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Brüssel (enr) – Zehn Jahre nach Beginn der Migrationswelle von 2015 betont EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, die Europäische Union entscheide, wer ihre Grenzen überschreiten darf und wer nicht. Um die weitere Ankunft von Migranten aus Nicht-EU-Ländern zu bewältigen, forderte er effektivere Rückführungen und eine stärkere Zusammenarbeit mit Drittländern.

„Nach zehn Jahren Verhandlungen setzen wir nun ein modernes Migrationssystem um, das uns die Kontrolle darüber gibt, wer nach Europa kommen darf – und wer nicht,“ sagte  Brunner in einem schriftlich geführten Interview mit dem European Newsroom (enr) und verwies dabei auf den Migrations- und Asylpakt, der im Juni 2026 in Kraft treten soll.

Der Pakt umfasst eine Reihe neuer Vorschriften zur Steuerung von Migration und zur Schaffung eines gemeinsamen Asylsystems auf EU-Ebene. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird er „sicherstellen, dass die Union über starke und sichere Außengrenzen verfügt, dass die Rechte der Menschen gewährleistet sind und dass kein EU-Land allein gelassen wird, wenn es unter Druck steht“.

Dafür müsse das europäische Haus in Ordnung gebracht werden: Das geschehe mit einer Reform des Asyl- und Migrationssystems und durch Abkommen mit Drittstaaten, so Brunner.  „Damit stellen wir sicher, dass wir über die richtigen Werkzeuge verfügen, um Asylverfahren effizienter zu gestalten, und ein harmonisiertes System für die Rückführung von Personen ohne Bleiberecht zu schaffen.”

„Um zu verhindern, dass Menschen gefährliche Wege einschlagen, müssen wir mit Drittstaaten entlang der Routen und auch in Herkunftsländern zusammenarbeiten,“ sagte der österreichische Kommissar. 

Auf die Frage, wie die EU angesichts der wachsenden Unzufriedenheit mit der Masseneinwanderung das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherstellen will, antwortete Brunner: „Die Priorität unserer Migrationspolitik ist es, die Kontrolle darüber zu haben, was in Europa geschieht.“

Ein Jahrzehnt nach „Wir schaffen das“

Die Bilder sind in die Geschichte eingegangen: Anfang September 2015 zogen lange Schlangen von erschöpften Frauen und Männern mit ihren Habseligkeiten auf dem Rücken durch Mitteleuropa. 

Am 31. August, als Tausende von Flüchtlingen auf einer Autobahn in Ungarn in Richtung Deutschland marschierten, sagte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die berühmten drei Worte „Wir schaffen das”. Niemand ahnte damals, dass diese Worte zur berühmtesten Aussage ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft werden würden.

Merkel und der zu der Zeit österreichische Bundeskanzler Werner Faymann beschlossen in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015, die Grenzen beider Länder offen zu halten.

Innerhalb weniger Monate hat Deutschland danach Hunderttausende Menschen aufgenommen, von denen die meisten vor Konflikten in Syrien, Irak oder Afghanistan geflohen waren – ein Wendepunkt, der das Land tief spalten sollte.

Das Jahr 2015 war unter anderem mitverantwortlich für den Aufstieg der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD).

Laut Marko Lovec, Professor für Internationale Beziehungen an der Fakultät für Sozialwissenschaften in Ljubljana, war die neue Migrationssituation einer der Hauptgründe für den Wandel der politischen Stimmung in Europa. Seit 2014 haben rechte, euroskeptische und populistische Parteien die Migration als eines der Hauptthemen im Vorfeld nationaler und EU-Wahlen genutzt.

Eine gefährliche Reise in den Wohlstand

Das in der Genfer Konvention verankerte und 1951 von 155 Staaten ratifizierte Asylrecht bedeutet, dass im Jahr 2024 mehr als eine Million Menschen einen Antrag in der Europäischen Union stellen konnten.

Viele Migrantinnen und Migranten reisen über Griechenland in die Europäische Union ein und dann über die EU-Beitrittskandidaten Serbien und Nordmazedonien weiter nach Norden. Andere entscheiden sich für den Weg nach Westen über Albanien oder den Kosovo. 

Aufgrund seiner geografischen Lage wird Nordmazedonien als Korridor zwischen Griechenland und Serbien genutzt. Migrierende sind während ihrer Reise mit vielen Herausforderungen konfrontiert: willkürliche Inhaftierungen und Ausweisungen, Missbrauch und Misshandlung, sogar Tod. Schleusergruppen bringen Migrantinnen und Migranten illegal ins Land und erzielen hohe illegale Gewinne (zwischen 500 und 1.500 Euro pro Person), dafür dass sie sie von Griechenland nach Serbien bringen.

Kroatien liegt ebenfalls an der stark frequentierten Westbalkanroute. Wie Nordmazedonien ist es eine Transitstation auf dem Weg in wohlhabendere Mitgliedstaaten – vor allem Deutschland, Österreich und Schweden.

Im Jahr 2015 – unter dem damaligen Ministerpräsidenten Zoran Milanović – bestand die Politik Kroatiens darin, Flüchtende ins Land zu lassen, allerdings nur, um sich um kranke und gebrechliche Menschen zu kümmern, bevor sie weiter an die Grenzen zu Ungarn und Slowenien transportiert wurden. Das Land weigerte sich, ein Hotspot oder Aufnahmezentrum zu werden, von dem aus Flüchtlinge weiter in nördliche EU-Mitgliedstaaten umgesiedelt würden.

Migranten warten an Bord eines Schiffes der italienischen Küstenwache auf der sizilianischen Insel Lampedusa. Foto: David Lohmueller
Migranten warten an Bord eines Schiffes der italienischen Küstenwache auf der sizilianischen Insel Lampedusa. Foto: David Lohmueller

Eine weitere beliebte, aber gefährliche Route führt von Nordafrika und dem Nahen Osten nach Italien, auf der viele mit Booten reisen und durch die das Mittelmeer zu einem Massengrab wird. 

Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) erreichte die Zahl der Ankünfte auf dem Seeweg 2016 mit 181.436 einen Höchststand, wobei 4.578 Menschen ums Leben kamen oder vermisst wurden. Die Zahlen schwanken im Laufe der Jahre, aber die Zahl der Toten oder Vermissten ist erschütternd.

Die Zahl der Ankünfte geht zurück, aber Integration und Inklusion verlaufen uneinheitlich

Laut dem französischen Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen (OFPRA) entfielen allein auf Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland fast 80 Prozent der Asylanträge in der EU im Jahr 2024.

Deutschland blieb mit 237.000 Anträgen oder 23 Prozent aller in der EU gestellten Anträge das führende Zielland, gefolgt von Spanien, Italien und Frankreich. Zypern ist das Land mit der höchsten Zahl an Asylanträgen pro Kopf (1/138 Einwohner), vor Griechenland (1/141 Einwohner).

Die Daten zeigen jedoch, dass die Zahl der Anträge zurückgeht, obwohl die Debatte darüber immer härter geführt wird.

In Deutschland gingen die Anträge im August dieses Jahres um fast 60 Prozent zurück. Insgesamt beantragten im August 7.803 Menschen zum ersten Mal Asyl, verglichen mit 18.427 im Vorjahr, wie das Innenministerium am Dienstag mitteilte. 

Der Rückgang ist auf verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung der Migration zurückzuführen, die Deutschland unter dem seit Mai amtierenden Bundeskanzler Friedrich Merz ergriffen hat. Die Regierung setzte harte Maßnahmen durch, wie strenge Grenzkontrollen und die Abschiebung verurteilter afghanischer Straftäter in ihr von den Taliban kontrolliertes Heimatland.

Spanien verzeichnete einen ähnlichen Rückgang, wo zwischen Januar und September dieses Jahres 23.931 Migrantinnen und Migranten ankamen, 11.578 weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Obwohl Spanien ein Land an der Frontlinie ist, haben sich immigrationsfeindliche Narrative dort noch nicht durchgesetzt, auch wenn es in den letzten Monaten einige Zwischenfälle gab.

So kam es beispielsweise im Juli in der Stadt Torre-Pacheco zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Einwanderer, nachdem ein 68-jähriger Rentner am 9. Juli behauptete, drei Männer nordafrikanischer Herkunft hätten ihn ohne Provokation angegriffen.

Der plötzliche Ausbruch von Gewalt überraschte Spanien, aber die Anti-Migranten-Rhetorik hat sich bereits seit einiger Zeit aufgebaut, teilweise aufgrund von Desinformationen, die in den sozialen Medien kursieren.


Faktencheck: Desinformation schürt Anti-Migranten-Unruhen in Spanien

Das digitale Faktencheck-Team der Nachrichtenagentur AFP in Spanien hat viele falsche Behauptungen im Zusammenhang mit Einwanderern widerlegt. Ein virales Video, das einen Obdachlosen zeigt, der im Mai in Almería (Spanien) angegriffen wurde, wurde aus dem Zusammenhang gerissen und trug dazu bei, die Gewalt gegen Einwanderer zu schüren, indem es fälschlicherweise mit dem Vorfall in Torre-Pacheco in Verbindung gebracht wurde. 

Lesen Sie die vollständige Faktenprüfung der AFP auf Französisch: https://factuel.afp.com/doc.afp.com.683E4WE 


Das Nachbarland Portugal sagte zu, rund 4.500 Asylsuchende aufzunehmen, als 2015 die Flüchtlingskrise ausbrach. In der Praxis nahm das Land zwischen 2015 und 2018 etwa 1.550 Flüchtende auf, von denen viele aus Lagern in Griechenland und Italien überstellt wurden.

Die Integrationsbemühungen wurden durch eine Mischung aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen koordiniert. Den Flüchtlingen wurden Unterkünfte, Gesundheitsversorgung, Bildung und Portugiesischkurse zur Verfügung gestellt. Es wurden auch Beschäftigungsprogramme entwickelt, obwohl es sich als schwierig erwies, die Fähigkeiten der Flüchtlinge mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes in Einklang zu bringen.

Eines der Kennzeichen des portugiesischen Ansatzes war die Verteilung. Anstatt die Flüchtenden in großen städtischen Zentren zu konzentrieren, verteilten die Behörden die Familien auf Städte und Dörfer im ganzen Land. Diese Strategie förderte enge Gemeinschaftsbindungen, führte aber auch dazu, dass sich viele Flüchtlinge von der breiteren Diaspora isoliert fühlten. Sprachbarrieren und die Nichtanerkennung beruflicher Qualifikationen erschwerten die Integration zusätzlich.

In Bulgarien konzentrierte sich ein Großteil der Debatte auf den Arbeitsmarkt. Eine Umfrage der soziologischen Agentur Myara im März ergab, dass mehr als die Hälfte der bulgarischen Bevölkerung dagegen ist, Migrantinnen und Migranten die Aufnahme einer Arbeit im Land zu gestatten, selbst angesichts des Arbeitskräftemangels.

In Frankreich kündigte die Regierung im Juli an, dass die Registrierung legal im Land lebender Ausländerinnen und  Ausländer bei der staatlichen Arbeitsvermittlung France Travail künftig kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich automatisch erfolgen solle, um die „Arbeitslosigkeit“ unter Nicht-EU-Neuzugewanderten zu bekämpfen. Die Regierung gab an, dass die Arbeitslosenquote unter Nicht-EU-Ausländern mit legalem Wohnsitz in Frankreich bei 16,4 Prozent liege.

In Deutschland hatte laut den neuesten Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fast zwei Drittel der Flüchtlinge, die 2015 ins Land kamen, bis 2022 einen Arbeitsplatz gefunden. Viele Migrantinnen und Migranten haben jedoch noch keine Arbeit gefunden. Sie sind vier Mal häufiger arbeitslos als der Rest der Bevölkerung, mit einer Arbeitslosenquote von 28 Prozent im letzten Jahr.

In Italien leben laut dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik fast 2,4 Millionen ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – das entspricht mehr als 10 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung des Landes. Obwohl sie Multikulturalismus ins Land bringen, stehen viele von ihnen vor strukturellen Herausforderungen bei der Integration, darunter sprachliche und bürokratische Hindernisse sowie Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche.

Die Zeit hat es bewiesen

Zehn Jahre nach ihrer legendären Aussage „Wir schaffen das“ ist Angela Merkel überzeugt, dass Deutschland bei der Integration von Migranten erhebliche Fortschritte erzielt hat.

Merkel räumt ein, dass das Land damals „nicht gut vorbereitet“ auf diese „gewaltige Aufgabe“ war und dass es „Enttäuschungen“ gegeben habe. Dennoch verweist sie auf die „unglaublichen Anstrengungen“, die viele unternommen haben, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen.

Dieser Artikel ist eine Key Story des enr. Der Inhalt basiert auf der Berichterstattung der teilnehmenden Nachrichtenagenturen.