„Europa hat alles, was es braucht, um bei diesem Rennen zu gewinnen. Gleichzeitig müssen wir jedoch unsere Schwächen überwinden und wieder wettbewerbsfähig werden“, sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bei der Vorstellung eines Fahrplans zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union.
Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit ist eine Wirtschaftsstrategie mit drei Säulen: Steigerung von Innovation, Förderung einer sauberen Industrie und Verringerung externer Abhängigkeiten, um mit globalen Wirtschaftsmächten wie den Vereinigten Staaten oder China konkurrieren zu können.
„Kurzgesagt hat sich in den letzten 20 bis 25 Jahren unser Geschäftsmodell im Grunde auf billige Arbeitskräfte in China und vermeintlich billige Energie aus Russland gestützt, und wir haben unsere Sicherheit und Investitionen in unsere Sicherheit teilweise an andere ‘ausgelagert’. Diese Tage sind nun vorbei“, sagte von der Leyen.
Um Unternehmen zu entlasten und neue Investitionen anzuziehen, versprach die Kommission einen „beispiellosen“ Bürokratieabbau. Der Verwaltungsaufwand soll verringert und und die Berichtspflichten für Unternehmen um 35 Prozent und für kleine und mittlere Unternehmen um 25 Prozent vereinfacht werden.
Laut von der Leyen könnten die europäischen Unternehmen durch den Bürokratieabbau über 37 Milliarden Euro pro Jahr einsparen.
Der Aktionsplan der Kommission basiert auf Berichten, die im vergangenen Jahr von zwei ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten verfasst wurden: Mario Draghi (2021-2022) und Enrico Letta (2013-2014).
Draghi ist ein erfahrener Wirtschaftswissenschaftler und war von 2011 bis 2019 auch Präsident der Europäischen Zentralbank. Seinem Bericht zufolge muss die EU jährlich 750 bis 800 Milliarden Euro investieren, um den Rückstand gegenüber ihren Wettbewerbern aufzuholen und ein neues Wirtschaftswachstum zu erzielen.
Der für Wohlstand und Industriestrategie zuständige Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission, Stéphane Séjourné, bezeichnete den Kompass als „Wirtschaftsdoktrin“ für die nächsten fünf Jahre. Dieser werde dazu dienen, „unsere wirtschaftlichen Prioritäten zu vereinfachen, zu investieren und zu beschleunigen.“ Wettbewerbsfähigkeit werde das Kriterium für jeden auszugebenden Euro sein, fügte er hinzu.
Innovation, (grünes) Wachstum und wirtschaftliche Sicherheit fördern
Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit umfasst eine Reihe von Initiativen, die noch zu konkreten Gesetzesvorschlägen ausgearbeitet werden müssen.
Die erste Aufgabe Brüssels besteht darin, die Innovationslücke zu Mächten wie den USA und China zu schließen und ein Umfeld zu schaffen, das das Wachstum europäischer Start-ups begünstigt. Dies gilt insbesondere für strategische Sektoren, die derzeit durch schwierigen Zugang zu Kapital und komplexe Vorschriften gebremst werden.
Nach Ansicht des Vorsitzenden des tschechischen Industrieverbands, Jan Rafaj, hat sich die Europäische Kommission in letzter Zeit mehr darauf konzentriert, Tech-Giganten zu regulieren, als das Wachstum europäischer Unternehmen zu unterstützen. „Es gibt kein einziges europäisches Unternehmen unter den zehn größten globalen Giganten“, sagte er.
Bulgariens Luft- und Raumfahrt- sowie Mobilitätsunternehmen könnten vom Kompass profitieren, sagte die bulgarische Europaabgeordnete Eva Maydell gegenüber der bulgarischen Nachrichtenwebsite Club Z und nannte Beispiele die Unternehmen EnduroSat und Dronamics.
EnduroSat ist einer der am schnellsten wachsenden bulgarischen Hersteller von Nanosatelliten und ein führendes Unternehmen im bulgarischen Raumfahrtsektor. Dronamics ist die erste Fluggesellschaft für Frachtdrohnen mit einer Lizenz für den Betrieb in Europa.
Das zweite große Ziel ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Ihr wichtigster Vektor wird ein Deal für eine saubere Industrie sein, den Brüssel Ende Februar vorlegen will. Ein Aktionsplan für „erschwingliche Energie“ und eine Aktualisierung des europäischen Klimagesetzes sind ebenfalls vorgesehen.
Zu den Maßnahmen in diesem Kapitel gehören: Die Überprüfung der Klimasteuer auf CO2-Importe, die Förderung eines Gesetzes zur Kreislaufwirtschaft, die Veröffentlichung einer Hafenstrategie und die Fortsetzung des Dialogs mit der Automobilindustrie.
Die Innovation in diesem Sektor sei vor allem aufgrund politischer Entscheidungen auf EU-Ebene ins Hintertreffen geraten, sagten Vertreter der slowenischen Politik, der Europäischen Investitionsbank (EIB) sowie Ökonomen und Wissenschaftler auf einer kürzlich vom Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments in Slowenien organisierten Podiumsdiskussion. Sie betonten die Notwendigkeit, Maßnahmen anzupassen.
Das dritte Ziel besteht laut Kommission darin, die strategischen Abhängigkeiten der EU in einem „durch geopolitischen Wettbewerb und Handelsspannungen zerrissenen globalen Wirtschaftssystem“ zu bekämpfen. Die EU ist dort auch dem unfairen Wettbewerb von Mächten ausgesetzt, die den Zugang zu ihren Märkten beschränken, während sie den europäischen Markt mit Waren überschwemmen, die auf der Grundlage massiver staatlicher Subventionen hergestellt werden.
Draghi empfahl, die Investitionen teilweise durch gemeinsame Anleihen der EU zu finanzieren. Ein Vorbild dafür ist das zukunftsweisende NextGenerationEU Instrument, das entwickelt wurde, um die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Pandemie mitzufinanzieren.
Der portugiesische Ministerpräsident Luís Montenegro etwa sprach sich für eine Aufstockung des EU-Haushalts mit mehr Beiträgen der Mitgliedstaaten, eine neue gemeinsame Anleiheemission und noch mehr private Gelder aus, damit die EU in ihre Prioritäten investieren könne.
In einem Brief an von der Leyen im vergangenen Herbst forderte er, den mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) – den langfristigen Haushalt der EU – ab 2028 zu stärken.
Länder wie Deutschland und die Niederlande sind jedoch traditionell skeptisch, wenn es um die Aufnahme weiterer gemeinsamer Schulden geht.
Klimaschützer in der Defensive
Während sich die EU darauf konzentriert, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer 27 Mitgliedstaaten angesichts der globalen Herausforderungen zu stärken, bleiben Klima- und Umweltschützer wachsam, was die Vereinbarkeit der neuen Maßnahmen mit den langjährigen grünen Ambitionen des Blocks angeht.
Laut Marcin Korolec, einem ehemaligen polnischen Umweltminister, gehe der Kompass nicht klar auf die Notwendigkeit erheblicher Investitionen in saubere Technologien und billigere Energielösungen ein.
„Wir dürfen nicht übersehen, dass gezielte Investitionen für die Erschwinglichkeit von Energie und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA von entscheidender Bedeutung sind“, fügte Korolec hinzu, der heute eine Denkfabrik für grüne Wirtschaft leitet.
Laut Anna Stellinger, Direktorin für internationale und EU-Angelegenheiten beim Verband schwedischer Unternehmen (Svenskt Näringsliv), würde ein „dramatischer“ Bürokratieabbau ebenfalls den grünen Ambitionen zugute kommen. Sie sagte: „Es ist äußerst wichtig, dass wir unsere Ambitionen und Ziele beibehalten. Unsere Unternehmen haben viel (in diesen Bereich) investiert. Aber die Regeln müssen einfacher werden“.
Laut dem Industrieverband der Tschechischen Republik müssen die europäischen Klimaziele den unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten und der realistischen Verfügbarkeit von Dekarbonisierungs-Technologien Rechnung tragen. Es könnten nicht alle Sektoren so schnell dekarbonisiert werden, wie es die aktuelle europäische Gesetzgebung verlange, sagte Verbandsvorsitzender Jan Rafaj.
Von der Leyen betonte, dass die EU an ihrem Ziel festhalten werde, bis 2050 klimaneutral zu werden und nicht beabsichtige, den Kurs zu ändern. „Ich möchte ganz klar sagen, dass die Europäische Union an den Zielen des Green Deal festhält, ohne jede Frage“, sagte sie.
Um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Netto-Null-Industrien zu verbessern, plant die Kommission die Vorstellung eines Clean Industrial Deals, der sich vor allem auf den Übergang zu sauberen Technologien wie erneuerbaren Energien konzentriert, sowie einen Plan zur drastischen Senkung der Energiepreise.
Wenige Wochen vor der Vorstellung hat die Gewerkschaft IndustriALL Europe ihre Mitglieder aufgerufen, am Mittwoch (5. Februar) in Brüssel gemeinsam für einen starken Plan zur Erhaltung und Schaffung guter Industriearbeitsplätze in Europa zu demonstrieren.
Es wird erwartet, dass die Europäische Kommission ihren Clean Industrial Deal am 26. Februar vorstellt.
Dieser Artikel wird zweimal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.