Am 28. Mai stimmte das georgische Parlament trotz heftiger Kritik der Opposition, tausender Demonstranten auf den georgischen Straßen und scharfer Worte der Europäischen Union für die Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes zur Begrenzung ausländischen Einflusses.  

Die pro-westliche georgische Präsidentin Salome Surabischwili hatte zuvor ein Veto gegen das Gesetz eingelegt, wurde aber von einer einfachen Mehrheit im Parlament überstimmt. Am Montag (3. Juni) wurde das Gesetz unterzeichnet und ist in Kraft getreten.

Die regierende nationalistische Partei Georgischer Traum, die die Mehrheit im Parlament hält, will mit dem Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen verschärfen, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten. Sie rechtfertigt das Gesetz damit, dass es für mehr Transparenz bei der ausländischen Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen sorge und die georgische Souveränität stärke.

Die Online-Registrierung von Nichtregierungsorganisationen soll in zwei Monaten beginnen, wobei Verstöße mit Geldstrafen geahndet werden. Nach Angaben des Bürgermeisters von Tiflis, Kakha Kaladze, wird das Vermögen von Organisationen, die sich nicht registrieren lassen, beschlagnahmt. Dann würden sie geschlossen.

Viele Organisationen haben erklärt, dass sie sich weigern werden, die Vorschriften einzuhalten, und ihren Fall vor das Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen werden. Georgien ist 1999 dem Europarat beigetreten und unterliegt der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die pro-westliche Opposition kritisiert das Gesetz als „russisch“ und befürchtet politische Repressionen ähnlich denen im Nachbarland.

Die Europäische Union hat Georgien Ende 2023 den Kandidatenstatus zuerkannt. Angesichts der jüngsten Entwicklungen erklärten der EU-Chefdiplomat Josep Borrell und die Europäische Kommission, das Gesetz stelle einen Rückschritt auf Georgiens EU-Kurs dar. Die USA, die seit langem Beziehungen zu Georgien unterhalten, kündigten ebenfalls an, Einreisebestimmungen und die bilateralen Beziehungen zu überprüfen.

Der georgische Premierminister Irakli Kobachidse erklärte jedoch, dass Georgien weiterhin das Ziel verfolge, bis 2030 der Europäischen Union beizutreten. Sanktionen oder Strafen schrecken die Regierungspartei nicht ab, da sie im Interesse des Volkes handelt und gewählt wurde, sagte er.

Tausende protestieren gegen „Agenten“-Gesetz nach russischem Vorbild

Seit Wochen protestieren Zehntausende in Tiflis, der Hauptstadt des ehemaligen Sowjetstaates, gegen das Gesetz. Kritiker werfen der georgischen Regierung vor, das geplante Gesetz einem russischen „Agenten“-Gesetz nachempfunden zu haben, um die Arbeit unabhängiger Verbände und Medien zu behindern.

In Russland werden zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt, eine Einstufung, die oft große Probleme verursacht. Das umstrittene Gesetz wurde 2012 eingeführt und soll Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland, darunter Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Künstler, stigmatisieren und politisch verfolgen.

26.05.2024, Georgien, Tiflis: Die georgische Präsidentin Salome Surabitschwili und der georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse (l) während der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Foto: Irakli Gedenidze/Pool Reuters/AP/dpa

Gegensätze: Gesetz laut Premierminister gut für „Souveränität“, Präsidentin sagt, es halte vom EU-Weg ab

Der georgische Premierminister Irakli Kobachidse hat Präsidentin Salome Surabischwili wegen ihres Vetos gegen das Gesetz „Verrat“ vorgeworfen.

„Es waren die Einigkeit und die vernünftigen Schritte des Volkes und seiner gewählten Regierung, die uns die Möglichkeit gaben, den Frieden im Land in den letzten zwei Jahren trotz existenzieller Bedrohungen und mehrfachen Verrats, einschließlich des Verrats der georgischen Präsidentin, aufrechtzuerhalten“, erklärte Kobachidse in einer Rede zum Tag der georgischen Unabhängigkeit von der ehemaligen UdSSR, der am 26. Mai begangen wird.

Aber auch die Präsidentin fand deutliche Worte für den Premierminister: „Partnerschaft und Annäherung an Europa sind der wahre Weg, um unsere Unabhängigkeit und unseren Frieden zu bewahren und zu stärken“, sagte sie und fügte hinzu, dass „diejenigen, die diesen Weg sabotieren und untergraben, die friedliche und sichere Zukunft unseres Landes mit Füßen treten und schädigen und den Weg zu einem vollwertigen Mitglied der freien und demokratischen Welt behindern“.

Nach ihrem überstimmten Veto hatte sich die pro-westliche Präsidentin und ehemalige französisches Diplomatin Surabischwili geweigert, das Gesetz zu unterzeichnen. Am 3. Juni unterzeichnete der georgische Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili, ein Mitglied der nationalistischen Partei Georgischer Traum, das Gesetz.

Surabischwili rief die Demonstranten auf, ihre Energie auf die Sammlung von Unterschriften für ein Referendum gegen das Gesetz zu konzentrieren. Gleichzeitig erinnerte sie daran, dass in der Schwarzmeerrepublik am 26. Oktober ein neues Parlament gewählt werde und das Volk die Möglichkeit habe, die derzeitige Regierung abzusetzen.

Die Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft ist unter den Georgiern groß: Laut einer landesweiten Umfrage sprachen sich im März 89 Prozent der Georgier entweder „voll und ganz“ oder „eher“ für einen Beitritt zur Europäischen Union aus.

Drei Schritte rückwärts auf dem georgischen Weg in die EU

Pro-europäische Kräfte kritisieren das Gesetz als Rückschritt auf dem Weg in die EU: Die Europäische Union hat nach der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes, das die Kontrolle der Zivilgesellschaft in dem Kandidatenland verschärfen soll, Konsequenzen angekündigt. Auch Washington kündigte Konsequenzen an, wie z.B. Visumverbote und eine „umfassende Überprüfung der gesamten Zusammenarbeit zwischen den USA und Georgien“.

„Die EU hat wiederholt betont, dass das vom georgischen Parlament verabschiedete Gesetz gegen die Grundprinzipien und Werte der EU verstößt“, teilten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und die EU-Kommission am Dienstagabend (28. Mai) mit. Die Entscheidung werde sich negativ auf Georgiens Weg in Richtung EU auswirken. Die EU und ihre Mitgliedstaaten prüften alle Möglichkeiten, auf die Entwicklungen zu reagieren.

Konkret wird in der Erklärung kritisiert, dass das neue Gesetz in mindestens drei von neun Bereichen für Rückschritte sorgt, die für den EU-Beitrittsprozess wichtig sind. Dies seien der Kampf gegen eine Polarisierung der Gesellschaft und Desinformation sowie Fortschritte bei den Grundrechten und der Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Mit Blick auf die Proteste gegen das Gesetz in Georgien erklärten Borrell und die EU-Kommission: „Wir stehen weiterhin an der Seite des georgischen Volkes und erkennen die Entscheidung der überwältigenden Mehrheit für eine europäische Zukunft des Landes an.“

Die EU und die USA finanzieren seit langem in großem Umfang zivilgesellschaftliche Entwicklungsprojekte in Georgien. Die damit verbundene Vermittlung westlicher Werte wie Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung steht im Gegensatz zu konservativen Kräften in der stark von der georgisch-orthodoxen Kirche geprägten Gesellschaft.

Kein Gesetz über „ausländische Agenten“ in Bosnien und Herzegowina, aber in Kirgisistan

In Bosnien und Herzegowina, einem weiteren EU-Beitrittskandidaten, haben die Behörden der Republika Srpska (RS) kürzlich das von ihnen vorgeschlagene  Gesetz über “ausländische Agenten“ wieder fallen gelassen. Es war ebenfalls von der EU kritisiert worden.

Das Gesetz war zuvor im September 2023 in erster Lesung von der Nationalversammlung der Republik Srpska angenommen worden.

Der Präsident der Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, erklärte auf seinem X, der Rückzug sei auch auf das Engagement der RS für den europäischen Weg von Bosnien und Herzegowina zurückzuführen.

Das mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnte Gebiet der Republika Srpska ist eine von zwei Entitäten in Bosnien und Herzegowina. 

Dodik hat sich seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen und Putin Anfang 2023 die höchste Ehrenmedaille für seine „patriotische Sorge und Liebe“ zur RS verliehen.

Russland wird vorgeworfen, Dodiks Separatistenpolitik strategisch zu unterstützen, um die Spaltung zwischen den drei wichtigsten ethnischen Gruppen des Landes auszunutzen.

In Kirgisistan, einer weiteren ehemaligen Sowjetrepublik, wurde Ende März ein Gesetz über „ausländische Agenten“ verabschiedet.

Dieser Artikel ist Teil von enr’s EU Elections Spotlight:Anti-EU-Strömungen. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der am enr beteiligten Agenturen.