Mit ihren Plänen im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zur Landwirtschaft sorgt die Europäische Kommission für Aufruhr. Von Spanien bis Tschechien sind die Agrarverbände und Landwirte in Alarmbereitschaft. Welche Änderungen stehen für die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an, die die Landwirtinnen und Landwirte in ganz Europa auf die Barrikaden treiben?
Bei der Vorstellung des 2-Billionen-Euro-Haushaltsentwurfs für 2028–2034 am Mittwoch in Brüssel erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dieser sei „der ehrgeizigste, der jemals vorgeschlagen wurde“.
Die beiden größten Töpfe des aktuellen 1,2-Billionen-Euro-Haushalts, die GAP und die Kohäsionspolitik, machen zusammen zwei Drittel der Mittel aus. Sie sollen in einem großen Fonds für nationale und regionale Partnerschaftspläne zusammengeführt werden.
Insgesamt sollen sie rund 865 Milliarden Euro erhalten, wobei verschiedene derzeit unabhängige Haushaltsposten zusammengelegt werden – unter anderem die GAP, die ländliche Entwicklung, und die Kohäsions- und Regionalentwicklungsfonds. Dieser Schritt brachte Kritik von vielen Seiten.
Die GAP soll weiterhin mit eigenen Regeln und zweckgebundenen finanziellen Mitteln, insbesondere für Direktzahlungen an Landwirtinnen und Landwirte, operieren, versicherte die Kommission. Allerdings ist geplant, mindestens zwei Maßnahmen – die Unterstützung benachteiligter ländlicher Gebiete und die landwirtschaftliche Innovation – aus der GAP-Finanzierung herauszunehmen und in einen anderen Topf zu überführen.
Haushaltskommissar Piotr Serafin erklärte, dass nach den Plänen der Kommission 300 Milliarden Euro für die Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte reserviert bleiben sollen – im Vergleich zu rund 387 Milliarden Euro im aktuellen siebenjährigen Haushalt, von denen 270 Milliarden Euro für Direktzahlungen vorgesehen sind.
Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen sicherte zu, dass die Unterstützung für Landwirtinnen und Landwirte gezielter erfolgen solle.
EU-Abgeordnete und Vertreterinnen und Vertreter der Landwirtschaft warfen der Kommission vor, nicht genügend Mittel für Prioritäten wie die Anpassung an den Klimawandel und die Agrarsubventionen bereitzustellen, die derzeit den größten Anteil am EU-Haushalt ausmachen.
„Das bedeutet, dass die Gemeinsame Agrarpolitik ihre Gemeinsamkeit verliert. Darüber hinaus bedeutet die erhebliche Kürzung des Agrarhaushalts auf europäischer Ebene weniger Investitionen in Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit“, fasste Ger Koopmans, Vorsitzender der niederländischen Landwirtschafts- und Gartenbauorganisation LTO Nederland, die Agrarperspektive zusammen.
Die Landwirtinnen und Landwirte hatten mehr Geld gefordert, nicht weniger. „Das ist eine Katastrophe mit Ansage“, reagierte die italienische Landwirtschaftsorganisation Coldiretti auf die Haushaltszahlen. „Das ist das Ende der Landwirtschaft“, fügte der Verband Cia-Agricoltori Italiani hinzu.
Bedenken gibt es in mehreren Bereichen:
- Abschaffung oder Verwässerung der Zwei-Säulen-Struktur
Ein durchgängiges Thema ist der vorgeschlagene Zusammenschluss der beiden Säulen der GAP zu einem einzigen Fonds oder deren Integration in eine breitere Kohäsionspolitik. Die „zwei Säulen“ beziehen sich auf die beiden Hauptfinanzierungsbereiche innerhalb der EU-Agrarpolitik: Säule I, die Direktzahlungen an Landwirtinnen und Landwirte und Marktmaßnahmen umfasst, und Säule II, die sich auf die ländliche Entwicklung konzentriert.
„Die erste Säule sichert ein faires Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte, die zweite Säule deckt die ländliche Entwicklung und die Bereitstellung von Agrar- und Lebensmitteldienstleistungen für die Bevölkerung ab“, erklärte Andrej Gajdoš, Vorsitzender der Slowakischen Landwirtschafts- und Lebensmittelkammer (SPPK).
Der EU-Haushaltsvorschlag habe die Befürchtungen der Landwirtinnen und Landwirte über drastische Kürzungen bestätigt, sagte Martin Pýcha, Vorsitzender der tschechischen Agrargewerkschaft: „Dies bestimmt auch die zukünftige Form der europäischen Agrarpolitik, in der grundlegende Änderungen in Struktur und Finanzierung vorgenommen werden sollen. Die Zwei-Säulen-Struktur, nach der Gelder hauptsächlich für Investitionen und sogenannte Direktzahlungen gebunden an Fläche oder Viehwirtschaft verteilt werden, soll abgeschafft werden.“
Deutschlands Landwirtschaftsminister Alois Rainer bezeichnete den Vorschlag, die Haushalte für Agrarpolitik und Kohäsion zusammenzulegen, als eine „gefährliche Zäsur“.
Die FNSEA, Frankreichs führende Landwirtschaftsgewerkschaft, nannte die Zusammenlegung „schlicht und einfach eine Verwässerung des Agrarhaushalts“.
- Ungleiche Chancen durch Verlagerung der GAP-Verantwortlichkeiten auf die Mitgliedstaaten
Die Übertragung von mehr Entscheidungsbefugnissen über Agrarmittel an die einzelnen Mitgliedstaaten könnte ungleiche Chancen für Landwirtinnen und Landwirten auf dem EU-Binnenmarkt mit sich bringen.
Der Bulgarische Verband der Agrarproduzenten erklärte, die Pläne der Kommission könnten „die Tür zur Umverteilung von Mitteln für andere Prioritäten öffnen, ohne echte Garantien für Landwirte, Produzenten aus verschiedenen Mitgliedstaaten in eine ungleiche Position bringen und zu einem Verlust an Transparenz und Vergleichbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten führen“.
Der SPPK-Vorsitzende Gajdoš sagte, dass dies zu einer enormen Ungleichheit auf dem Binnenmarkt führen könnte: „Unserer Meinung nach ist dies der Anfang vom Ende der gemeinsamen Agrarpolitik. Wir müssen uns dagegen aussprechen, und wir sprechen uns auch dagegen aus.“
Ähnliche Warnungen vor Ungleichheiten kamen aus Spanien: Die sozialdemokratische Europaabgeordnete Cristina Maestre äußerte sich besorgt über eine mögliche „verzerrte GAP“, weil diese in einen Fonds ohne Ausrichtung oder Garantien integriert werde. Dadurch werde die Zukunft der europäischen Landwirtschaft der Gnade jedes einzelnen Mitgliedstaates ausgeliefert.
Die slowenische Kammer für Land- und Forstwirtschaft befürchtet eine Demontage der GAP: „Internationale Vereinbarungen über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik, eine angemessene Finanzierung, die Sicherung des Modells der Familienbetriebe und die Ermöglichung eines Generationswechsels müssen im Mittelpunkt der Diskussionen stehen“, sagte Kammerpräsident Jože Podgoršek.
- Auswirkungen auf Ernährungssicherheit und Importe
Kürzungen im Haushalt und Änderungen der GAP könnten die Lebensmittelproduktion innerhalb der EU negativ beeinflussen. Dies könnte zu höheren Lebensmittelpreisen und einer stärkeren Abhängigkeit von minderwertigen Importen aus Drittländern führen, so die Sorge.
Portugal besteht beispielsweise darauf, die GAP-Finanzierung auf dem aktuellen Niveau beizubehalten. Landwirtschaftsminister José Manuel Fernandes betonte mehrfach, die Unterstützung der Einkommen von Landwirtinnen und Landwirten sei eine Maßnahme zur strategischen Verteidigung, da sie die Ernährungssicherheit und die strategische Autonomie Europas untermauere.
„Lebensmittelimporteure aus Drittländern werden sich über diesen Haushalt besonders freuen“, fasste der tschechische Gewerkschafter Pýcha seine Bedenken auf der Social-Media-Plattform X zusammen. Er fügte hinzu, dass höhere Lebensmittelpreise eine mögliche Folge sein könnten.
- Finanzielle Unterstützung für Umweltmaßnahmen
Landwirtinnen und Landwirte wissen um die Wichtigkeit und zunehmenden Anforderungen an ökologische, tierwohlorientierte und administrative Maßnahmen. Sie betonen aber, dass sie ausreichende finanzielle Unterstützung und Werkzeuge benötigen, um diese hohen Standards zu erfüllen und Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
„Qualitätslebensmittel in Europa zu produzieren, wird immer anspruchsvoller, teurer und ist mit mehr Bürokratie verbunden, aufgrund der hohen Standards, von denen die Europäische Union eindeutig nicht abweichen will“, sagte Pýcha.
Jaume Bernis von der spanischen Landwirtschaftsorganisation COAG warnte ebenfalls, dass es ohne ausreichende finanzielle Unterstützung unmöglich sei, Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit zu erzielen oder die Kontinuität des Sektors zu gewährleisten.
- Haushaltskürzungen und Inflation
Politikerinnen und Politiker sowie Agrar-Lobbygruppen argumentieren, dass der Haushalt erhöht oder zumindest auf dem aktuellen Niveau gehalten und an die Inflation angepasst werden müsse, um die steigenden Kosten auszugleichen.
Frankreichs Argrargewerkschaft FNSEA kritisierte die Kommission scharf dafür, dass sie effektiv „eine Kürzung des GAP-Haushalts um 20 Prozent“ vorschlage. Pedro Barato von der spanischen Agrarorganisation ASAJA verurteilte die geplanten Kürzungen. José Manuel Roche – von UPA, ebenfalls einer spanischen Organisation – warnte, dass diese Strategie „eine echte Kürzung der Mittel“ für Landwirtinnen und Landwirte verschleiern könnte.
„Für uns in Osteuropa ist es wichtig, die Direktzahlungen beizubehalten und sie schrittweise zu erhöhen“, sagte die slowakische Europaabgeordnete Katarína Roth Neveďalová und fügte hinzu, dass slowakische Betriebe derzeit etwa 85 Prozent der durchschnittlichen Zahlungen von EU-Landwirtinnen und -Landwirten erhalten. Der Slowake Gajdoš betonte die Forderung der Landwirtschaft nach einer Erhöhung statt Kürzung des Haushalts, insbesondere angesichts der Inflation.

Proteste sind zu erwarten
Landwirtinnen und Landwirte sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter bereiten sich auf lange und schwierige Verhandlungen vor, um ihre Interessen zu verteidigen.
Am Mittwoch hatten sich Landwirtinnen und Landwirte aus ganz Europa bereits in Brüssel zu einer ersten Protestrunde versammelt, ihre Traktoren jedoch noch zu Hause gelassen.
„Dieser Vorschlag ist eine Provokation“, sagte FNSEA-Chef Arnaud Rousseau während der Demonstration. „Niemand hat ein Interesse daran, europäische Landwirtinnen und Landwirte herauszufordern. Wenn diese Botschaft nicht gehört wird, werden wir zurückkommen.“
Brüssel und andere europäische Hauptstädte waren im vergangenen Jahr Schauplatz von Protesten der Landwirtinnen und Landwirte, die sich gegen billige Importe, niedrige Margen und die Belastung durch Umweltauflagen richteten.
Die Verhandlungen über den MFR-Vorschlag zwischen den 27 Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament werden voraussichtlich bis Ende 2027 andauern. Die Transformation der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) wird im Mittelpunkt der schwierigen Verhandlungen stehen.
Dieser Artikel ist eine Key Story des enr. Der Inhalt basiert auf den Nachrichten der am European Newsroom beteiligten Agenturen.
