Die Wälder der Welt sind bedroht: In den vergangenen Jahrzehnten wurden hunderte Millionen Hektar gerodet. Die Europäische Union will diesen Trend bremsen – doch die Rufe werden lauter, die Umsetzung der neuen Vorschriften aufzuschieben.
Daten der Universität Maryland und des World Resources Institute (WRI) zufolge wurde im vergangenen Jahr pro Minute die Fläche von achtzehn Fußballfeldern tropischen Regenwalds zerstört.
Insgesamt gingen damit allein im Jahr 2023 weltweit 67.000 Quadratkilometer wertvoller Primärwald verloren – eine Fläche doppelt so groß wie Belgien oder Taiwan.
Tropische Regenwälder mit ihrer einzigartigen Biodiversität sind besonders gefährdet – sie sind zugleich wichtige CO₂-Speicher, die die Erderwärmung verlangsamen.
„2025 müssen die Regierungen entschlossen handeln, um auf Kurs zu kommen“, forderte eine Koalition von fast 40 Nichtregierungsorganisationen, Denkfabriken und Waldforschungsinstituten in einem Strategiepapier.
Um die eigene Mitverantwortung für die globale Entwaldung zu verringern und nachhaltigeres Wirtschaften innerhalb des Binnenmarkts zu fördern, hat die EU die Entwaldungsverordnung (EUDR) auf den Weg gebracht.
Doch im Rahmen einer breiteren Kritik am europäischen Green Deal – dem zentralen Klimaprojekt der EU zur Klimaneutralität bis 2050 – fordern mehrere Mitgliedstaaten weitere Verzögerungen bei der Umsetzung.
Worum geht es in der EUDR?
Ziel der Verordnung ist es, den Handel mit Produkten zu unterbinden, für die Wälder abgeholzt wurden. Künftig dürfen Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz nur noch dann in der EU verkauft werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass für ihre Produktion seit 2020 keine Wälder gerodet wurden.
Unternehmen, die entsprechende Waren in die EU importieren, müssen ihre Lieferketten mittels Geolokalisierung und Satellitendaten zurückverfolgen.
Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder – mindestens 4 Prozent des Jahresumsatzes in der EU. Auch DNA-Analysen sollen dabei helfen, die Herkunft der Produkte zu überprüfen.
In der EU trägt etwa Spanien laut der NGO Alianza Cero Deforestación eine besondere Verantwortung: Es ist der größte Soja-Importeur unter den EU-Staaten.
Doch viele Unternehmen erfüllen die Anforderungen zur Rückverfolgbarkeit bislang nicht. In Deutschland etwa stellte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fest, dass von 32 untersuchten Unternehmen aus Fleisch-, Geflügel-, Milch- und Futtermittelindustrie sowie Gastronomie, Groß- und Einzelhandel nur vier ihre Soja-Herkunft und lediglich drei den Ursprung ihres Palmöls nachvollziehen konnten.
Die EU-Kommission veröffentlichte im Mai erstmals eine Benchmark-Liste, die Länder nach ihrem Entwaldungsrisiko bei der Rohstoffproduktion einstuft.
Russland, Belarus, Nordkorea und Myanmar gelten laut Liste als Hochrisikoländer. Brasilien und Indonesien, in der Vergangenheit oft wegen massiver Regenwaldrodungen kritisiert, wurden hingegen nur der mittleren Risikokategorie zugeordnet.
Das sorgte für Unmut bei Mitgliedstaaten und Umweltgruppen.
Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig kritisierte, dass „Länder mit hohem Entwaldungsrisiko mit einem mittleren Risiko eingestuft werden“ – das untergrabe die Anstrengungen von Staaten wie Österreich, die strenge Umweltstandards hätten.
Laut Daten des World Resources Institute (WRI), veröffentlicht auf Statista, gehörten Brasilien, die Demokratische Republik Kongo, Bolivien und Indonesien 2023 zu den Ländern mit den größten Verlusten an Primärwald – zusammen verloren sie 2,45 Millionen Hektar.
Der österreichische Verband Land&Forst Betriebe kritisierte: „’Die jetzt vorliegende Einstufung ist nicht nachvollziehbar und widerspricht dem klaren Wortlaut der Verordnung. Anstelle einer fundierten, datenbasierten Bewertung scheint hier politische Rücksichtnahme den Ausschlag gegeben zu haben’“
Italiens Agrarminister Francesco Lollobrigida sagte: „Niemand bestreitet, dass Belarus und Russland sanktioniert gehören.“ Aber es sei absurd, Länder wie Italien mit afrikanischen Staaten gleichzustellen, „die deutlich niedrigere Regulierungsstandards haben“.
Auch die Umweltorganisation Global Witness bemängelte, die Einstufung bleibe hinter den Erwartungen zurück: Länder wie Brasilien oder Paraguay würden nicht als Hochrisikoländer geführt, obwohl dort klimarelevante Wälder massiv bedroht seien.
Warum fordern Mitgliedstaaten weitere Verzögerungen?
Eigentlich sollte die Verordnung ab Ende 2024 gelten. Das Europäische Parlament verschob den Start im Dezember jedoch um ein Jahr: Große Unternehmen sind nun ab 30. Dezember 2025, kleine und mittlere Unternehmen ab 30. Juni 2026 zur Umsetzung verpflichtet.
Eine Gruppe von elf EU-Staaten drängt nun auf eine weitere Verschiebung. In einem Papier von Luxemburg und Österreich, unterzeichnet von Bulgarien, Kroatien, Finnland, Italien, Lettland, Portugal, Rumänien, Slowenien und Tschechien, heißt es, die Anforderungen an Landwirte und Forstbetriebe seien „überzogen und kaum umsetzbar“.
Die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen will den Verwaltungsaufwand für Unternehmen um 25 Prozent senken. Für kleine und mittlere Unternehmen sollen die Berichtspflichten sogar um 35 Prozent reduziert werden.
„Wir wollen nicht die Betroffenen in Europa mit Bürokratie fluten, wir wollen die illegale Abholzung verhindern“, sagte Totschnig vor dem Agrarministertreffen in Brüssel vergangene Woche.
Sein deutscher Amtskollege Alois Rainer sagte, die EU-Initiative gegen globale Entwaldung sei ein guter Vorschlag – nur die bürokratischen Auswirkungen für viele Länder in Europa gingen zu weit. „Bei uns ist das nicht notwendig.“
Die Länder fordern daher eine Kategorie mit null Entwaldungsrisiko, deren Mitglieder von Nachweispflichten befreit werden sollen.
Aus dem slowenischen Landwirtschaftsministerium hieß es gegenüber der Nachrichtenagentur STA, man unterstütze eine erneute Verschiebung der Verordnung wegen des übermäßigen Verwaltungsaufwands für Landwirte, Kleinwaldbesitzer, Unternehmen und Behörden. Die Regierung setze sich für eine Vereinfachung der Regelung ein, besonders für Länder mit geringem Risiko laut EU-Einstufung.
Tschechiens Agrarminister Marek Výborný sagte: „Wir stellen das globale Problem der Entwaldung nicht infrage – aber es betrifft Tschechien und die meisten EU-Länder nicht.“ Er warnte, dass die Verordnung „unsere Landwirte, unsere Forstwirte, unsere Händler“ unnötig belaste.
In Rumänien erklärte die Allianz für Landwirtschaft und Kooperation (AAC) – ein Zusammenschluss der vier größten Agrarverbände –, das Gesetz bringe keine greifbaren Verbesserungen für Land- und Forstwirte in der EU. Diese hätten bereits häufig und intensiv ihre Bedenken vorgebracht.

Blick auf COP30
Der Waldschutz wird bei der UN-Klimakonferenz COP30 im November in der brasilianischen Regenwaldstadt Belém eines der zentralen Themen sein.
Die Forest Declaration Assessment, ein Zusammenschluss von Umwelt- und Forschungsorganisationen, forderte greifbare Fortschritte bei der Eindämmung der Abholzung, bevor sich die internationale Gemeinschaft im Amazonasgebiet trifft.
Die EU wird bei COP30 mit am Verhandlungstisch sitzen und sich voraussichtlich erneut für stärkere globale Maßnahmen gegen Entwaldung und für mehr Klimafinanzierung einsetzen. Doch ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Prüfstand, wenn die inneren Spannungen weiter zunehmen und einzelne Mitgliedstaaten zentrale Elemente des Green Deal infrage stellen.
Faktencheck: Kakao als versteckter Entwaldungstreiber
Die Kakaoproduktion – einer der sieben Rohstoffe unter der EU-Entwaldungsverordnung – leidet unter veränderten Niederschlägen und zunehmender Dürre. Die Behauptung der Global Warming Policy Foundation, der Klimawandel habe kaum Einfluss auf den Kakaosektor in Afrika, wurde von der Faktencheck-Redaktion der AFP als irreführend eingestuft.
Fachleute warnen, dass der Klimawandel die Entwaldung verschärft: Um der steigenden globalen Kakaonachfrage gerecht zu werden, roden Landwirte immer mehr Wald – besonders in der Elfenbeinküste und Ghana, wo Kakaoanbau nach wie vor eine Hauptursache für Waldverlust ist.
Zum vollständigen Faktencheck: https://factcheck.afp.com/doc.afp.com.372Z3W6
Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.
