Im Jahr 2023 kamen in der EU 20.380 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, was im Vergleich zu 2022 einem Rückgang von 1,3 Prozent entspricht. Das geht aus am Dienstag veröffentlichten Statistiken von Eurostat hervor.
Die Zahl der Verkehrstoten sank zwischen 2013 und 2023 um 16 Prozent. Trotz des Rückgangs gibt es aber erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern.
Unter den EU-Mitgliedstaaten verzeichneten neun Länder 50 oder mehr Verkehrstote pro Million Einwohnerinnen und Einwohner: Bulgarien, Rumänien, Lettland, Kroatien, Griechenland, Portugal, Litauen, Italien und Polen.
Am anderen Ende der Skala meldeten Schweden, Dänemark, Malta und Finnland die niedrigsten Zahlen mit jeweils 22, 27, 30 und 33 Todesfällen pro Million Einwohner.
In drei der vier Nicht-EU-Länder, für die Eurostat ebenfalls Daten veröffentlichte – Norwegen, Island und die Schweiz – war die Zahl mit jeweils 20, 21 und 27 Todesfällen pro Million Einwohner ebenfalls relativ niedrig.
Die zugrunde liegenden Daten für 2023 wurden bereits im März von der Europäischen Kommission über die CARE-Datenbank bereitgestellt. Die Eurostat-Statistik ist die erste offizielle Interpretation dieser nun veröffentlichten Daten.
Vorläufige Zahlen für 2024 zeigen mit einem Rückgang von 3 Prozent, dass die Zahl der Verkehrstoten in der EU weiter langsam sinkt.
Wer zählt zu den am meisten gefährdeten Gruppen?
Die Eurostat-Zahlen zeigen unter anderem große geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer machten fast drei Viertel der Verkehrstoten in der EU zwischen 2013 und 2023 aus.
Studien zeigen, dass Männer häufiger nach Alkoholkonsum fahren, seltener Sicherheitsgurte anlegen, öfter zu schnell fahren und sich eher durch die Nutzung von Mobiltelefonen am Steuer ablenken lassen.
Alkoholkonsum ist ein wesentlicher Faktor bei Verkehrstoten. In Spanien ist er beispielsweise für 26 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle verantwortlich.
„Jungen wird von klein auf beigebracht, Risiken einzugehen,“ sagte Shirley Delannoy vom belgischen Verkehrsinstitut VIAS in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Belga im Februar. „Mädchen hingegen werden sozialisiert, vorsichtiger zu sein und die Regeln zu befolgen.“
Sie ist der Meinung, dass sich diese Geschlechternormen in das Fahrverhalten übersetzen– Frauen fahren tendenziell defensiver und präventiver, während Männer selbstbewusster unterwegs sind und größere Risiken eingehen.
Laut Pavel Havránek vom tschechischen Verkehrsforschungszentrum gehen in Tschechien tödliche Unfälle durch Überholmanöver zurück. Er stellte auch einen Rückgang der Opferzahlen bei Kindern, jungen Fahrenden, Fußgängerinnen und Fußgängern sowie bei Unfällen unter Alkoholeinfluss fest.
„Andererseits sind wir besorgt über die ernüchternde Zahl der Todesfälle bei Radfahrern, Senioren und Motorradfahrern. Wir müssen uns auf diese Risikogruppen und Bereiche konzentrieren, um weitere Verbesserungen zu erzielen,“ fügte er hinzu.
Bulgarien erschüttert vom Tod eines 12-jährigen Mädchens
In einigen EU-Ländern riefen die hohen Zahlen an Verkehrstoten öffentlichen Unmut hervor. Für die bulgarische Öffentlichkeit wurden die Zustände auf den Straßen des Landes nach dem Unfalltod einer Zwölfjährigen auf einer Nationalstraße Ende März zu einem zentralen Thema.
Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten in verschiedenen Städten forderten ein Ende des „Krieges“ auf den Straßen und verlangten strengere Gesetze und härtere Strafen für Verkehrssünder.
In einem Interview mit AFP im Oktober 2024 machte Krasimir Arsov, dessen 14-jähriger Sohn Filip bei einem Autounfall ums Leben kam, rücksichtsloses Fahren, schlecht instand gehaltene Straßen und ein ineffizientes Justizsystem für die hohe Zahl der Todesfälle verantwortlich.
Im September 2023 wurde Filip in Sofia von einem betrunkenen Fahrer überfahren, der mit 88 Kilometern pro Stunde unterwegs war – drei Mal so schnell wie erlaubt.
„Vor dem Unfall dachte ich, dass wir in einem normalen Land leben würden,“ sagte Arsov, ein 60-jähriger Ingenieur. „Aber als ich mit Angehörigen anderer Opfer sprach, wurde mir klar, dass der Staat das Leben seiner Bürger nicht schützt.“ Seit dem tödlichen Unfall kämpfen Filips Eltern dafür, das Problembewusstsein für die Situation zu schärfen und Veränderungen anzustoßen.
„Es gibt nichts, das, was uns passiert ist, wiedergutmachen kann,“ sagte die Mutter des Jungen, Nikolina Petkova. Doch bei den Tätern herrsche ein „Gefühl der Straflosigkeit“, beklagte sie. Gesetze würden missachtet, der Staat versage bei der Bestrafung der Täter. „Der Mann, der unseren Sohn getötet hat, wurde vor 18 Jahren wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt, kam aber mit einer einfachen Geldstrafe davon und wurde rückfällig,“ sagte sie.
Als Reaktion auf die schlechte Bilanz kündigten die bulgarischen Behörden Pläne an, die Sicherheit auf 36 kritischen Straßenabschnitten zu verbessern, um die Zahl der Opfer und Verletzten um 20 Prozent zu senken. Die für die Straßeninfrastruktur zuständige Behörde veröffentlichte zudem eine detaillierte Karte mit Unfall-Hotspots und führte einen Aktionsplan zur Sicherung dieser Bereiche ein.
Auch andere EU-Länder verschärfen die Regeln
In Italien wurden im November 2024 neue Gesetze verabschiedet. Bußgelder wurden erhöht und es ist leichter, Personen den Führerschein zu entziehen, die mit dem Mobiltelefon am Steuer oder unter Alkohol- oder Drogeneinfluss fahren.
Schweden hat die niedrigste Zahl an Verkehrstoten in der EU, bleibt aber wachsam gegenüber möglichen negativen Entwicklungen
Eine bevorstehende Änderung ist ein gutes Beispiel dafür: 15-Jährige ohne einen richtigen Führerschein dürfen in Schweden Fahrzeuge lenken, die formal als „Traktoren“ gelten und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gefahren werden.
Viele Jahre lang wurden diese „Traktoren“ vor allem in ländlichen Gebieten mit wenig Verkehr und schlechter öffentlicher Verkehrsanbindung genutzt. Neue technische Vorschriften erleichterten jedoch die Nutzung von „Traktoren“, die wie normale Autos aussehen, deren Geschwindigkeit aber auf 30 km/h gedrosselt wurde. Dies führte zu wachsender Beliebtheit und einem deutlichen Anstieg der Zahl schwerer Unfälle.
Dies wird sich durch neue Regeln, die im Rahmen der Überarbeitung der europäischen Führerscheinrichtlinie beschlossen wurden, ändern. 15-Jährige dürfen weiterhin ihre speziellen Fahrzeuge fahren, müssen jedoch eine Fahrerlaubnis durch praktische und theoretische Prüfungen erwerben. Gleichzeitig dürfen die „Traktoren“ dann aber mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h fahren.
Die EU will Zahl der Verkehrstoten reduzieren
Auch auf EU-Ebene wird es strengere Regeln geben. Die Union hat das langfristige Ziel, bis 2050 nahezu keine Verkehrstoten mehr zu verzeichnen. Die Europäische Kommission schlug am vergangenen Donnerstag eine Überarbeitung der EU-Vorschriften zur Verkehrssicherheit und Fahrzeugzulassung vor, um dieses Ziel zu erreichen.
„Die EU ist fest entschlossen, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten bis 2030 um 50 Prozent zu senken,“ sagte der EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas.
Der Vorschlag sieht regelmäßige technische Inspektionen für Elektrofahrzeuge vor, wobei die wachsende Zahl batteriebetriebener Fahrzeuge auf europäischen Straßen und neue Technologien berücksichtigt werden.
Hochgradig umweltschädliche Fahrzeuge, einschließlich manipulierte, sollen mit neuen Methoden für Emissionstests erkannt werden.
Die Mobilität über europäische Grenzen hinweg soll durch den Austausch elektronischer Fahrzeugzulassungen und regelmäßiger Prüfbescheinigungen über eine gemeinsame Plattform vereinfacht werden. Kilometerstände, die in nationalen Datenbanken gespeichert sind, sollen EU-weit ausgetauscht werden. Autos und Lieferwagen, die älter als 10 Jahre sind, sollen jährlich technisch überprüft werden.
Das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten müssen den neuen Regeln noch zustimmen, bevor sie in Kraft treten können.
Die EU einigte sich im März auch vorläufig in allen 27 Mitgliedstaaten geltende Fahrverbote. Nach den neuen Regeln gelten Fahrverbote oder Einschränkungen, die ein Mitgliedstaat aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls verhängt, auch in dem Land, in dem der Führerschein des Fahrers ausgestellt wurde.
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Faktencheck: Geschwindigkeitsbegrenzungen erhöhen die Zahl der Verkehrstoten
Wenn es um Verkehrssicherheit geht, stehen Geschwindigkeitsbegrenzungen oft im Mittelpunkt der Diskussion. In Deutschland wird in einigen Fällen ein Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und einer erhöhten Zahl von Verkehrstoten hergestellt. Die Zahlen stützen dies jedoch nicht.
Lesen Sie den Faktencheck der dpa hier.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.