Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, betonte zwar, dass die EU-Staaten Verhandlungen einem Handelskrieg vorziehen würden, sprach aber auch eine implizite Drohung mit Blick auf protektionistische Maßnahmen aus.
„Wir haben Instrumente, um unseren Markt zu schützen,“ sagte von der Leyen einem AFP-Reporter, der das Interview für den European Newsroom führte, und fügte hinzu, dass „wir Verhandlungslösungen vorziehen“.
Von der Leyen, der EU-Spitzendiplomat Josep Borrell und Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, treffen am Donnerstag in Peking auf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und den Premierminister Li Quiang treffen. Die Zusammenkunft ist der erste persönliche EU-China-Gipfel seit 2019.
Die Kommissionspräsidentin benannte den mangelnden Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt und die Bevorzugung chinesischer Unternehmen durch Subventionen als konkrete Probleme für die EU. Laut von der Leyen sei dies mit ein Grund dafür, dass sich das Handelsungleichgewicht in den letzten zwei Jahren auf fast 400 Milliarden Euro verdoppelt hat.
Es sei außerdem wichtig, China nicht nur als Handelspartner zu sehen, „sondern auch als Technologie-Konkurrenten, als Militärmacht und als einen globalen Akteur, der unterschiedliche und abweichende Ansichten über die globale Ordnung vertritt“.
China habe sich verändert und verfolge nach einer Phase der Öffnung und Reform nun eine Politik, in der Sicherheit und Kontrolle im Mittelpunkt stünden, so von der Leyen.
Ein „Gipfel der Entscheidungen“
Sie betonte, dass beide Seiten klären müssten, ob sie bereit seien, Zugeständnisse zu machen, um die Beziehungen aufrechtzuerhalten. Von der Leyen nannte die Gespräche einen „Gipfel der Entscheidungen“. Die Kommissionspräsidentin erklärte, dass Europa nicht versuche, sich von der chinesischen Großmacht „abzukoppeln“, sondern vielmehr die zu einseitig gewordenen Beziehungen „entschärfen“ wolle.
Während sich der europäische Markt als lukrativ und attraktiv für chinesische Investitionen und Exporte erwiesen habe, bekämen EU-Unternehmen keinen offenen Zugang zu Chinas wachsender Verbraucher-Mittelschicht.
Auch die chinesischen Staatshilfen für seine Unternehmen und ihre bevorzugte Behandlung beim Marktzugang sorgten für Unmut. „Von drei Containern, die von China aus nach Europa gehen, kommen zwei Container leer zurück,“ verdeutlichte die Kommissionspräsidentin das Ungleichgewicht. Die große Überproduktion in China führe zu Dumpingpreisen. Die Inlandsnachfrage im Land selbst sei aufgrund des schwachen Wirtschaftswachstums gering. Zudem sperrten einige andere Länder ihre Märkte für chinesische Produkte, was dazu führe, dass die Produkte in Europa landeten, betonte von der Leyen.
Die EU „prüft auch die Frage der versteckten, direkten und indirekten Subventionen für chinesische Unternehmen, die im Wettbewerb mit europäischen Unternehmen stehen“, so die Kommissionspräsidentin.
Die Kommission führt derzeit eine Untersuchung zu potenziell wettbewerbsverzerrenden Subventionen für Elektrofahrzeuge aus China durch, weil befürchtet wird, dass subventionierte Importe die Innovationskraft in der EU in einem riesigen neuen Sektor abwürgen könnten.
„Wir haben unsere Lehren aus den Solaranlagen gezogen,“ sagte von der Leyen und verwies damit auf einen grünen Technologiesektor, der heute von chinesischen Unternehmen dominiert wird, während die Energieerzeugung weltweit auf Entkarbonisierung ausgerichtet ist.
Sorge wegen möglicher chinesischer Vergeltungsmaßnahmen
Ein hochrangiger EU-Beamter, der anonym bleiben wollte, sprach im Detail über die Brüsseler Handelsbedenken – und über die Sorge vor chinesischen Vergeltungsmaßnahmen.
„Wir haben schon früher Vergeltungsmaßnahmen seitens der Chinesen erlebt. Sie sind normalerweise nicht symmetrisch. Sie treffen also nicht unbedingt genau dieselben Bereiche,“ sagte der Beamte.
„Wenn sie Vergeltung üben wollen, werden sie wahrscheinlich andere Branchen angehen, politisch sensible Sektoren.“
– ein hochrangiger EU-Beamter
Der EU-Beamte wies darauf hin, dass Europa im Vorfeld der Europawahl im nächsten Jahr in einen Wahlzyklus eintrete und dass die Beziehungen zu China unter politischen Druck geraten könnten. „Die chinesische Seite ist sich dessen sehr wohl bewusst,“ sagte er.
„Ich habe das Gefühl, dass sie sich der Überkapazitäten und der Auswirkungen auf die ganze Welt bewusst sind. Nicht nur auf uns – wir sehen im Grunde eher einen Dominoeffekt, da andere große Volkswirtschaften ihren Markt schließen.“
Die Vereinigten Staaten haben – zunächst unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump und nun unter Präsident Joe Biden – einen härteren Kurs China gegenüber eingeschlagen.
Russland, Sanktionen und das Klima weitere Themen über Handel hinaus
Europa, sagte von der Leyen, werde seinen eigenen Weg gehen, teile aber viele der Bedenken Washingtons, einschließlich der, dass China Russland trotz Moskaus Krieg gegen die Ukraine unterstütze.
Die Kommissionspräsidentin erklärte weiter, die EU wolle China dazu bringen, seinen Einfluss auf Russland geltend zu machen, und forderte die Regierung in Peking auf, gegen chinesische Unternehmen vorzugehen, die an der Umgehung der Sanktionen beteiligt sind.
Obwohl von der Leyen Chinas Bemühungen im Bereich der biologischen Vielfalt und der Reduzierung von Methangas als positiv hervorhob, warnte sie gleichzeitig, dass Chinas Haltung auf dem COP28-Gipfel in Dubai auf dem Prüfstand stehe. Der Westen sei darauf bedacht, dass der asiatische Riese seinen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen leiste. China ist für 20 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
„Chinas Handeln auf der COP [Weltklimakonferenz in Dubai] wird entscheidend sein.“
– EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Die Frage der Entschädigungszahlungen für Klimaschäden dürfte jedoch ein Knackpunkt auf der COP sein, sagte ein hoher EU-Beamter. China sehe sich selbst als Entwicklungsland und wolle nicht in die entsprechenden Fonds einzahlen, wie von westlichen Akteuren wie der EU und den USA gefordert.
Von der Leyen will auch den Fall der von Peking sanktionierten europäischen Parlamentarier zur Sprache bringen. „Ich habe diese Sanktionen immer als ungerechtfertigt angesehen,“ sagte sie.
Der französische Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann und der deutsche Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu China, wurden 2021 von Peking sanktioniert, weil sie die chinesische Repression gegen die muslimische Minderheit der Uiguren angeprangert hatten.
Dieser Artikel wird wöchentlich veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.