Auf dem letzten EU-Gipfel des Jahres haben die 27 Staats- und Regierungschefs die Europäische Kommission aufgefordert, bis Anfang 2023 Maßnahmen zur Verbesserung der Klima-Investitionen und der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie vorzuschlagen. Sie reagierten damit auf den US-Inflation Reduction Act (IRA) – ein Gesetz, das sie als diskriminierend für europäische Unternehmen ansehen.
In Brüssel schrillten die Alarmglocken, als klar wurde, dass der im August dieses Jahres verabschiedete IRA, Steuererleichterungen und Subventionen in Höhe von 367 Milliarden US-Dollar vorsieht, um die heimische Produktion von u. a. Elektrofahrzeugen, Solarzellen und Batterien anzukurbeln. Die EU sieht in dem US-Subventionspaket einen Verstoß gegen den fairen Wettbewerb, da die meisten Hersteller von Elektrofahrzeugen ihre Produktion in die USA verlagern könnten. Derzeit werden mehr als 25 Prozent der Elektroautos in Europa hergestellt, während nur etwa 10 Prozent in den USA produziert werden.
Das Paket sieht beim Kauf von Elektrofahrzeugen Steuergutschriften in Höhe von 7.500 US-Dollar pro Fahrzeug für Verbraucher in den USA vor, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Eine davon ist, dass mindestens 40 Prozent der in der Elektrobatterie verwendeten Rohstoffe dort oder in einem Land gewonnen werden, mit dem die USA ein Handelsabkommen geschlossen haben. Die EU und die USA sind zwar wichtige Handelspartner, haben aber ein solches Abkommen nicht. Bis 2026 soll dieser Wert auf 80 Prozent angehoben werden.
Eine weitere Bedingung ist, dass mindestens 50 Prozent der Batteriekomponenten in den USA, Kanada oder Mexiko hergestellt oder montiert werden, und bis 2029 wird dieser Wert auf 100 Prozent angehoben.
Der IRA sieht auch für andere Bereiche ein großzügiges Anreizprogramm vor, wie zum Beispiel neue Steuergutschriften zur Förderung von Kohlenstoffabscheidung, grünem Wasserstoff und Investitionen in saubere Energietechnologien und zur Verringerung der Treibhausgasemissionen. In diesen Bereichen ist Europa derzeit weltweit führend.
Europas neue Industriepolitik hoch auf der Agenda 2023
„Wir müssen unsere Antwort geben, unseren europäischen IRA“, sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, vergangene Woche im Europäischen Parlament.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der EU und den USA, die die Bedenken der EU bezüglich des US-Subventionsprogramms für grüne Technologien ausräumen sollte, war bisher nicht erfolgreich. In der Zwischenzeit haben Deutschland und Frankreich am 20. Dezember ihre Pläne vorgestellt. Die EU soll nach amerikanischem Vorbild die Regeln für staatliche Beihilfen für Investitionen in den umweltfreundlichen Sektor flexibler gestalten und die Genehmigungszeit halbieren.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck und der französische Finanzminister Bruno Le Maire drängten die USA dazu, europäische Unternehmen in die für US-Unternehmen geplanten Steuererleichterungen einzubeziehen.
Neben den Vorschlägen zur Änderung der Vorschriften für öffentliche Investitionen in der EU haben Deutschland und Frankreich auch künftige Konsultationen zwischen den USA und der EU über staatliche Beihilfen für die Industrie ins Auge gefasst. Jedoch verfügen nicht alle Mitgliedstaaten über die gleichen steuerlichen Möglichkeiten, die heimische Produktion zu subventionieren. Dies könnte zu einem Wettlauf bei den Subventionen führen – auch innerhalb der EU. Und dies könnte wiederum zu Verzerrungen im Binnenmarkt führen.
Nicht enthalten in den deutsch-französischen Plänen ist die Forderung der EU-Exekutive, einen Fonds für die gesamte industrielle Basis der Union einzurichten, der mit gemeinsamen EU-Krediten finanziert werden soll. Paris und Berlin wollen ungenutzte Mittel aus dem Covid-19-Hilfsfonds der EU nutzen, mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) zusammenarbeiten und die Kapitalmärkte der EU für weitere Finanzierungsquellen erschließen.
Eine weitere Option wäre ein Europäischer Souveränitätsfonds, um Europas Innovations- und Industrieprogramme zu unterstützen. Dabei ist unklar, wie groß dieser Fonds sein soll, wie er finanziert werden soll und wer bestimmt, was subventioniert werden soll.
Spanien unterstützt EU-Maßnahmen gegen das US-Gesetz, da es sich zum Beispiel auf Wasserstoff-Investitionen auswirken könnte. Aus Regierungskreisen heißt es, man sei „nicht gegen“ ein gemeinsames Finanzierungsinstrument, das mit gemeinsamen Schulden aufgebracht werden könnte, warne aber, dass die wichtige Frage sei, wie das Geld ausgegeben werden solle.
Am Rande des jüngsten EU-Gipfels sagte Sloweniens Ministerpräsident Robert Golob, dass der IRA „nicht gegen China oder Europa gerichtet ist, sondern er ist pro-USA“. Sloweniens Exporte wären trotz seiner geringen Größe von dem US-Gesetz betroffen. Dejan Židan, Staatssekretär im slowenischen Wirtschaftsministerium, sieht das Gesetz als Anlass, darüber nachzudenken, ob die EU wirklich genug getan hat, um ihre eigene Industrie zu unterstützen.
Nach Ansicht von Jure Stojan, Direktor für Forschung und Entwicklung am Institute for Strategic Solutions (ISR), wäre es schlecht, wenn es keine „einheitliche europäische Regelung” gäbe und staatliche Beihilfen erlaubt wären. Slowenien hätte es schwer, mit den Subventionen, die größere Mitgliedsstaaten ihren Unternehmen anbieten können, Schritt zu halten.
Europas Attraktivität aufrechterhalten
Während Washington und Brüssel weiterhin nach Lösungen suchen, um die Auswirkungen auf die EU-Unternehmen abzumildern und einen Handelskrieg zu vermeiden, fordern die 27 Staats- und Regierungschefs Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsattraktivität Europas aufrechtzuerhalten und die Abhängigkeit von Drittländern bei wichtigen Lieferungen zu verringern.
In den auf dem jüngsten Gipfel verabschiedeten Schlussfolgerungen betonten sie die Bedeutung einer „ehrgeizigen europäischen Industriepolitik, um Europa für ökologische Übergänge fit zu machen und strategische Abhängigkeiten (…) im gegenwärtigen globalen Kontext zu verringern“. Ziel sei es, „Europas wirtschaftliche, industrielle und technologische Basis“ in einer Zeit hoher Energiepreisschocks im EU-Block zu sichern und Europas „globale Wettbewerbsfähigkeit“ zu erhalten.
Stojan vom Forschungsinstitut ISR ist der Ansicht, dass es angesichts der Machtverhältnisse im US-Kapitol „undenkbar ist, dass die Regierung von Präsident Biden Änderungen an dem Gesetz beschließen würde. Dies schränkt die Möglichkeiten für die EU ein, größere Ausnahmen im Paket zu erhalten“.
Die Antwort Europas könnte auf dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs der am 9. und 10. Februar folgen, wo die Hauptthemen Migration und die globale Wettbewerbsfähigkeit der Unionsein werden. Schweden, das die sechsmonatige Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union übernimmt, betonte, dass die transatlantische Zusammenarbeit eine der wichtigsten Prioritäten sein werde.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.