Žiga Faktor ist stellvertretender Direktor und Leiter des Brüsseler Büros von Europeum, einer unabhängigen Denkfabrik für europäische Integration und Kohäsion. Er erwarte nicht, dass die Ergebnisse der Europawahlen 2024 die EU-Erweiterungspolitik signifikant beeinflussen werden, so Faktor im Interview der European Newsroom (enr) Mitgliedsagentur Tanjug.
„Wenn es um die Erweiterung der EU geht, fällt sie immer noch unter die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, was bedeutet, dass sie immer noch fest in der Hand der Mitgliedstaaten und des Rates ist“, sagte er. „Daher werden sie [die Wahlergebnisse] keine dramatischen Auswirkungen haben. Aber sie werden die Richtung der Diskussionen im Europäischen Parlament maßgeblich beeinflussen“, fügte Faktor hinzu.
Derzeit haben neun europäische Länder den Kandidatenstatus erhalten und stehen damit in der Warteschlange für die Aufnahme als Mitglied der Europäischen Union: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und die Ukraine.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 beschleunigte die EU ihre Erweiterungspolitik. Im Dezember 2023 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau, während Georgien der Kandidatenstatus zuerkannt wurde. Im Juni 2024 starteten die Gespräche mit der Ukraine und Moldau. Auch mit Albanien und Nordmazedonien (seit 2022) sowie Montenegro (seit 2012) und Serbien (seit 2014) verhandelt die EU.
Haushalt wird vom Europäischen Parlament gestaltet
Bei der Erläuterung, wie sich das Wahlergebnis auf die Haushaltsaspekte der Erweiterung auswirken könnte, verwies Faktor auf die Rolle des Europäischen Parlaments bei der Festlegung des EU-Haushalts.
Der EU-Haushalt wird vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU auf der Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission verabschiedet. Die Europäische Kommission ist dann für die Umsetzung verantwortlich.
„Die IPA-Mittel können etwa zwischen Rat und Parlament diskutiert werden, was die finanzielle Unterstützung der Beitrittskandidaten zusätzlich erschweren kann. Doch die Auswirkungen [sind] meistens nicht so drastisch“, meint Faktor.
Mit dem sogenannten Instrument für Heranführungshilfe (IPA) unterstützt die EU finanziell einige Länder, die sich auf die EU-Mitgliedschaft vorbereiten.
Die Mittel sollen den Ländern unter anderem dabei helfen, die nötigen politischen und wirtschaftlichen Reformen umzusetzen, um die Rechte und Pflichten einer EU-Mitgliedschaft zu übernehmen. Zudem unterstützen sie die EU dabei, Ziele wie die Sicherung der Energieversorgung, den Klimaschutz und eine nachhaltige Wirtschaft zu erreichen.
Rechtsextreme haben keine einheitliche Meinung zur EU-Erweiterung
Auf die Frage, wie der Erfolg rechter und rechtsextremer Parteien bei den Europawahlen die Erweiterungspolitik der EU und den Wachstumsplan für den westlichen Balkan beeinflussen könnte, sagte Faktor, dass es Auswirkungen auf wirtschaftliche Fragen und – wiederum – auf den Haushalt geben könnte.
Genau wie die IPA-Mittel soll auch der Wachstumsplan für den westlichen Balkan den Ländern der Region helfen, sowohl ihren Beitrittsprozess als auch ihr Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Der Rat hat die finanzielle Säule des Plans im Mai angenommen. In den kommenden Jahren wird er bis zu 2 Milliarden Euro an Zuschüssen und 4 Milliarden Euro an Darlehen für die sechs westlichen Balkanländer bereitstellen.
„Ich glaube nicht, dass dies die Umsetzung beeinflussen wird, es sei denn, die Kandidatenländer haben Probleme mit Rechtsstaatlichkeit und europäischen Werten. Es könnte auch weniger zugängliche Mittel aus dem Fond betreffen“, sagte Faktor.
In Bezug auf die allgemeine Agenda der EU-Erweiterung wies Faktor darauf hin, dass einige rechtsextreme Parteien aufgrund der Migrationsproblematik und der sozioökonomischen Auswirkungen auf die EU-Mitgliedstaaten gegen die Erweiterung seien. Einige von ihnen glauben, dass diese Probleme mit den Mitgliedstaaten zusammenhängen, die die neuen Mitglieder finanzieren. Er betonte jedoch, dass „es keine einheitliche Position der Rechtsextremen in der EU gegenüber der Erweiterung gibt“.
Der EU-Erweiterungsprozess geht weiter
Faktor betonte, dass es für die Zukunft entscheidend sei, den EU-Erweiterungsprozess in den nächsten Jahren, also im kommenden Jahrzehnt, fortzusetzen. „Das ist nicht nur für geopolitische Belange wichtig, sondern auch für die Umsetzung anderer Themen, bei denen die EU eine Dekarbonisierung anstrebt“, sagte Faktor.
„Wir werden über die grüne Agenda sprechen, wenn auch vielleicht in einer anderen Form. Wir werden über Migration sprechen, wir werden über die Wettbewerbsfähigkeit der EU sprechen, und in all diesen Bereichen ist die Erweiterung der EU wichtig“, fügte er hinzu.
Er betonte, wie wichtig es sei, zu zeigen, dass die EU fest zu ihren Werten und zu dem Vorschlag stehe, dass jedes europäische Land der EU beitreten könne, wenn es die Bedingungen für eine Mitgliedschaft erfülle.
Dieser Artikel ist Teil von enr’s EU Elections Spotlight: Die EU nach den Europawahlen. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der am enr beteiligten Agenturen.