Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am Montag auf einem inoffiziellen Gipfel in Brüssel keine endgültigen Entscheidungen getroffen über geeignete Kandidaten für die Spitzenpositionen in der EU nach den Europawahlen.
Obwohl das Treffen als erster Austausch von Standpunkten zu den Verhandlungen geplant war, wurden mehrere Namen mit der mehrheitlichen Unterstützung der Staats- und Regierungschefs genannt: Die konservative Ursula von der Leyen aus Deutschland als Chefin der Europäischen Kommission, der sozialistische ehemalige portugiesische Premierminister António Costa als Vorsitzender des Europäischen Rates und die liberale derzeitige estnische Premierministerin Kaja Kallas als Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.
„Wir werden keine Neuauflage von 2019 erleben, als es so etwas wie eine große Tombola gab und drei Tage lang alles möglich war,“ sagte der niederländische Premierminister Mark Rutte. „Das ist hier nicht der Fall. Das scheint viel klarer zu sein.”
Nach Beginn der Verhandlungen schlug die Europäische Volkspartei (EVP) vor, eine Änderung der Tradition der zwei aufeinanderfolgenden zweieinhalbjährigen Amtszeiten für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates einzuführen. Die Idee dahinter: Eine Möglichkeit zu schaffen, mit der sich die EVP und eine andere Fraktion das Amt für jeweils eine Amtszeit teilen.
Die Staats- und Regierungschefs der EU werden nächste Woche erneut zusammenkommen, um die Diskussionen über die drei hochrangigen Positionen fortzusetzen. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, betonte, es sei „eine „kollektive Pflicht, eine Entscheidung zu treffen“, wenn die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel zurückkehren.
Unterstützung von links und rechts sammeln
Der größte EU-weite politische Block – die EVP – war der Sieger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament zwischen dem 6. und 9. Juni und sicherte der deutschen Konservativen von der Leyen fünf weitere Jahre an der Spitze der Kommission.
Um die Zustimmung der EU-Staats- und Regierungschefs zu erhalten, benötigt von der Leyen die Unterstützung einer „qualifizierten Mehrheit“ von 15 der 27 Länder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung abdecken.
Ein Dutzend Staats- und Regierungschefs kommen aus ihrer Fraktion, aber sie musste auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron von der gemäßigten Fraktion Renew Europe und den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz von den Sozialisten und Demokraten (S&D) überzeugen.
Scholz hatte in einem Interview am Samstag frühzeitig die Weichen für die Nominierung von der Leyens gestellt: „Natürlich ist klar, dass nach dem Ergebnis der Wahlen alles dafür spricht, dass es eine zweite Amtszeit geben kann von Ursula von der Leyen,“ sagte Scholz.
Der slowenische Premierminister Robert Golob sprach sich offen für von der Leyen aus. „Unsere Erfahrungen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission waren sehr positiv,“ sagte er und sprach von der entscheidenden Rolle, die sie spielte, damit Slowenien nach den verheerenden Überschwemmungen im August 2023 „reichlich finanzielle Unterstützung aus Brüssel“ erhielt.
Die zweitstärkste Fraktion im Parlament, die Sozialisten und Demokraten (S&D), hatten den Ratsposten im Visier, wobei Costa als Spitzenkandidat galt. Obwohl ihm eine Korruptionsuntersuchung nachhängt, durch die er im November 2023 zum Rücktritt gezwungen war, wird er weiterhin für die Nachfolge des Belgiers Charles Michel gehandelt.
Die Ernennung der 47-jährigen Kallas – einer ausgesprochenen Kreml-Kritikerin – zur Chefin der Außenpolitik der EU wäre ein starkes Signal in Richtung Osten der EU. Im Vorfeld der Gespräche kündigte Polen an, dass es Kallas für das Amt unterstützen würde.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán kritisierte das Ergebnis der Gespräche vom Montag als „beschlossene Sache“. „Sie scheren sich nicht um die Realität, sie scheren sich nicht um die Ergebnisse der Europawahlen,“ schrieb Orbán in einem Beitrag in den sozialen Medien, „und sie scheren sich nicht um den Willen der europäischen Bevölkerung“.
Wie geht es weiter?
Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU werden wieder zusammenkommen, um dann auf einem offiziellen Gipfel am 27. und 28. Juni in Brüssel zu einer Einigung zu kommen. Wenn von der Leyen, wie erwartet, genügend Stimmen der Staats- und Regierungschefs erhält, kann sie sich an die Auswahl ihrer Kommissare machen. Diese werden aus allen EU-Mitgliedsländern kommen, und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern und der politischen Zugehörigkeit ist bei der Auswahl zu berücksichtigen.
Aber sie wird noch eine weitere Hürde nehmen müssen: Das neue Europäische Parlament muss die Wahl der Kommisssions-Chefin und der vorgeschlagenen Kommissare billigen.
Es wird erwartet, dass die Verhandlungen über die beiden anderen Posten, bei denen Costa und Kallas im Mittelpunkt stehen, ebenfalls auf dem Gipfel fortgesetzt werden.
Ein vierter Posten, der zur Debatte steht, ist der des Präsidenten des Europäischen Parlaments, der von der Legislative und nicht von den Regierungschefs bestimmt wird. Im Moment ist es wahrscheinlich, dass die Amtsinhaberin, Roberta Metsola von der EVP, für eine weitere zweieinhalbjährige Amtszeit wiedergewählt wird.
Andrej Plenković, der kroatische Ministerpräsident, erinnerte daran, dass in den nächsten Jahren mehr auf dem Spiel steht als diese Spitzenposten in Brüssel. „Es geht auch um den Generalsekretär der NATO, den Generalsekretär des Europarats, den kürzlich gewählten Chef der Europäischen Investitionsbank – und in diesem ganzen Kontext muss man sehen, wie sich der Wählerwille bei den Europawahlen widerspiegelt und wie sich der aktuelle Zustand der Regierungen in bestimmten Ländern darstellt,“ sagte er.
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