Wien/Laxenburg – Österreich ist eines jener europäischen Länder, dessen Bevölkerung durch von kurz- oder langfristigen Krisen ausgelöste Migrationsbewegungen überdurchschnittlich wachsen könnte. Das zeigen Prognosen bis zum Jahr 2060 von Forschern vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg (NÖ). Am stärksten würden sich demnach große Migrationsereignisse in Südost- und Osteuropa, in der Türkei und in Vorderasien auswirken, so die Demographen.
Die größeren Fluchtbewegungen in Richtung vieler EU-Länder im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine sowie aus Syrien und dem Irak in den Jahren 2015 und 2016 haben gezeigt, wie stark Migration von akuten politischen oder wirtschaftlichen Krisen sowie von Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Verwerfungen abhängen kann. Dem Einfluss von derartigen Krisen in verschiedensten Weltregionen auf die Bevölkerungsentwicklung der 27 EU-Staaten plus Großbritannien, Island, Norwegen und die Schweiz („EU+“) sind nun die beiden IIASA-Wissenschafter Michaela Potančoková und Guillaume Marois zusammen mit Jakub Bijak von der University of Southampton (Großbritannien) nachgegangen.
In einer Analyse, einem „White Paper“ und einem „Policy Brief“ legten sie die Ergebnisse ihrer bis zum Jahr 2060 reichenden Prognosen vor. Dem zuvor ging ein EU-gefördertes Projekt namens „Quantifying Migration Scenarios for Better Policy“ (QuantMig). Mit dem entwickelten Online-Tool simulierten die Demographinnen und Demographen verschiedene „Migrations-Events“ in Ostasien, Lateinamerika, Nordafrika, Süd- und Südostasien, Subsahara-Afrika, Vorderasien und im Rest Europas inklusive der Türkei und deren Auswirkungen auf die „EU+“-Länder.
Im „Basisszenario“ ging man von der gesamten Migrationszahl zwischen 2011 und 2019 aus und rechnete sie in die Zukunft. Dabei wurde für den Ukraine-Krieg ein Ende erst um das Jahr 2025 angenommen, und rund 60 Prozent zurückkehrende Flüchtlinge. In dem Szenario bewegen sich die Migrationsströme in Fünf-Jahres-Zeiträumen jeweils zwischen rund 12 und 15 Millionen Menschen, wobei die innereuropäische Migration und damit die Gesamtzahl im Zeitraum 2020 bis 2024 vor allem durch den Ukraine-Krieg am höchsten ist.
In der Folge simulierten die Wissenschafter verschiedene eher kurzfristige Ereignisse aus verschiedenen Weltgegenden, die die Migration gegenüber dem Basisszenarion veränderten. Außerdem spielten sie eher lange anhaltende Migrationsgeschehen durch. Diese sind durch rasch einsetzende größere Migrationsströme charakterisiert, die erst über den Verlauf von zehn Jahren abnehmen.
Eine große Rolle spielen demnach bereits vorhandene Netzwerke. So kommen Zuwanderer aus Nicht-„EU+“-Staaten eher in Ländern an, in denen es schon eine Community mit Bezug zu ihrem Ursprungsland gibt. Dementsprechend ist in jenen Ländern mit längerer Migrationsgeschichte auch mit den größten Bevölkerungszuwächsen bis zum Jahr 2060 zu rechnen.
Während einigen Staaten bis dahin insgesamt ein Bevölkerung-Minus ins Haus stehen dürfte, wird Österreich unter jene Staaten gereiht, die im Basisszenario mehr als zehn Prozent zulegen könnten (plus elf Prozent gegenüber 2020), heißt es in dem Bericht. Über die Zehn-Prozent-Schwelle kommen auch Zypern, Island, Irland, Luxemburg, Malta, Norwegen, die Schweiz, Schweden und Großbritannien. (24.08.2023)
Bargeld – Juncker hält Nehammer-Vorstoß für „Theater“
Innsbruck/Brüssel – Nichts anfangen kann offenbar Ex-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit dem Vorstoß von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), das Recht auf Bargeld in der Verfassung zu verankern. „Das ist Theater“, meinte Juncker im Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ (Freitagsausgabe). Man versuche damit, der „FPÖ irgendwie das Wasser abzugraben, und sollte sich besser auf eigene Interessen als Partei der Mitte konzentrieren und nicht nach rechts außen schauen.“
„Das bringt nichts“, ließ Juncker, selbst zur Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) gehörig, seine Gesinnungsfreunde von der ÖVP wissen. Ihm sei niemand namentlich bekannt, der das Bargeld in Europa abschaffen möchte. „Aber wenn man das in die Verfassung schreiben will, soll man das tun“, so der Luxemburger wenig begeistert.
Juncker erntete mit seinen Aussagen indes eine scharfe Replik von ÖVP-Kanzleramts-und Europaministerin Karoline Edtstadler. „Viele Menschen haben zurecht Sorge, weil die Bezahlung mit Bargeld vielerorts zunehmend erschwert wird. Unser Ziel ist es daher, die Wahlfreiheit der Zahlungsmittel sicherzustellen. Das ist alles andere als ein ‚Theater‘, sondern die Realität vieler Bürgerinnen und Bürger, die es ernst zu nehmen gilt“, erklärte sie gegenüber der APA. Alleine der Umstand, dass selbst die Europäische Kommission parallel zum Vorschlag des digitalen Euro auch eine Verordnung zur weiterhin verpflichtenden Annahme von Bargeld vorgelegt habe, zeige die Notwendigkeit, hier Rechtssicherheit zu schaffen. „Selbstverständlich geht es dabei auch darum, die flächendeckende Versorgung von Bargeld sicherzustellen“, so Edtstadler.
Auch in Sachen Brennerbasistunnel (BBT) meldete sich der Ex-Kommissonschef mit markigen Sprüchen zu Wort. Hinsichtlich der nördlichen Zulaufstrecke müsse Europa Druck auf Bayern ausüben. „Es kann ja nicht sein, dass dieses Projekt an der Langsamkeit der Bayern scheitert. Die aber gerne den Eindruck vermitteln, über eine besonders effektive Verwaltung zu verfügen. Also man muss, ohne sie zu drangsalieren, den Bayern Beine machen“, sprach sich Juncker für eine recht drastische Vorgangsweise aus. (25.08.2023)
Schieder: Simbabwes Wahl erfüllt internationale Standards nicht
Brüssel/Harare – Die von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahlen im südafrikanischen Simbabwe ziehen weitere internationale Kritik nach sich. „Ich glaube, dass diese Wahlen alle Standards nicht erfüllen, die international einer sinnvollen Abwicklung von Wahlen entsprechen“, sagte SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder im Online-Gespräch mit Journalisten am Montag. Schieder war im Rahmen der EU-Wahlbeobachtungsmission zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nach Simbabwe gereist.
„Wir haben bewiesen, dass wir eine reife Demokratie sind“, hatte der wiedergewählte Präsident Simbabwes, Emmerson Mnangagwa, am Sonntag betont. Die Wahlkommission hatte den 80-Jährigen am Samstag mit einem Ergebnis von 52,6 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Die Opposition erkannte den Wahlsieg Mnangagwas jedoch nicht an. Schieder hatte die Wahlen auf Einladung der simbabwesischen Regierung mit sechs weiteren EU-Abgeordneten im Rahmen der rund 150 Personen umfassenden EU-Wahlbeobachtungsmission observiert.
Schieder erklärte, er selbst habe bereits einige Wahlen beobachtet. In Simbabwe hätten seine Kolleginnen und Kollegen und er aber „Dinge erlebt, die wir so bei Wahlbeobachtungsmissionen noch nie erlebt haben“. Alle Rahmenbedingungen seien kritisch zu sehen. Zwei neue Gesetze würden etwa oppositionelles, selbstbestimmtes Handeln von Akteuren der Zivilgesellschaft massiv einschränken: „Wenn jemand etwas ‚zum Schaden des Landes‘ unternimmt, kann er die Todesstrafe erhalten“, nannte er als Beispiel.
Seit den letzten Wahlen 2018 sei der „demokratische Spielraum im Land massiv eingeschränkt“ worden. Auch damals habe es schon massive Vorwürfe der Opposition gegeben, dass es bei den Wahlen nicht mit rechten Dingen zugehe, erinnerte Schieder. Beim Treffen mit Präsident Mnangagwa hätten die EU-Vertreter daher auch die Umsetzung des damaligen Berichts der Wahlbeobachtungsmission angesprochen. Der Präsident habe versichert, sehr interessiert an den Ergebnissen der EU-Mission zu sein und an der Umsetzung der Forderungen von 2018 zu arbeiten.
Schieder berichtete insgesamt von einer schwierigen Mission: „Es war für uns sehr mühsam, im Vorfeld Termine mit dem offiziellen Simbabwe auszumachen.“ Auch NGOs und Journalisten seien in ihrer Arbeit behindert worden. So sei das Büro einer simbabwesischen NGO in seinem Hotel mitten in der Nacht von der Polizei gestürmt und zahlreiche Mitarbeitende verhaftet worden. Viele ausländische Journalisten hätten Schwierigkeiten gehabt, ihre Visa und Registrierungen für die Wahlberichterstattung zu erhalten. Bereits in den letzten Jahren seien mögliche Kandidaten verhaftet worden. „Auch jetzt wurden bei der Registrierung Menschen Hürden in den Weg gelegt, um nicht zu kandidieren.“
Der EU-Parlamentarier schilderte auch das „Chaos am Wahltag selbst“: „In der Region um die Hauptstadt Harare, wo wir unterwegs waren, standen hunderte Menschen stundenlang vor geschlossenen Wahllokalen. Wütende Wähler haben uns gesagt, ihre Verwandten am Land hätten längst gewählt.“ Als offizielle Begründung wurden fehlende Stimmzettel für die Lokalwahlen genannt, die gleichzeitig stattfanden. Aber: „Auf dem Land, wo der Präsident die Mehrheit hat, hat alles perfekt funktioniert“, so Schieder. Er hoffe, es werde nicht zu Ausschreitungen kommen: „Es kann aber alles noch sein.“ (28.08.2023)
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