Als vergangene Woche in Spanien und Portugal die Lichter ausgingen, standen Züge still, Telefone fielen aus und ganze Städte wurden in Dunkelheit gehüllt. Der Blackout war eine eindringliche Warnung: Das alternde Stromnetz Europas steht durch den Wandel im Energiemix und die steigende Nachfrage unter Druck.
Die Ursache des Ausfalls ist bislang unklar, doch die Frage, wie Europa zukünftige Stromausfälle dieser Dimension verhindern kann, steht im Raum.
Ist erneuerbare Energie verantwortlich?
Alle möglichen Gerüchte kursieren über die Ursache – von einem Cyberangriff bis hin zum hohen Anteil erneuerbarer Energien im spanischen Strommix.
Die Europäische Kommission wies Spekulationen über Letzteres zurück. „Die spanischen und portugiesischen Netzbetreiber sind sehr erfahren im Umgang mit hohen Anteilen erneuerbarer Energie in ihren Stromsystemen“, erklärte eine Kommissionssprecherin. Sie fügte hinzu, dass die EU Vorschriften habe, um „die Ausbalancierung des Stromsystems und dessen Fähigkeit (…) zur Aufnahme erneuerbarer Energien“ sicherzustellen.
Der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica schloss unterdessen einen Cyberangriff aus und bezog sich dabei auf eine Analyse der nationalen Geheimdienstbehörde. „Seit gestern wurden wir von Incibe [Nationales Institut für Cybersicherheit] und dem CNI [Nationales Nachrichtendienstzentrum] unterstützt, und heute Morgen konnten wir abschließend feststellen, dass es keine Penetration der Kontrollsysteme von Red Eléctrica gab, die den Vorfall hätte verursachen können“, erklärte Eduardo Prieto, Direktor der Systemoperationen des Netzbetreibers.
Die Europäische Kommission wird einen unabhängigen Bericht über den massiven Stromausfall auf der iberischen Halbinsel erstellen. Dieser Bericht enthält eine erste technische Analyse, die innerhalb von sechs Monaten fertiggestellt sein soll, sowie eine weitere Studie mit Empfehlungen, die bis September 2026 abgeschlossen sein soll, wie europäische Quellen berichten.
„Da wahrscheinlich verschiedene Faktoren zum Stromausfall in der Iberischen Region beigetragen haben, werden spezifische Interessengruppen, selbst wenn die Kette der Ereignisse verstanden wird, wahrscheinlich auf bestimmte Fehler hinweisen, um ihre bevorzugten technischen oder organisatorischen Lösungen zu fördern“, erklärte Georg Zachmann, Senior Fellow des Think Tanks Bruegel.
Experten fordern Maßnahmen aufgrund steigenden Stromverbrauchs
Der Stromverbrauch steigt seit Jahren, doch in Zukunft wird ein noch schnellerer Anstieg erwartet. Dies liegt vor allem daran, dass mehr Menschen Elektroautos nutzen, Wärmepumpen zur Beheizung ihrer Häuser einsetzen und Solarzellen zur eigenen Stromerzeugung verwenden. Laut dem europäischen Lobbyverband Eurelectric könnte sich der Stromverbrauch bis 2050 fast verdoppeln.
Die Investitionen in das alternde Stromnetz (30 Prozent der europäischen Netze sind mehr als 40 Jahre alt) halten jedoch nicht mit diesem Wachstum Schritt. Der im November 2023 veröffentlichte European Grid Action Plan der Europäischen Kommission beziffert den Investitionsbedarf bis 2030 auf 584 Milliarden Euro, um die steigende Stromnachfrage zu decken.
Viele Expertinnen und Forscher sind sich einig, dass erhöhte Investitionen zur Modernisierung des Stromnetzes in Europa notwendig sind – eine Forderung, die sie bereits vor den Ereignissen der vergangenen Woche erhoben haben.
„Da die Gesellschaft zunehmend auf Strom angewiesen ist, ist es entscheidend, dass Strom zuverlässig ist“, erklärte Kristian Ruby, Generalsekretär von Eurelectric, in einer Stellungnahme vergangene Woche.
In Slowenien – einem der kleineren EU-Mitgliedsländer – stellte der Netzbetreiber Eles einen Plan im Wert von 5,15 Milliarden Euro vor, um das nationale Übertragungs- und Verteilnetz bis 2034 zu modernisieren. „Veränderungen in allen technologischen Bereichen, von der Integration unvorhersehbarer erneuerbarer Energiequellen bis hin zu Wärmepumpen und Elektromobilität, dringen in den Energiesektor ein und umreißen das Bild der modernen Welt. Damit die Gesellschaft jedoch vollständig elektrifiziert und kohlenstoffarm werden kann, sind Verstärkungen, Upgrades, Anpassungen und Modernisierungen des Stromnetzes von entscheidender Bedeutung“, erklärte Eles vergangenen Donnerstag.
Vor welchen Herausforderungen steht Europas Stromnetz?
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist entscheidend für die Bekämpfung des Klimawandels und die Erhöhung der Energiesicherheit. Doch es gibt logistische Herausforderungen. Netzbetreiber müssen sicherstellen, dass Stromangebot und -nachfrage stets im Gleichgewicht sind.
Ein Maß für dieses Gleichgewicht ist die Frequenz des durch das Netz fließenden Stroms, die in Europa auf 50 Hertz (Hz) festgelegt ist (in den USA auf 60 Hz). Weicht dieser Wert zu stark ab, kann dies das Netz gefährden.
Historisch gesehen basierte das Stromsystem auf konventionellen Kraftwerken – Gas, Kohle, Kernkraft und Wasserkraft –, die Strom mithilfe von rotierenden Turbinen erzeugen. Diese Maschinen stabilisieren die Frequenz. Die kinetische Energie ihrer großen Rotoren wird bei Bedarf freigesetzt und stabilisiert das Netz.
Wind- und Solarkraftwerke hingegen verwenden elektronische Systeme, die Strom ins Netz einspeisen, wodurch es schwieriger wird, das Gleichgewicht zu halten.
Erneuerbare Energien müssen künftig mehr leisten, als nur CO₂-freien Strom bereitzustellen, erklärte José Luis Domínguez-García, Experte für elektrische Systeme am Katalanischen Energie-Forschungsinstitut (IREC). Sie müssten „das System mit zusätzlichen Kontrollmaßnahmen unterstützen, insbesondere im Hinblick auf die Trägheit“, sagte er.
Marc Petit, Professor für elektrische Systeme an der renommierten französischen Ingenieurschule CentraleSupélec, argumentierte, dass der Übergang weg von fossilen Brennstoffen Wasserkraft- und Kernkraftwerke „noch wichtiger für die Stabilisierung des Systems“ machen werde, da diese rotierende Maschinen nutzen.
Es gibt bereits eine Vielzahl technischer Lösungen, um den Mangel an Trägheit bei erneuerbaren Energien auszugleichen und so die Netzstabilität zu unterstützen. Dazu gehören beispielsweise Schwerkraftspeicher, kryogene (extrem kalte) flüssige Luft, Druckluftspeicher und konzentrierte Solarenergie.
Großbritannien setzt im Zuge seines Kohleausstiegs auf die erprobte Technologie von Schwungrädern: Überschüssige Energie aus Solar- und Windkraftanlagen wird genutzt, um große Räder in Bewegung zu setzen, wodurch kinetische Energie erzeugt wird. Diese gespeicherte Energie kann bei Bedarf in Elektrizität umgewandelt werden, um das Netz zu stabilisieren.
Kurz vor dem massiven Stromausfall am 28. April lieferten Wind- und Solarenergie 70 Prozent der Stromerzeugung Spaniens. Doch erneuerbare Energien sind intermittierende Energiequellen, da sie von natürlichen Bedingungen abhängen. Wenn der Wind aufhört zu wehen oder die Sonne nicht scheint, müssen innerhalb von Minuten andere Energiequellen einspringen, oder es müssen geeignete Speicherlösungen vorhanden sein, um erneuerbare Energie zu speichern und bei Bedarf freizusetzen.
Je nach Land stammt die Notstromversorgung derzeit hauptsächlich aus thermischen Kraftwerken (Gas oder Kohle), Kernreaktoren oder Wasserkraft. Um die Schwankungen bei der erneuerbaren Stromerzeugung zu bewältigen, müssen die Länder ihre Speicherkapazitäten ausbauen.
Ist der Ausbau von grenzüberschreitenden Netzverbindungen eine Lösung?
Eine stärkere Vernetzung der europäischen Stromnetze wird ebenfalls als Lösungsansatz gesehen, um zukünftige Stromausfälle zu verhindern.
Wie die Stromversorgung vergangene Woche wiederhergestellt wurde, zeigt die Vorteile solcher Verbindungen: Der deutsche Übertragungsnetzbetreiber Amprion unterstützte Frankreich mit Energie, während ein französischer Energieversorger Spanien und Portugal half.
Der französische Netzbetreiber RTE hatte am Montag für den Netzwiederaufbau kurzfristig Energie bereitgestellt, wie das Unternehmen berichtete. „Amprion hat seinerseits mit einer grenzüberschreitenden Energielieferung in Richtung Frankreich die Situation gestützt“, sagte ein Sprecher.
Im europäischen Verbundsystem sei vorgesehen, dass benachbarte Übertragungsnetzbetreiber Nothilfe in Form von außerplanmäßigen Energielieferungen bereitstellen. „Dies würde auch bei einem Störfall in unserem System stabilisierend wirken“, so der Sprecher weiter.
Grundsätzlich verfügten alle Netzbetreiber in der EU über Notfallinstrumente, um auf Großstörungen reagieren zu können. „Die Größe des europäischen Verbundnetzes wirkt hier ebenfalls stabilisierend.“
Es gibt jedoch Unterschiede innerhalb der Region. Für die iberische Halbinsel gelte dies wegen der Randlage jedoch nicht im selben Umfang wie für Deutschland, das von mehreren europäischen Nachbarländern umgeben ist, merkte der Sprecher an.
Grazia Todeschini, Dozentin für Ingenieurwissenschaften am King’s College London, sagte, Europa habe „die größten synchronisierten Stromnetze der Welt“, die mehr als 400 Millionen Kundinnen und Kunden in 32 Ländern und den größten Teil der EU versorgen.
„Dies ermöglicht den Austausch von Strom zwischen Ländern, aber unter sehr besonderen und extremen Bedingungen kann es bedeuten, dass Ausfälle sich über verschiedene Länder ausbreiten können“, fügte sie hinzu.
Genau das passierte am Montag, als der Stromausfall in Spanien auch das Nachbarland Portugal traf. Ein Ausbau der Energieverbindungen zwischen Portugal und der EU wird seit mehreren Jahren diskutiert. Es gibt nur mäßigen Fortschritt, obwohl er für die Erhöhung der Energiesicherheit wichtig wäre.
Einige EU-Länder ergreifen Maßnahmen, um die Netzverbindungen zu stärken. So will beispielsweise Rumänien bis 2030 die Kapazität der Stromverbindungen mit seinen Nachbarländern verdoppeln. Dies würde helfen, ein sichereres Energiesystem zu schaffen und potenziell die Stromrechnungen zu senken. Derzeit gibt es 11 Hochspannungsverbindungen (400 kV). Bis 2030 soll sich diese Zahl auf 16 oder 18 erhöhen, wodurch der Zugang zu Energie in allen Regionen erweitert wird, so Transelectrica, der nationale Netzbetreiber.
Faktencheck:
Ein großer Stromausfall hat jüngst Spanien und Portugal lahmgelegt. Seitdem kursiert ein erfundenes Statement der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie auf CNN als Ursache auf Russland weist. Die Aussage ist eine Fälschung.
Lesen Sie den Faktencheck der dpa hier in deutscher Sprache.
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.
