Zwischen dem 6. und 9. Juni sind rund 370 Millionen Europäerinnen und Europäer zur Teilnahme an den voraussichtlich wichtigsten Wahlen in der Geschichte der EU aufgerufen. Europa kämpft intern jedoch mit der Einmischung Moskaus sowie dem Aufkommen souveränistischer, nationalistischer und extremistischer Bewegungen, die die EU als Institution in Frage stellen. 

Meinungsumfragen zeigen, dass rechtsextreme Bewegungen in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Monaten an Einfluss gewinnen. Sie werden oft, jedoch nicht ausschließlich, als die EU-kritischste Bewegung wahrgenommen. 

Die jüngsten Hochrechnungen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments deuten darauf hin, dass die Mehrheit, die die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Jahr 2019 unterstützt hat – bestehend aus der EVP, den Sozialdemokraten (S&D) sowie Renew Europe – ihre Position halten wird, wenn auch mit einer deutlich geringeren Mehrheit. 

Parteien aus ganz Europa, die Teil der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) sind – die einige rechtsextreme Parteien Europas umfasst – werden voraussichtlich mehr Sitze erhalten. Zu dieser Gruppe gehören der französische Rassemblement National (RN), der belgische Vlaams Belang (VB), die italienische Lega (LSP), die österreichische Freiheitliche Partei (FPÖ) und die niederländische Partei für die Freiheit (PVV). All diese Parteien haben in ihren Ländern gute Umfragewerte. 

Die deutsche Alternative für Deutschland (AfD) war bis vor kurzem ebenfalls Mitglied der ID. Am 23. Mai wurde die AfD-Delegation jedoch mit sofortiger Wirkung aus der ID-Fraktion ausgeschlossen. Durch den Ausschluss wird die Fraktion voraussichtlich weniger stark zulegen als bisher prognostiziert. Abgeordnete der AfD würden als fraktionslose Mitglieder im Parlament sitzen. 

Die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) werden voraussichtlich ebenso Sitze hinzugewinnen, da erwartet wird, dass die Partei der Brüder Italiens (FdI) unter der Führung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an Unterstützung gewinnt.

Im Gegensatz dazu könnten die Grünen, die Liberalen in der Renew Europe Fraktion sowie die Sozialdemokraten laut Umfragen geschwächt werden.

Laut den Prognosen von “Europe Elects” im Mai stehen die Grünen bei 56 Sitzen, im Vergleich zu 74 Sitzen im Jahr 2019. Die S&D-Fraktion ist bei 138 Sitzen, im Vergleich zu 154 Sitzen im Jahr 2019. Renew Europe hat laut dieser Prognose 86 Sitze, im Vergleich zu 108 Sitzen im Jahr 2019.

Die ID-Fraktion kommt auf 68 Sitze gegenüber 73 im Jahr 2019 und die ECR auf 75 gegenüber 62 im Jahr 2019. Den Prognosen zufolge bleibt die EVP mit 180 Sitzen gegenüber 182 Sitzen im Jahr 2019 stabil. Die Zahl der fraktionslosen Europaabgeordneten – darunter auch die AfD-MEPs, die sonst Teil der ID-Gruppe gewesen wären – soll von 57 im Jahr 2019 auf 76 ansteigen. 

EU-kritische Parteien stellen sich eine andere Europäische Union vor 

Seit dem Jahr 2000 lautet das Motto der Union „In Vielfalt geeint“. Mehrere Länder, oder besser gesagt rechtsgerichtete Parteien, spielen mit dem Gedanken, die EU zu verlassen und nationalistische Ideale zu unterstützen. Dies führt zu Kampagnen für etwa den Frexit, Dexit, Nexit oder Polexit.

In Deutschland hatte die AfD aufgrund der Unzufriedenheit mit der Drei-Parteien-Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz in den Umfragen gut abgeschnitten. Allerdings ist die Unterstützung nach einer Reihe von Skandalen, darunter die Behauptung, die Partei plane die Rückführung von Migranten, deutlich gesunken.

Die AfD will die europäische Integration teilweise rückgängig machen. Sie ist der Meinung, dass die EU nur noch eine lose verbundene Wirtschafts- und Interessengemeinschaft von Einzelstaaten sein sollte.

Deutschland würde bei einem Austritt aus der Europäischen Union einen schweren wirtschaftlichen Schaden erleiden, warnten Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Mai in einem Gutachten. Ein Austritt aus der EU, so die Ökonomen in ihrer Analyse, „würde bewusst eine schwere Wirtschaftskrise und einen dauerhaften Wohlstandsverlust für die Bevölkerung in Deutschland auslösen.“ 

Die Vorsitzende der französischen rechtsextremen Nationalen Sammlungsbewegung, Marine Le Pen, links, und der Spitzenkandidat der Partei für die bevorstehenden Europawahlen, Jordan Bardella, nehmen den Applaus während eines Treffens in Henin-Beaumont, Nordfrankreich, entgegen. Foto: Michel Euler/AP/dpa

In Frankreich ist der 28-jährige Europaabgeordnete Jordan Bardella, EU- Spitzenkandidat der Rassemblement National (RN), vor allem bei jungen Wählern sehr beliebt. Bardella steht der Migration sehr kritisch gegenüber und hat sich gegen den Beitritt neuer Länder zur EU, wie zum Beispiel der Ukraine, ausgesprochen. Die RN unterstützt zudem Einschränkungen im Schengen-Raum der EU.

In Spanien ist Vox die einzige Partei im Europäischen Parlament, die zur europaskeptischen politischen Familie ECR gehört. Obwohl Vox sich nie ausdrücklich als euroskeptische Partei bezeichnet hat und stattdessen betont, eine Union zu verteidigen, die die nationale Souveränität respektiert, stellen einige ihrer Positionen grundlegende Prinzipien der EU infrage.

Vox hat auch eine sehr kritische Haltung gegenüber der von der EU geförderten Klima- und Umweltpolitik eingenommen, der sie vorwirft, den Landwirten und Viehzüchtern zu schaden. 

Interne Risse spalten europäische Gruppen 

Mit dem Vormarsch der Rechtsextremen in der nationalen Politik der EU-Mitgliedstaaten erhöht sich auch der Druck auf die Beziehungen innerhalb der europäischen Parteien und Gruppen.

Während die ID-Fraktion auch die deutsche Alternative für Deutschland (AfD) einschloss, wurde die Partei im Mai nach Vorfällen um Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, aus der Gruppe ausgeschlossen. Krah hatte gesagt, nicht alle SS-Mitglieder seien Verbrecher gewesen. Die SS war eine bedeutende paramilitärische Organisation unter der Führung von Adolf Hitler und der NSDAP.

Nach dem Vorfall kündigte Frankreichs Rassemblement National (RN) als erste an, die Zusammenarbeit mit der AfD im Europäischen Parlament zu beenden.

Renew Spitzenkandidatin Valerie Hayer beim Pressebriefing der Fraktion Renew Europe im Europäischen Parlament. Straßburg, 12.03.2024 Foto: Picture alliance / Panama Pictures

Zudem sagte die Spitzenkandidatin von Renew Europe, Valérie Hayer, in einem Interview mit dem European Newsroom im April, dass sie eine Koalition mit der ECR ausschließe. 

Nach der jüngsten Koalitionsvereinbarung in den Niederlanden kündigte Hayer zudem an, dass Renew Europa über die weitere Mitgliedschaft der liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) in der Fraktion abstimmen werde. 

Die VVD hat eine Viererkoalition gebildet mit der Mitte-Rechts-Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC), der rechtsgerichteten Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) sowie der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, welche der ID-Fraktion im Europäischen Parlament angehört. Laut Hayer hat sich die VVD von Renew distanziert, indem sie eine Koalition mit der PVV einging.

Die PVV ist zwar Teil der ID-Fraktion, hat aber derzeit keine Sitze im Europäischen Parlament.

Dieser Artikel ist Teil von enr’s EU Elections Spotlight: Anti-EU-Strömungen. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der am enr beteiligten Agenturen.