Prag (dpa) – Die EU wird ein mit Russland geschlossenes Abkommen zur Erleichterung der Visa-Vergabe für Reisende vollständig aussetzen. Der Schritt werde dafür sorgen, dass die Zahl der neuen Visa für Russen signifikant sinke, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 31. August nach Beratungen der Außenminister in Prag. Insbesondere schutzbedürftige Menschen sollten aber weiter ein Visum bekommen können. «Wir wollen uns nicht von den Russen abschneiden, die gegen den Krieg in der Ukraine sind, wir wollen uns nicht von der russischen Zivilgesellschaft abschneiden», betonte Borrell. Das Aussetzen des Visa-Abkommens ist eine weitere Strafmaßnahme der EU in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der seit mehr als einem halben Jahr andauert. Der Schritt zielt darauf ab, den Mitgliedstaaten unkompliziert Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen zu ermöglichen und die Kosten und den Aufwand für Antragsteller zu erhöhen. So wird zum Beispiel die grundsätzliche Festschreibung der Visumgebühr auf 35 Euro wegfallen und auch die Regelbearbeitungszeit von zehn Kalendertagen nach Antragseingang soll nicht mehr gelten.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sagte, dass die Antragstellung für Russen künftig im Zweifel Monate dauern könne. Gleichzeitig wird es nach ihren Angaben weiterhin möglich sein, zum Beispiel Studenten und Journalisten die Einreise zu ermöglichen. Ziel sei es auch zu verhindern, dass sich die Menschen aus Frust über westliche Sanktionen eher gegen die EU wenden als gegen ihren eigenen Präsidenten. Bislang war das 2007 in Kraft getretene Visaerleichterungsabkommen nur für Geschäftsleute, Regierungsvertreter und Diplomaten außer Kraft gesetzt. Diese Entscheidung war am 25. Februar kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine getroffen worden.
Die Aussetzung des Visa-Abkommens wurde maßgeblich auch von Deutschland vorangetrieben und gilt als Minimalkompromiss im seit Wochen anhaltenden EU-Streit um den Umgang mit Visa-Anträgen russischer Staatsangehöriger. Länder wie Polen und Estland hätten sich eigentlich gewünscht, zumindest Urlaubs- und Shoppingreisen von Russen in die EU vollständig zu untersagen – unter anderem mit dem Argument, dass es nicht sein könne, dass reiche junge russische Männer in der EU Urlaub machten, während in der Ukraine Tausende junge ukrainische Männer durch den Krieg ihres Landes sterben. Länder wie Deutschland und Frankreich argumentierten allerdings, dass man das russische Volk nicht für Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine in Sippenhaft nehmen dürfe. So soll es beispielsweise vor allem jungen Russen weiter möglich sein, durch Europa zu reisen. Der Einfluss, der von der unmittelbaren Erfahrung des Lebens in Demokratien ausgehen kann, sollte nicht unterschätzt werden, argumentierten Deutschland und Frankreich zuletzt in einem gemeinsamen Positionspapier zur Russland-Politik der EU. Dies beziehe sich insbesondere auf künftige Generationen. (31. August)
Inflation in Eurozone klettert auf Rekordwert von 9,1 Prozent
Luxemburg – Die Inflation in der Eurozone hat sich im August auf hohem Niveau weiter beschleunigt und einen Rekordwert erreicht. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten sich die Verbraucherpreise um 9,1 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am 31. August in Luxemburg laut einer ersten Schätzung mitteilte. Volkswirte hatten mit einem Anstieg um 9,0 Prozent gerechnet. Die August-Rate ist die höchste seit Einführung des Euro als Buchgeld 1999. Im Vormonat waren die Verbraucherpreise um 8,9 Prozent gestiegen. Getrieben wurde die Teuerung erneut durch den starken Anstieg der Energiepreise, die sich zum Vorjahresmonat um 38,3 Prozent erhöhten. Der Anstieg war allerdings ein wenig schwächer als im Vormonat. Dafür beschleunigte sich der Preisauftrieb bei Lebens- und Genussmitteln. Stärker stiegen auch die Preise von Industriegütern und Dienstleistungen.
Die Kerninflation, bei der besonders schwankungsanfällige Preise von Energie, Lebens- und Genussmitteln nicht berücksichtigt werden, stieg von 4,0 auf 4,3 Prozent. Die höchsten Inflationsraten im Währungsraum wiesen mit mehr als 20 Prozent erneut die drei baltischen Staaten auf. So stieg beispielsweise die Jahresinflationsrate in Estland auf 25,2 Prozent. In Deutschland betrug die nach europäischen Standards berechnete Inflationsrate 8,8 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt auf mittlere Sicht eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Sie hatte im Juli den Leitzins nach längerem Abwarten erstmals seit elf Jahren angehoben. Für den September wird ein weiterer Zinsschritt erwartet. (31. August)
Ostsee-Länder wollen Offshore-Windenergie massiv ausbauen
Kopenhagen – Vor dem Hintergrund der Energiekrise in Europa haben sich Staats- oder Regierungschefs von acht Ostsee-Ländern in Kopenhagen auf einen massiven Ausbau der Windenergie geeinigt. So wollen die Staaten ihre Offshore-Leistung bis 2030 auf knapp 20 Gigawatt versiebenfachen, wie es in einer gemeinsamen Erklärung vom 30. August heißt. Neben den anwesenden Staats- oder Regierungschefs aus Dänemark, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen haben auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson das Abkommen unterzeichnet.
«Putin nutzt Energie als Waffe und hat Europa an den Rand einer Energiekrise gebracht»,
sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei einer Pressekonferenz.
Wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, aber auch wegen der Klimakrise seien «ehrgeizige Entscheidungen» nötig. «Wir sind entschlossen, unsere Energie-Zusammenarbeit und Energie-Widerstandsfähigkeit zu stärken», heißt es in dem Papier. Dafür wollen die Länder auch schnellere Genehmigungsverfahren bei Windkraft-Projekten anstreben. Das Offshore-Potenzial in der Ostsee liege insgesamt bei 93 Gigawatt.
Zu dem Energie-Gipfel war am 30 August auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angereist. «Wir nutzen die Kraft des Windes, um von fossilen Brennstoffen aus Russland freizukommen», sagte sie bei der Pressekonferenz. Offshore-Windkraft in der Ostsee könne bis 2030 den Energieverbrauch von sechs Millionen Haushalten decken. Dänemark hatte kurz vor dem Energie-Gipfel angekündigt, die Kapazität eines geplanten Energie-Hubs auf der Insel Bornholm auf drei Gigawatt erhöhen zu wollen. Außerdem soll Deutschland mit einem Kabel an das Offshore-Kraftwerk angeschlossen werden, sodass auch deutsche Haushalte mit dem Strom versorgt werden können, wie das dänische Energieministerium am 30 August mitteilte. Das Hub soll 2030 fertig sein. Vor der dänischen Nordseeküste soll zudem eine riesige künstliche Energie-Insel zur Speicherung von Offshore-Windenergie entstehen. Im Mai hatte Dänemark bereits einen Gipfel zur Windenergie in der Nordsee ausgerichtet. Damals hatten Scholz und seine Amtskollegen aus Dänemark, Belgien und den Niederlanden vereinbart, ihre Offshore-Leistung bis 2030 zu vervierfachen und gemeinsam mindestens 65 Gigawatt zu erreichen. Bis 2050 soll die Leistung auf 150 Gigawatt gesteigert werden. (30. August)
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz will Europa mit Reformen stärken
Prag – Mit weitreichenden Reformen will Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz die Europäische Union stärken und sie für Erweiterungen fit machen. In seiner Grundsatzrede an der Karls-Universität in Prag setzte sich Scholz am 29. August für einfachere Entscheidungsprozesse, ein krisenfestes Asylsystem und eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Rüstung und Verteidigung ein. Konkret kündigte Scholz an, gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufbauen zu wollen.
«Wir müssen das Gewicht des geeinten Europas noch viel stärker zur Geltung bringen. (…) Zusammen haben wir allerbeste Chancen, das 21. Jahrhundert in unserem, im europäischen Sinn mitzuprägen und zu gestalten.» sagte der deutsche Kanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Tschechien. Der Kanzler betonte, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die EU zusammengeschweißt habe. Scholz unterstützte die französische Idee für eine neue europäische politische Gemeinschaft, die einen engeren Austausch mit Partnern von außen ermöglichen soll. Derzeit fehle ein Forum, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU mit Partnerstaaten ein- oder zweimal jährlich zentrale Themen besprechen könnten – zum Beispiel in Fragen wie Sicherheit, Energie oder Klimaschutz. Die Idee für eine solche Gemeinschaft stammt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
«Solch ein Zusammenschluss – das ist mir ganz wichtig – ist keine Alternative zur anstehenden EU-Erweiterung», betonte der Kanzler. «Denn wir stehen bei unseren Beitrittskandidaten im Wort – bei den Ländern des westlichen Balkans sogar schon seit fast 20 Jahren.» Scholz warb für eine engere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Er argumentierte, dass ein gemeinsames Luftverteidigungssystem kostengünstiger und leistungsfähiger wäre als nationale Lösungen. Als mögliche Partner hierfür nannte er die Niederlande, Polen, Tschechien, die Slowakei sowie die Länder im Baltikum und in Skandinavien. Scholz forderte zudem einen eigenständigen Rat der EU-Verteidigungsminister.
Der Kanzler betonte seine Unterstützung für eine EU-Erweiterung um die Staaten des Westbalkans, die Ukraine, Moldau und perspektivisch auch Georgien.
«Dass die EU weiter in Richtung Osten wächst, ist für uns alle ein Gewinn»
sagt Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz.
Um die EU dafür fit zu machen, will er unter anderem die Zusammensetzung des EU-Parlaments ändern. Wenn man das Parlament nicht aufblähen wolle, dann brauche es «eine neue Balance, was seine Zusammensetzung angeht», forderte Scholz. «Und zwar unter Beachtung auch des demokratischen Prinzips, wonach jede Wählerstimme in etwa das gleiche Gewicht haben sollte.» Länder mit kleinerer Bevölkerung sind im EU-Parlament überproportional vertreten – bevölkerungsstarke Länder wie Deutschland unterproportional. (29. August)
Deutschland verständigt sich mit Brüssel auf Klarstellung zu CETA
Berlin – In der Debatte um den Freihandelsvertrag CETA der EU mit Kanada haben sich das deutsche Wirtschaftsministerium und die EU-Kommission auf eine Klarstellung verständigt. Die Schutzbestimmungen für Investoren sollten deutlicher umschrieben werden, teilten beide am 29. August mit. Ziel sei es, jeglichen Missbrauch des CETA-Abkommens rechtssicher auszuschließen. An CETA wird unter anderem kritisiert, es schütze einseitig Konzerninteressen zum Nachteil von Klima, Umwelt und Sozialem. Konkret seien nun die Begriffe «indirekte Enteignung» und «gerechte und billige Behandlung» von Investoren präziser definiert worden, teilte das Wirtschaftsministerium mit. «Hier soll vor allem sichergestellt werden, dass notwendige Maßnahmen im Rahmen der Klima-, Energie- oder Gesundheitspolitik nicht von Investoren ausgehebelt werden oder zu Schadenersatzansprüchen führen können», hieß es.
In einem nächsten Schritt wolle man nun dafür werben, dass die anderen EU-Mitgliedsstaaten die neuen Erklärungen mittragen. Danach werde die EU-Kommission die kanadischen Partnern konsultieren. Deutschland wolle CETA ratifizieren, betonte die parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner. «Wichtig ist aber, dass im Rahmen des bestehenden Abkommens klargestellt wird, dass das gemeinsame Ziel des Klimaschutzes ermöglicht wird und missbräuchliche Anwendungen im Bereich des Investitionsschutzes verhindert werden.» Das Freihandelsabkommen mit Kanada wird in Teilen bereits seit September 2017 angewendet – allerdings nur die Bereiche, für die unzweifelhaft allein die EU zuständig ist und nicht deren Mitgliedstaaten. Ein vollständiges Inkrafttreten ist erst möglich, wenn alle Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert haben. Bisher haben 16 Staaten zugestimmt. (29. August)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl auf der Grundlage der Europa-Berichterstattung der dpa. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der dpa. Der EU Digest erscheint jeweils montags und donnerstags.