erreichen.“ In diesem Zusammenhang wurde von Rafaela Schinegger vom Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung der BOKU Wien neuerlich die Schaffung einer nationalen Koordinationsstelle für Biodiversität als Bundeskompetenzzentrum urgiert.
Während Bernhuber, selbst Landwirt im Mostviertel, forderte, man möge „zuerst die 23 bestehenden Gesetze umsetzen, bevor wir jetzt das 24. Gesetz beschließen“, wies Essl, Wissenschafter des Jahres 2022 und Mitglied des Leitungsteams des Österreichischen Biodiversitätsrates, darauf hin, dass die bestehenden Regelungen wie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU und die Natura 2000 Schutzgebiete offenbar zu wenig Wirkung zeigten: „In Österreich sind 80 Prozent der Schutzgebiete in einem schlechten Zustand.“ (24.01.2024)
EU-Wahl – Babler: Sozialdemokraten müssen Demokratie verteidigen
Wien – Vor dem Hintergrund möglicher Zugewinne rechter Parteien bei den Europawahlen hat SPÖ-Chef Andreas Babler zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Die Sozialdemokratie müsse an der Spitze der demokratischen Bewegung stehen und die demokratischen Institutionen verteidigen, sagte Babler am Mittwochabend bei einer Diskussion im Bruno-Kreisky-Forum in Wien.
Im Gegensatz zu früher gehe es nunmehr nicht mehr nur um die Spaltung der Gesellschaft, sondern es seien „demokratische Grundpfeiler gefährdet“, so der SPÖ-Vorsitzende. „Um nichts weniger geht es in Österreich und auch in der europäischen Auseinandersetzung.“
Babler kritisierte insbesondere die FPÖ. „Wer Festung Österreich, Festung Europa plakatiert, wird damit leben müssen, dass von Festungen nur Ruinen übrig geblieben sind.“ Der Begriff „Orbanisierung“ bedeute die Einschränkung von demokratischen Grundrechten von der Justiz und Arbeitnehmervertretungen, über unabhängige Medien bis zur Beschneidung persönlicher Freiheitsrechte. In Hinblick auf das jüngste Treffen Rechtsextremer und Rechtsradikaler in Potsdam zu „Remigration“ sprach Babler von „Umstürzlerplänen“. Er appellierte, nicht nur wachsam zu sein, sondern für die Demokratie zu kämpfen.
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyn Regner, bezeichnete die Politik der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) gegenüber den Rechten als „Spiel mit dem Feuer“. Zwar würden EVP und Sozialdemokraten bei der EU-Wahl voraussichtlich ähnlich stark bleiben, doch drohten Linken und Grünen Verluste, wodurch das Europaparlament rechtspopulistischer und anti-europäischer werden würde.
Regner warnte vor den Folgen, dass die rechten Parteien etwa eine gemeinsame EU-Klima- und Außenpolitik ablehnen. Dies wäre „eine Gefahr für Wohlstand und Demokratie, tatsächlich eine Schwächung Europas, Stichwort Brexit“. Die EVP sei hier besonders in der Verantwortung, nicht mit rechten Parteien gemeinsame Sache zu machen, springe aber wie bereits etwa beim EU-Renaturierungsgesetz „mit Bierzeltargumenten“ vom Kurs ab, so Regner.
Hauptanliegen der Sozialdemokratie seien mehr soziale Gerechtigkeit und weniger Steuervermeidung, sagte Babler in Hinblick auf die EU-Wahl. Dabei kritisierte Regner die Politik der Bundesregierung, etwa in Hinblick auf die geplante Schaffung einer EU-Behörde gegen Geldwäsche, gegen die sich das Finanzministerium widersetze, oder mit Blick auf die fehlende Umsetzung der EU-Kindergarantie, die Zugang zu kostenloser Bildung und Gesundheit und gesunden Mahlzeiten gewährleisten soll. Im Kampf gegen die Inflation forderte Regner: „Wir müssen in Märkte eingreifen, wenn es geboten ist.“
In Hinblick auf die Ukraine sagte Babler, die Positionierung der SPÖ sei klar, man verurteile den russischen Angriffskrieg und habe das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine zu garantieren. Die EU habe bei der Ukraine einen wichtigen „Paradigmenwechsel“ vollzogen, so Regner, und im Gegensatz zu früher keine Appeasement-Politik verfolgt. Die Ukraine zeige klar: „Demokratie muss man verteidigen“, so Regner. (25.01.2024)
Laborfleisch: Totschnig warnt vor Abhängigkeit von Konzernen
EU-weit/Brüssel – Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) zeigt sich sehr skeptisch gegenüber im Labor gezüchtetem Fleisch. Dieses stehe „im völligen Widerspruch“ zum „bisherigen Modell der Lebensmittelproduktion in Österreich und Europa, sagte er am Dienstag am Rande eines Treffens der EU-Agrarministerinnen und -minister. Diskutiert wird hier neben dem Laborfleisch auch über die Auswirkungen ukrainischer Agrarexporte und den Schutzstatus von Wölfen.
Mithilfe von Stammzellen produziertes Laborfleisch gibt es in der EU derzeit noch nicht auf dem Teller, geforscht wird aber bereits daran. Auch ist solches Fleisch z.B. in den USA bereits zugelassen. Eine Gruppe von EU-Staaten rund um Österreich, Italien und Frankreich wollen daher schon jetzt eine Debatte über die möglichen Auswirkungen anstoßen. Neben ethischen Bedenken werden auch die mögliche Monopolstellung einiger Lebensmittelunternehmen sowie Auswirkungen auf die klassische Tierhaltung ins Treffen geführt. Von der EU-Kommission wird eine öffentliche Konsultation zu dem Thema gefordert.
„Ich glaube nicht, dass wir uns hier in eine Abhängigkeit begeben sollen von großen internationalen Lebensmittelkonzernen“, meint Totschnig. „Hier werden Inhaltsstoffe und Methoden angewandt, deren Auswirkung auf Umwelt, Tiere, Klima noch nicht gänzlich bekannt ist.“
Die Umweltorganisation Greenpeace warnt davor, allzu voreilig auf Laborfleisch als Alternative zum „umweltschädlichen Status quo“ zu setzen. „Das bedeutet aber nicht, die Forschung zu behindern oder zu verhindern. Es sollen keine möglicherweise zukunftsfähigen Ansätze aufgegeben werden – solange jedoch das Vorsorgeprinzip beachtet wird“, schreibt Greenpeace in einer Aussendung anlässlich des heutigen Ratstreffens. Zum jetzigen Zeitpunkt seien eine Reduktion des Fleischkonsums und mehr pflanzliche Lebensmittel die „eindeutig beste Wahl“. (23.01.2024)
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