Kiew drängt schon seit Monaten auf einen Beitritt der Ukraine zu dem Militärbündnis. Ob das Land letztendlich Mitglied der North Atlantic Treaty Organization (NATO) werde, hänge jedoch von seinen westlichen Partnern ab, sagte der ukrainische Staatschef in seiner täglichen Videoansprache am Mittwoch.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Dienstag mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg telefoniert, nachdem die NATO-Mitgliedstaaten Stoltenbergs Amtszeit bis zum 1. Oktober 2024 verlängert hatten. Stoltenberg ist seit 2014 im Amt. Zuletzt wurde seine Amtszeit im März 2022 kurz nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine bis September 2023 verlängert.
Die 31 NATO-Mitgliedstaaten feilschen derzeit um den genauen Wortlaut eines abschließenden Gipfelkommuniqués über die mögliche Mitgliedschaft der Ukraine. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten werden außerdem versuchen, sich auf ein neues Ziel für die Verteidigungsausgaben zu einigen.
NATO-Ukraine-Rat: ein möglicher Kompromiss?
Im Vorfeld des NATO-Gipfels drängen die osteuropäischen Länder auf einen klaren Zeitplan für die Mitgliedschaft der Ukraine, während die USA und Deutschland auf der zögerlichen Seite stehen und London vermittelt. Die Einrichtung des NATO-Ukraine-Rates gilt als Kompromiss, um die Beziehungen im Hinblick auf eine künftige Mitgliedschaft im Nordatlantikbündnis zu stärken.
Der Rat würde es der Ukraine ermöglichen, sich viel stärker an der Arbeit der NATO-Verbündeten zu beteiligen und in die Entwicklung von Ideen einbezogen zu werden. Dies würde eine erste politische Integration bedeuten, die mit einem mehrjährigen militärischen Unterstützungsplan mit der Zielsetzung einhergeht, die ukrainischen Streitkräfte mit den NATO-Streitkräften „vollständig interoperabel“ zu machen.
Bei einem informellen Treffen der NATO-Außenminister in Oslo unterstützte der italienische Außenminister Antonio Tajani die Idee, einen NATO-Ukraine-Rat einzurichten. „Wir haben heute die Verpflichtung aller Beteiligten zur Kenntnis genommen, die Ukraine weiterhin mit aller Kraft zu unterstützen, und wir haben über ihre mögliche künftige Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis gesprochen“, sagte er. „Für Italien ist die Einrichtung eines NATO-Ukraine-Rates ein wichtiger Schritt vor der Festlegung eines Beitrittsdatums, damit wir die Zusammenarbeit verstärken und der Ukraine das Gefühl geben können, Teil einer Strategie zu sein“, fügte Tajani hinzu.
Bei einem symbolischen Besuch in Kiew am 1. Juli – dem ersten Tag der sechsmonatigen spanischen EU-Ratspräsidentschaft – sicherte der spanische Präsident Pedro Sánchez der Ukraine die Unterstützung Spaniens zu, „so lange es nötig ist“, und forderte die Einrichtung eines NATO-Ukraine-Rates, um „die politische Beteiligung Kiews“ an der Militärallianz zu stärken.
Sanchez kündigte außerdem die Entsendung weiterer gepanzerter Fahrzeuge und zusätzlicher Finanzhilfen zur Wiederbelebung der ukrainischen Wirtschaft an, und die beiden Staatsoberhäupter unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung, in der Spanien versicherte, dass man für „die Stärkung des NATO-Bündnisses mit der Ukraine“ eintrete.
Die spanische Regierung hat sich allerdings nicht dazu geäußert, ob sie für eine Öffnung der Tür für einen NATO-Beitritt der Ukraine ist. Am 21. Juni lehnte es José Manuel Albares, Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Europäische Union und Zusammenarbeit, ab, die spanische Position zu erläutern, und erklärte, die Frage werde mit den anderen Mitgliedstaaten auf dem Gipfeltreffen nächste Woche in Vilnius erörtert.
Die Ostflanke der NATO stärken
Selenskyj traf am Donnerstag zu einem eintägigen Besuch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ein. Er wurde vom bulgarischen Präsidenten Rumen Radev, Ministerpräsident Nikolai Denkov und der stellvertretenden Ministerpräsidentin Mariya Gabriel empfangen und führte Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden im bulgarischen Parlament.
Am selben Tag nahm die bulgarische Nationalversammlung eine Erklärung an, in der sie die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO nach Beendigung des Krieges unterstützt. Darin erklärte das Parlament, dass der direkteste und wünschenswerteste Weg zur Wiederherstellung des Friedens in der Ukraine der sofortige und vollständige freiwillige Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem international anerkannten Hoheitsgebiet aller betroffenen souveränen Staaten sei.
Während des Besuchs wurden eine gemeinsame Erklärung zur euro-atlantischen Integration der Ukraine und ein Memorandum zur Zusammenarbeit im Energiebereich unterzeichnet.
„Ich möchte Bulgarien für die Unterstützung und den Schutz unseres Volkes danken“, sagte Selenskyj bei einer Pressekonferenz und nahm damit Bezug auf die wichtigen Militärgüter, die Sofia seit den ersten Tagen des Krieges an Kiew geliefert hatte.
Die neue pro-westliche Regierung in Bulgarien hat der Ukraine weitere Unterstützung in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren zugesagt. Vor kurzem lehnte Präsident Radev jedoch die Beteiligung Bulgariens an einer gemeinsamen Initiative der Europäischen Union zur Lieferung von Munition an die Ukraine ab.
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel in der vergangenen Woche hatte der slowenische Premierminister Robert Golob erklärt, dass ein dauerhafter Frieden in der Ukraine eine Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen über die NATO-Mitgliedschaft des Landes sei. „Es gibt eine Vielzahl von Ansichten über und Formeln für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Ich denke, die Zeit wird zeigen, ob eine der bestehenden Formeln akzeptabel ist“, erklärte Golob. Es bestehe kein Zweifel daran, dass sich die Ukraine auf dem Weg in das euro-atlantische Bündnis befinde, aber die Dauer der Reise hänge von verschiedenen Faktoren ab, fügte der Premierminister hinzu.
Der rumänische Präsident Klaus Iohannis erinnerte daran, dass die Bündnispartner auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest beschlossen hatten, dass die Ukraine und Georgien in Zukunft NATO-Mitglieder werden sollten. Seither hat Iohannis die Position Rumäniens zur NATO-Erweiterung bekräftigt und betont, dass „das Bündnis eine starke, langfristige Position braucht, eine wirklich fortschrittliche Verteidigung, die in der Lage ist, auf alle Bedrohungen zu reagieren“.
„Angesichts unserer strategischen Lage sind wir in Rumänien besonders daran interessiert, die Ostflanke durch ein kohärentes und einheitliches Vorgehen weiter zu stärken. Dies bedeutet, dass wir die erforderlichen Streitkräfte, Strukturen, Qualifikationen und Ausrüstungen sowie angemessene Führungs- und Kontrollregelungen sicherstellen müssen“, meinte der rumänische Präsident abschließend.
Vilnius bereitet sich auf Empfang der NATO-Bündnispartner vor
Die NATO nähere sich einem Konsens zur Behandlung des Beitrittsgesuchs der Ukraine auf ihrem bevorstehenden Gipfel und wolle zeigen, dass sie über ein früheres Versprechen an Kiew „hinausgehe“, sagte die US-Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith. Die US-Botschafterin erklärte, sie erwarte, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nächste Woche an dem Treffen teilnehme, und dass seine Anwesenheit eine „starke“ Botschaft an den russischen Staatschef Wladimir Putin aussenden werde.
NATO-Diplomaten zufolge zögern die USA, über eine 2008 in Bukarest gemachte Zusage hinauszugehen, in der der Ukraine die Mitgliedschaft versprochen, aber kein Zeitplan festgelegt wurde. US-Präsident Joe Biden wird nächste Woche zu einer Reise durch drei europäische Länder aufbrechen und unter anderem auch an dem NATO-Gipfeltreffen in Vilnius teilnehmen, um die internationale Koalition zur Unterstützung der Ukraine bei ihrer Gegenoffensive gegen Russland zu stärken.
Der NATO-Gipfel findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem das westliche Militärbündnis die Aufnahme Schwedens anstrebt, dessen Beitrittsgesuch von der Türkei und Ungarn blockiert wurde, und zu dem die Ukraine ihre Kampagne für einen Beitritt inmitten der russischen Invasion intensiviert.
Selenskyj hat den bevorstehenden NATO-Gipfel in Vilnius als entscheidend für die zukünftige Sicherheit Europas bezeichnet.
Er wünscht sich, dass sein Land auf dem Gipfel in Vilnius eine Einladung zum NATO-Beitritt nach dem Ende des Krieges gegen Moskau erhält.
Das spanische Militär verlegt ein in Lettland stationiertes Luftabwehrsystem in das benachbarte Litauen, um den dort in der kommenden Woche stattfindenden NATO-Gipfel zu schützen, teilte die spanische Botschaft am Montag in Vilnius mit. Deutschland hat, ebenfalls zum Schutz des Gipfels, Patriot-Luftverteidigungseinheiten nach Litauen verlegt.
Die Unterstützung der Bündnispartner für die Ukraine wird einer der wichtigsten Punkte auf der Tagesordnung des NATO-Gipfels am 11. und 12. Juli in Vilnius sein.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.