Europa ist dabei, künstliche Intelligenz (KI) zu regulieren, die Sicherheitsstandards für Chatbots wie ChatGPT zu verschärfen und Entwicklern und Herstellern, die auf dem EU-Binnenmarkt tätig werden wollen, einen Rechtsrahmen aufzuerlegen – ein ehrgeiziges Projekt innerhalb eines Weltmarktes, auf dem die USA und China dem technologischen Fortschritt keinerlei Zügel anlegen. Die Europäische Kommission hat bereits vor zwei Jahren ein neues Regelwerk, den sogenannten Artificial Intelligence Act vorgestellt, über den in Brüssel derzeit verhandelt wird. Es soll der erste Rechtsrahmen für KI überhaupt werden.
Am 28. April erzielten die Fraktionen im Europäischen Parlament eine vorläufige Einigung über das KI-Regelwerk der EU, das sich vor allem auf sogenannte „Foundation Models“ konzentriert, primäre Wissensbausteine, die als Grundlage für KI-Technologien dienen. Die Abgeordneten wollen, dass diese Elemente streng „im Einklang mit dem EU-Recht und den Grundrechten, einschließlich der Meinungsfreiheit, konzipiert und entwickelt werden“.
Der auf der informellen Vereinbarung basierende Text muss nun dem Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments am 11. Mai zur Abstimmung vorgelegt werden. Eine Abstimmung im Plenum über die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments wird für Juni erwartet, gefolgt von Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission.
Unbegrenzte Möglichkeiten gegen unvorhersehbare Risiken
Sabine Bendiek, Personalchefin des Softwarekonzerns SAP, sagte KI könnte einen enormen Produktivitätsbeitrag leisten und Menschen entlasten. Zum Beispiel könnten extrem monotone, sich wiederholende Aufgaben von der KI übernommen werden. „Unsere Mitarbeitenden können sich dann wirklich darauf fokussieren, das einzusetzen, was Menschen so stark macht: Kreativität und die Fähigkeit, die Resultate mit einer anderen Perspektive zu bewerten und entsprechend umzusetzen.“
Doch was ist mit all dem, was derzeit und in Zukunft auf Grundlage von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz entwickelt wird? Was ist mit ChatGTP und autonom fahrenden Autos? Wie groß ist das Risiko, dass KI zur Verbreitung von Desinformationen genutzt werden könnte? Mehrere Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben kürzlich einen globalen Gipfel zu den Gefahren der künstlichen Intelligenz gefordert.
Im vergangenen Monat hatte der deutsche Digitalminister Volker Wissing auf die rasche Schaffung eines Rechtsrahmens für KI in Europa gedrängt. „Wir müssen jetzt klug reagieren und die künstliche Intelligenz vernünftig regulieren, bevor es dafür zu spät ist. Das darf nicht wieder Jahre dauern“, sagte Wissing der Bild am Sonntag. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte gegenüber dem Handelsblatt: „Wesentlich kommt es dabei auf eine Balance an zwischen Innovationsoffenheit und einem klaren Rechtsrahmen, der Standards für vertrauenswürdige KI definiert.“
„Die Regulierung der künstlichen Intelligenz befindet sich aktuell auf einem sehr niedrigen Niveau und muss vorangetrieben werden“, sagte Dobroslav Dimitrov, Vorsitzender des Bulgarischen Verbands der Softwareunternehmen (BASSCOM) und des Bulgarischen Arbeitgeberverbands für innovative Technologien (BRAIT). Seiner Meinung nach ist eine Regulierung definitiv überfällig, weshalb alle Entscheidungsträger auf Regierungs- und Unternehmensebene und in den Bildungsinstitutionen sich mit den Entwicklungen befassen und fortlaufend an den aktuellen Stand anpassen sollten.
Dimitrov verglich die KI mit der Atomenergie: „Sie kann den ganzen Planeten in Bewegung setzen, aber sie kann ihn auch zerstören, wenn sie für destruktive Zwecke eingesetzt wird. Das Gleiche gilt für die künstliche Intelligenz“.
Der italienische Minister für Wirtschaftsentwicklung, Adolfo Urso, erklärte, es sei notwendig, neue Vorschriften zu entwickeln, um das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine besser zu definieren, da die Maschinen zum ersten Mal im Vorteil zu sein schienen.
Überprüfung von ChatGPT bewirkt Beschleunigung der KI-Gesetzgebung
Urso erinnerte an die Vorgänge um den KI-Chatbot ChatGPT, den Italien im März vorübergehend verboten und Ende April wieder freigegeben hatte. Dies hätte „die Fallstricke eines Sektors aufzeigt, der immer noch einer strengen Regulierung bedarf“. Er fügte hinzu, dass die vorläufige Einschränkung von ChatGPT durch die italienische Datenschutzbehörde „die Sicherheit der Nutzer erhöht hat“.
Anfang letzten Monats erklärte der französische Minister für Digitales, Jean-Noël Barrot, dass ChatGPT gegen die Datenschutz-Grundverordnung der EU (DGSVO) verstoße, dass es aber besser sei, den Bot „einzugrenzen“, statt ihn zu verbieten. Mitte April beschloss Frankreichs nationale Datenschutzbehörde CNIL eine Untersuchung zu fünf Beschwerden gegen den Chatbot einzuleiten.
Der Europäische Datenschutzausschuss (EDPB), das europäische Pendant zu den nationalen Datenschutzbehörden in den einzelnen Mitgliedstaaten und zuständig für deren Koordinierung, kündigte die Einrichtung einer speziellen Arbeitsgruppe zur Förderung der europäischen Zusammenarbeit in diesem Bereich an.
Einsatz von KI am Arbeitsplatz
Urso erklärte kürzlich, dass der KI-Sektor in Italien beispielsweise innerhalb eines Jahres um 32 Prozent auf einen Wert von 500 Millionen Euro gewachsen sei. Der Sektor „steht jetzt im Fokus der Entwicklungsprogramme von Unternehmen jeder Größe, die in intelligente Datenverarbeitung, Sprach-KI und Computervision investieren“, so der Minister.
In Spaniens allgemeiner Unternehmenslandschaft wird künstliche Intelligenz in 8 Prozent der Betriebe mit mehr als 10 Mitarbeitern eingesetzt. Laut den vom EU-Statistikamt Eurostat veröffentlichten Daten für 2021 entspricht diese Zahl dem europäischen Durchschnitt. Produktionsabläufe, Marketing- und Vertriebsstrategien, Cybersicherheit und die Organisation von Managementprozessen sind laut einer Studie des spanischen multinationalen Finanzdienstleisters Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) aus dem Jahr 2022 die wichtigsten Anwendungen von KI in spanischen Unternehmen.
Der Kroatische Verband für Künstliche Intelligenz (CroAI) versammelt führende Unternehmen und Start-ups im Bereich der KI in Kroatien. Nach Angaben des Verbandes waren Ende 2022 mehr als 130 Start-ups in Kroatien mit der Entwicklung und Anwendung von künstlicher Intelligenz befasst. Während vor drei Jahren 220 Unternehmen KI anwandten, stieg diese Zahl bis Oktober 2022 laut CroAI auf rund 440.
Europa als globaler KI-Akteur
Der bulgarische Interimsminister für Wirtschaft und Innovation, Alexander Pulev, stellte kürzlich fest, dass Bulgarien zu einer regionalen Drehscheibe für den Fluss digitaler Informationen aus Asien werden könnte. Darüber hinaus erklärte er, Bulgarien und die US-Regierung hätten eine Erklärung unterzeichnet, die darauf abziele, die Qualität der bulgarischen digitalen Infrastruktur zu verbessern, wobei der Schwerpunkt auf der Cybersicherheit liege.
Der Präsident der Stiftung „Gesellschaft der gemeinsamen Werte“ in Bosnien und Herzegowina (BiH), Zlatko Lagumdžija, wies darauf hin, wie wichtig es sei, die digitale Transformation der EU zu integrieren, die sich nicht auf die EU-Mitgliedstaaten beschränken dürfe, sondern auch Nachbarländer – wie etwa die westlichen Balkanstaaten – nach den gleichen Grundsätzen in Projekte einbeziehen sollte.
Auf einer Konferenz in Cambridge erklärte Lagumdžija, dass die EU nur auf diese Weise zeigen könne, dass sie in der Lage sei, diese Prozesse auf globaler Ebene gemeinsam mit beispielsweise den Vereinigten Staaten und Japan anzuführen.
Die EU war bereits tief in den Prozess der Schaffung eines Online-Rechtsrahmens eingestiegen und muss nun zurück ans Reißbrett, um herauszufinden, wie sie KI wirksam regulieren kann. Besonders erbittert dürfte der Kampf um ein generelles Verbot des Einsatzes von KI-Gesichtserkennungstechnologien ohne Zustimmung der Betroffenen werden, denn hier könnte der EU-Rat unter Berufung auf nationale Sicherheitsklauseln Ausnahmeregelungen durchsetzen.
Dieser Artikel wird freitags veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.