New York – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rechnet angesichts der jüngsten Eskalation des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Ukraine-Krieg mit weiteren Sanktionen gegen Moskau. Putin zeige Schwäche, indem er versuche, weniger ausgebildetes, erfahrenes und motiviertes Personal zu mobilisieren und Scheinreferenden auf souveränem Boden der Ukraine zu starten, sagte sie am 21. September am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Die EU will mit weiteren Sanktionen gegen Russland auf dessen Teilmobilmachung im Krieg gegen die Ukraine reagieren. «Es ist klar, dass Russland versucht, die Ukraine zu zerstören», sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 21. September am Abend nach einem Sondertreffen der EU-Außenminister am Rande der UN-Generalversammlung in New York. «Wir werden neue restriktive Maßnahmen sowohl auf persönlicher als auch auf sektoraler Ebene ergreifen.» Dies solle in Abstimmung mit den internationalen Partnern geschehen. Die Strafmaßnahmen würden weitere Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben, etwa auf den Technologie-Sektor. Zudem sagte Borrell, dass die Ukraine weitere Waffen erhalten solle. Details nannte er nicht.“
Von der Leyen wertete die bisherigen Sanktionen gegen Russland als sehr erfolgreich. Die russische Industrie liege am Boden, Moskau habe im Militärbereich große Schwierigkeiten wegen ausbleibender Lieferungen etwa von Halbleitern. Dies zeige, dass die Sanktionen wirkten. Zugleich betonte die Kommissionspräsidentin angesichts der Drohungen Putins mit Atomwaffen:
«Wir werden uns niemals einer Erpressung beugen»,
sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Es sei der richtige Ansatz, klar zu sagen, dass Putin massive Kosten für die Invasion der Ukraine zahlen müsse. Man tue genau das, was man vor der Invasion gesagt habe, «und Erpressung funktioniert bei uns nicht». Zu den Forderungen der Ukraine etwa nach der Lieferung von westlichen Kampfpanzern sagte von der Leyen, die Ukrainer seien sich sehr klar darüber, was sie bräuchten. Sie hätten bewiesen, dass sie sich verteidigen könnten, wenn sie angemessen ausgerüstet seien. Die Ukrainer hätten in den vergangenen Monaten langsam aber sicher das Notwendige bekommen und bewiesen, dass sie mit der Situation umgehen könnten. Deshalb sei sie dafür, den Ukrainern zuzuhören und das zu liefern, was möglich sei. (21. September)
Deutsche Vorratsdatenspeicherung nach EuGH-Urteil gekippt – was kommt nun?
Luxemburg/Berlin – Mit seiner Entscheidung zur deutschen Vorratsdatenspeicherung hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) für die Speicherung von Telekommunikationsdaten klare Leitplanken aufgestellt. Jetzt muss die deutsche Bundesregierung entscheiden, wie eine mögliche Nachfolgeregelung aussehen könnte. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was hat der EuGH genau entschieden?
Der Europäische Gerichtshof hat eigentlich das gesagt, was er in den vergangenen Jahren meistens zu dem Thema gesagt hat: Eine anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten – also beispielsweise die Frage, wer wann mit wem von welchem Ort aus telefoniert – ist unzulässig. Eine Ausnahme gilt bei einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit. Der Begriff der nationalen Sicherheit wird aber eng gefasst: Erst im April entschied der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in Irland, dass schwere Straftaten wie Mord nicht darunter fallen. Eine Speicherung der IP-Adressen ist dem Urteil zufolge möglich – allerdings nur zur Bekämpfung schwerer Verbrechen. Der EuGH schiebt der Vorratsdatenspeicherung also keinen endgültigen Riegel vor.
Wie nützlich ist die Vorratsdatenspeicherung überhaupt?
Befürworter hatten in den vergangenen Jahren vor allem mit dem Nutzen dieses Instruments für die Aufklärung von Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch argumentiert. Denn oft ist die IP-Adresse des Täters, der solche Fotos oder Videos im Internet einstellt und mit anderen tauscht, der einzige Anhaltspunkt für die Ermittler. Ein Großteil der Verfahren wegen sogenannter Kinderpornografie, mit denen sich die deutsche Polizei beschäftigt, wird durch Hinweise der gemeinnützigen Kinderschutzorganisation NCMEC ausgelöst. In drei von vier Fällen lässt sich bereits jetzt – ohne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung – der Täter ermitteln. Schätzungen zufolge würde die Erfolgsquote auf mehr als 90 Prozent steigen, wenn man zusätzlich Zugriff auf automatisch gespeicherte Daten von Telekommunikationsunternehmen hätte.
Wie handhaben die anderen EU-Staaten die Vorratsdatenspeicherung?
Die Vorratsdatenspeicherung ist in ganz Europa ein heißes Eisen. Viele EU-Mitgliedstaaten wenden eine Form der Vorratsdatenspeicherung an oder arbeiten entsprechende Gesetze aus. Vor dem EuGH landeten in den vergangenen Jahren immer wieder Regelungen. Zeitgleich mit dem deutschen Urteil kippte der EuGH am 20. September eine Regelung aus Frankreich zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs. Im April entschied der EuGH, dass die irische Regelung rechtswidrig ist. Vor zwei Jahren wurde eine belgische Regelung als unvereinbar mit EU-Recht erklärt. (20. September)
EU-Kommission will Krebs-Vorsorge deutlich stärken
Brüssel – Die Früherkennung von Krebs in der Europäischen Union soll nach dem Willen der EU-Kommission deutlich ausgeweitet werden. «Wir müssen der Floskel «Früherkennung rettet Leben» Taten folgen lassen», sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am 20. September in Brüssel. Es müsse mehr und bessere Vorsorgeuntersuchungen geben. «Wenn wir nicht handeln, wird Krebs bis 2035 die häufigste Todesursache in der EU sein.»
Konkret legte die EU-Kommission Empfehlungen an die Mitgliedstaaten vor, wonach 90 Prozent der EU-Bürger bis 2025 eine Vorsorgeuntersuchung angeboten werden soll, wenn sie für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screenings infrage kommen. Heute gebe es noch inakzeptable Unterschiede bei der Abdeckung mit Screenings, sagte Kyriakides. Diese liege für die Zielbevölkerung bei Brustkrebs zwischen 6 und 90 Prozent. Auch sollten benachteiligte Gruppen wie etwa in ländlichen Regionen Zugang zu Untersuchungen haben, sagte Kyriakides. Das gezielte Screening soll auf Prostata-, Lungen- und Magenkrebs ausgeweitet werden.
Nach Ansicht der EU-Kommission sollte Brustkrebsscreening außerdem auf Frauen zwischen 45 und 75 Jahren ausgeweitet werden. Derzeit liegt die Spanne zwischen 50 und 69 Jahren. Die Vorschläge vom 20. September sollen veraltete Empfehlungen von 2003 ersetzen und sind Teil eines umfassenden Plans der EU gegen Krebs. Als nächstes befassen sich die EU-Staaten mit den Vorschlägen, deren Umsetzung für die Länder nicht verpflichtend ist. (20. September)
Baltenstaaten und Polen beschränken Einreise für Russen
Tallinn/Riga/Vilnius/Warschau – Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen beschränken die Einreise für Menschen aus Russland weiter. Sie werden von jetzt an die Grenzen für Staatsbürger des Nachbarlandes mit einem Schengen-Visum für touristische Aufenthalte, Geschäftsreisen, Sport- und Kulturveranstaltungen geschlossen halten. Entsprechende Regelungen treten in den vier EU- und Nato-Ländern simultan in Kraft. Bestimmte Ausnahmen gelten jedoch etwa für Russen mit Wohnsitz, Aufenthaltsrecht oder Verwandten in den vier Ländern sowie aus humanitären Gründen. Auch Dissidenten sollen weiter einreisen dürfen.
Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten die Regierungen der baltischen Staaten und Polens die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitgehend ausgesetzt. Mit einem gültigen Visum war es aber weiterhin möglich, über die Grenzen der vier Länder in den Schengen-Raum einzureisen. Dies ist künftig nicht mehr möglich: Allen russischen Staatsbürgern mit Schengen-Visum wird nun die Einreise verweigert – unabhängig davon, von welchem Mitgliedsland es ausgestellt wurde. Zum Schengen-Raum gehören 22 EU-Staaten und 4 weitere europäische Länder.
Estlands Regierungschefin Kaja Kallas rief andere Länder erneut auf, sich dem innerhalb der EU umstrittenen Einreiseverbot anzuschließen. «Wir sollten alle Werkzeuge in der Werkzeugkiste nutzen, um Russland dazu zu bringen, diesen Krieg zu beenden», sagte sie. «Nur 30 Prozent der russischen Bürger haben internationale Pässe und sie stammen aus der russischen Elite. Das bedeutet, sie haben auch die Möglichkeit, den Kreml zu anderen Entscheidungen zu drängen, wenn sie fühlen, dass dieser Krieg ihren Alltag beeinflusst.» (19. September)
EU-Kommission: Neues Kriseninstrument soll Versorgung sicherstellen
Brüssel – Zum Schutz des gemeinsamen Binnenmarkts will die Europäische Kommission Unternehmen und EU-Staaten in Krisenfällen wie der Corona-Pandemie weniger Spielraum für Alleingänge lassen. Konkret sollen etwa Staaten Maßnahmen verboten werden können, die die Reisefreiheit einschränken, oder Firmen im Extremfall verbindliche Vorgaben gemacht werden können – etwa bestimmte Aufträge bevorzugt zu behandeln, wie die Brüsseler Behörde mitteilte.
«Die Covid-19-Krise hat es deutlich gemacht: Wir müssen unseren Binnenmarkt jederzeit funktionsfähig machen, auch in Krisenzeiten»,
sagt Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommissions.
Vor allem zu Beginn der Pandemie hatten etliche Länder wieder Grenzkontrollen eingeführt. Riesige Staus etwa störten zum Teil Lieferketten. Der für Industrie zuständige Kommissar Thierry Breton betonte: «Wir müssen besser darauf vorbereitet sein, die nächste Krise zu antizipieren und darauf zu reagieren.» Die EU-Staaten und das EU-Parlament müssen nun über die Vorschläge beraten. Bevor sie verbindlich in Kraft treten können, müssen beide Institutionen einen Kompromiss aushandeln. Konkret soll es drei Phasen geben: Planung, Wachsamkeit und Notfall. Zwangsmaßnahmen für Firmen sollen erst möglich sein, wenn der Notfallmodus ausgerufen wurde. Dies kann etwa der Fall sein, wenn es bereits zu schwerwiegenden Störungen im Binnenmarkt gekommen ist. Der Notfallmodus soll zudem auf sechs Monate begrenzt sein. In der ersten Phase sollen neben Planungen auch Übungen stattfinden. In der zweiten Phase sollen unter anderem Vorräte strategisch wichtiger Waren aufgebaut werden. Zudem ist vorgesehen, Lieferketten strenger zu überwachen, um mögliche Störungen frühzeitig zu erkennen.
Im Notfallmodus – der nur im Einklang mit einer Mehrheit der EU-Staaten ausgerufen werden kann – wird die Freizügigkeit im Binnenmarkt durch eine schwarze Liste verbotener Beschränkungen aufrechterhalten, wie die Kommission mitteilte. In diesem Fall kann die Kommission Informationen von Firmen verlangen, die im Zweifel auch verbindlich erteilt werden müssen. Zudem kann sie Unternehmen dazu auffordern, bestimmte Aufträge für krisenrelevante Güter vorrangig zu behandeln. Wenn ein Unternehmen keine schwerwiegenden Gründe hat, warum dies nicht möglich ist, oder Dinge verspricht, die es später nicht einhält, könnten auch Strafzahlungen fällig werden, so Vestager.
All diese Schritte sollen von einer Beratungsgruppe begleitet werden. Diese setzt sich den Angaben zufolge aus der Kommission sowie je einem Vertreter oder einer Vertreterin der EU-Staaten zusammen. Die deutsche Bundesregierung begrüßte das Vorhaben. Ein wichtiger Punkt für die bevorstehenden Verhandlungen sei, dass das Zusammenspiel zwischen Kommission und Mitgliedstaaten klar geregelt sei, hieß es am 19. September aus dem Wirtschaftsministerium. (19. September)
Diese Zusammenstellung ist eine redaktionelle Auswahl auf der Grundlage der Europa-Berichterstattung der dpa. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der dpa. Der EU Digest erscheint jeweils montags und donnerstags.