Budapest/Brüssel – Österreich prüft den Vorschlag der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine noch. Eine offizielle Position gebe es noch nicht, darüber müssten die EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel im Dezember befinden, sagte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Dienstag vor Journalisten in Wien.
Wie bereits zuvor Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betonte Edtstadler, dass es kein „Fast-Track-Verfahren“ für manche Beitrittskandidaten gebe könne. Edtstadler hatte zuvor mit dem ungarischen Europaminister János Bóka gesprochen, der im Vorfeld der ungarischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2024 Besuche in den EU-Hauptstädten absolviert. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hatte sich seinerseits bereits gegen eine „vorschnelle“ Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit dem von Russland angegriffenen Land ausgesprochen.
Diese Position unterstrich auch Bóka bei seinem Besuch in Wien. Vielmehr müssten innerhalb der Europäischen Union sehr bald „strategische Gespräche“ darüber geführt werden, „ob es der Sicherheit der EU dient, wenn wir mit einem im Krieg befindlichen Land Beitrittsgespräche aufnehmen“.
Die österreichische Ministerin und der ungarische Minister beklagten gleichzeitig beide, dass es in puncto Beitritt der Westbalkan-Staaten in den vergangenen 20 Jahren kaum Fortschritte gegeben hat. „Wir dürfen den Westbalkan nicht verlieren!“, betonte Edtstadler nachdrücklich. Bóka gab sich seinerseits überzeugt: „Wenn die EU so viel Energie dafür investiert hätte, den Prozess voranzubringen, als dafür, ihn zu bremsen, wären diese Länder schon Mitglieder der EU.“
Bezüglich illegale Migration betonten beide Seiten die enge gemeinsame Kooperation, auch mit Serbien, beim Außengrenzschutz und forderten eine gemeinsame europäische Lösung für die Migrationspolitik. Angesichts der bevorstehenden EU-Wahl zeigte sich Edtstadler „besorgt“, dass es nach wie vor keine gemeinsame EU-Position zur Migration gibt. Dies könnte nämlich im Wahlkampf von EU-Kritikern „als Beispiel für die fehlende Problemlösungsfähigkeit der EU“ herangezogen werden.
Bóka leitet seit August das neu gegründete ungarische Ministerium für Europäische Angelegenheiten. Dieses hat insbesondere die Aufgabe, Ungarns EU-Ratspräsidentschaft 2024 vorzubereiten. Zuvor war der 45-jährige Jurist und ausgewiesener Europarechtsexperte als Europa-Staatssekretär im ungarischen Justizministerium angesiedelt gewesen.
Im Streit mit Ungarn um Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien hält die EU-Kommission sämtliche Gelder aus dem EU-Kohäsionsfonds für das osteuropäische Land zurück. Insgesamt wurden im Dezember 2022 rund 22 Milliarden Euro eingefroren. Die EU-Kommission hatte Ungarn einen Katalog von Anforderungen geschickt, die es im Streit über Rechtsstaatsprinzipien erfüllen muss, bevor die EU-Gelder fließen können. Im Zentrum stehen die Unabhängigkeit der Gerichte und Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene. (14.11.2023)
EU-Prognose: Österreichs Wirtschaft schrumpft 2023 real um 0,5 %
Brüssel – Die EU-Kommission revidiert ihre Wachstumsprognose für Österreich deutlich nach unten. Die heimische Wirtschaft schrumpft laut der am Mittwoch in Brüssel präsentierten EU-Herbstprognose heuer preisbereinigt um 0,5 Prozent. Verantwortlich dafür seien hohe Energiepreise, steigende Lohnstückkosten sowie ein schwaches Exportwachstum. Im Frühjahr hatte die EU-Kommission für Österreichs Bruttoinlandprodukt (BIP) 2023 noch ein Wachstumsplus von 0,4 Prozent vorhergesehen.
Auch die Inflationsprognose für Österreich hat sich seit dem Frühjahr verschlechtert – von 7,1 auf 7,7 Prozent. Besser schaut es für die beiden Folgejahre aus: 2024 soll die heimische Wirtschaft wieder real um 1,0 Prozent wachsen, bei einer geschätzten Inflationsrate von 4,1 Prozent. Für das Jahr danach werden ein Wachstum von 1,3 Prozent und eine Teuerungsrate von 3,0 Prozent erwartet.
Für die Eurozone und die gesamte EU sieht die Prognose für 2023 jeweils ein Wachstum von 0,6 Prozent vor. Die Teuerungsrate soll bei 5,6 Prozent (Eurozone) und 6,5 Prozent (EU) liegen. Das stärkste Wachstum erwartet die EU-Kommission heuer in Malta mit 4 Prozent, den deutlichsten Rückgang dürfte es hingegen in Estland mit minus 2,6 Prozent geben.
Besser als im EU-Schnitt steht Österreich dafür bei der Arbeitslosigkeit dar: Für 2023 rechnet die EU-Kommission hierzulande mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenrate von 5,3 Prozent. Im Folgejahr dürfte diese dann leicht auf 5,4 Prozent steigen, um 2025 wieder auf 5,3 Prozent zu fallen. Für die gesamte EU wird in Brüssel mit einer Rate von 6,0 Prozent gerechnet – sowohl für 2023 als auch 2024. Erst 2025 soll sie auf 5,9 Prozent sinken. (15.11.2023)
Nehammer beriet mit Gruppe von EU-Regierungschefs über Ziele der Union
Berlin/Wien – Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nahm am Montagabend an einem Treffen der EU mit mehreren EU-Regierungschefs in Berlin teil. Beim EU-Gipfeltreffen in Granada im Oktober war vereinbart worden, in einen informellen Austausch in kleineren Gruppen die Ziele der EU zu beraten. Zu den diskutierten Fragen zählten nach Angaben des EU-Rates die künftige EU-Erweiterung, die künftige Finanzierung der EU sowie die Reform der EU-Entscheidungsfindung und der Abstimmungsregeln.
Die Treffen in Kleingruppen finden in mehreren Hauptstädten der Europäischen Union statt. In Berlin sind nach Angaben des Bundeskanzleramts neben Kanzler Nehammer, EU-Ratspräsident Charles Michel und dem Gastgeber, Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz, auch die Staats- bzw. Regierungschefs aus Griechenland, Belgien, Zypern, Litauen und Ungarn vertreten. Als schwierig gilt insbesondere das Verhältnis zu Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Ungarn hat immer noch nicht grünes Licht für den Beitritt des EU-Partnern Schweden zur NATO gegeben. Auch der von der EU-Kommission gewünschten Beitrittsperspektive der Ukraine zur EU steht Ungarn skeptisch gegenüber.
Der Fokus liegt für Österreich laut der Mitteilung des Kanzleramts besonders auf einem „Paradigmenwechsel im Bereich Migration“, der „Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit in der Welt“ und „einem ehrlichen Ansatz in Bezug auf Erweiterung, im Zuge dessen alle potenziellen Kandidaten gleichbehandelt werden“. Die Europäische Union solle sich „auf die großen Fragen konzentrieren und sich bei kleineren Fragen zurücknehmen“, forderte Nehammer demnach. Erneut unterstrich der Kanzler, dass das EU-Asylsystem „kaputt“ sei. In Bezug auf künftige EU-Erweiterungen warnte Nehammer, es dürfe „kein Fast-Track-Verfahren für manche Kandidaten geben“. Der Einwurf bezog sich offenbar auf die Ukraine, mit der die EU-Kommission kürzlich Beitrittsverhandlungen empfohlen hatte.
„Niemand hat irgendjemandem ein Fast-Track-Verfahren versprochen, das ist reinster Populismus, den der Kanzler hier einmal mehr aus Angst vor der FPÖ betreibt“, ärgerte sich daraufhin NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter. „Die Ukraine kämpft an vorderster Front für unsere europäischen Grundwerte, unsere Freiheit und unsere Demokratie – sie verdient es daher, dass man ernsthafte Beitrittsgespräche mit ihr führt“, ließ er per Aussendung wissen. „Die EU-Kommission hat Putin und seinen Freunden mit der Ankündigung der Beitrittsgespräche ganz klar signalisiert, dass sich Europa nicht spalten lässt. Nehammer sollte es ihr gleichtun und nicht auf die Angstmache der Putin-Versteher einsteigen – weder in Sachen Erweiterung, noch in Sachen Asyl, wo die ÖVP Lösungen seit Jahren blockiert.“ (13.11.2023)
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