enr (Brüssel) – Der Leiter der weltweit größten und von der EU mitfinanzierten Lebensmittel-Innovationsgemeinschaft, hat davor gewarnt, dass die Europäische Union Start-ups in diesem Sektor verlieren könnte, da diese wegen der strengen regulatorischen Anforderungen die EU verlassen könnten.
„Jeder, der an Gen-Editing arbeitet, kann innerhalb des aktuellen europäischen Systems nur bis zu einem gewissen Punkt vorankommen, ohne ein langwieriges Verfahren zur Beantragung der EFSA-Zertifizierung [Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit] durchlaufen zu müssen, was für kleine Unternehmen sehr teuer und zeitaufwendig ist,“ sagte Richard Zaltzman, CEO von EIT Food, am Mittwoch in einem Interview mit dem European Newsroom (enr) am Rande der Veranstaltung „Next Bite 2025“ in Brüssel.
„Wenn man sich die Fakten ansieht, gehen europäische Start-ups ins Ausland, sobald sie eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht haben, weil sie in Europa entweder gar nicht auf den Markt kommen können – wie im Fall von gen-editierten Technologien – oder sie Schwierigkeiten haben, rechtzeitig auf den Markt zu kommen, wenn sie eine EFSA-Zulassung benötigen. Im Vergleich dazu können sie dies in einem regulatorischen Umfeld wie Singapur oder den USA viel schneller umsetzen,“ sagte Zaltzman.
Der Leiter der in Belgien ansässigen Organisation zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass die derzeitige Europäische Kommission günstigere Bedingungen für Start-ups im Bereich Lebensmittel-Innovationen schaffen wird. „Ich bin optimistisch, dass das Umfeld europäische Start-ups dabei unterstützen wird, ihr Potenzial hier in Europa zu entfalten, während gleichzeitig ein starker Fokus auf Lebensmittelsicherheit und die Gesundheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger gelegt wird. Es scheint, dass der Wind in die richtige Richtung weht, ganz sicher.“
EIT Food ist eine der Wissens- und Innovationsgemeinschaften (KICs), die vom Europäischen Institut für Innovation und Technologie (EIT) gegründet wurden. Dabei handelt es sich um eine EU-Behörde, die Teil des Horizon-Europe-Programms für Forschung und Innovation ist.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bietet unabhängige wissenschaftliche Beratung zu lebensmittelbezogenen Risiken.
Die von Präsidentin Ursula von der Leyen geführte Kommission hat sich verpflichtet, die Wettbewerbsfähigkeit Europas durch ihren „Wettbewerbskompass“ zu stärken – im Fall von Start-ups durch die Schaffung eines freundlichen Umfelds für junge Unternehmen, um zu starten und zu wachsen.
„Es öffnen sich definitiv Türen,“ sagte Zaltzman. „Ob das nun in regulatorischen Sandbox-Umgebungen geschieht, in denen es Testfelder für solche Entwicklungen in bestimmten Ländern oder Regionen gibt – es gibt eindeutig den Wunsch, die Wachstumschancen zu nutzen. Wenn wir uns den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit und den Europäischen Wettbewerbsfonds ansehen, wird dies fast sicher einige dieser Bereiche abdecken,“ fügte er hinzu.
Burger oder nicht Burger, das ist hier die Frage
Zaltzman äußerte sich gegenüber dem enr „enttäuscht über die europäische Haltung zur Nomenklatur“, und bezog sich dabei auf Diskussionen über Bezeichnungen wie „Burger“ und „Wurst“ für Lebensmittel aus tierischen Produkten und deren vegetarische und vegane Alternativen.
Das Europäische Parlament stimmte letzte Woche dafür, solche Begriffe für pflanzliche Produkte zu verbieten, was zu Protesten von Verbraucher- und Umweltgruppen führte. Die Abgeordneten beschlossen, dass Bezeichnungen wie Steak, Schnitzel, Wurst oder Burger ausschließlich für Produkte mit Fleisch reserviert sein müssen und aus Zellen kultivierte Produkte ausschließen.
Zaltzman bezeichnete die Entscheidung als „eine unnötige Einschränkung für Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind“ und „das unnötige Schließen einer Tür, die es Unternehmen ermöglichen würde, ihre Produkte neben vergleichbaren Produkten ins Regal zu stellen“.
Er erklärte: „Jede Wurst, die Sie kaufen, ist kein reines Schweinefleischprodukt. Sie besteht nur zu etwa 60 Prozent aus Fleisch. Der Rest sind Getreide, Weizen und andere Zusatzstoffe. Das Gleiche gilt für die meisten Burger, die Sie kaufen. Die Idee, dass man ein reines Produkt schützt, ist von Anfang an ein Trugschluss.“
Der CEO von EIT Food stellte jedoch klar, dass diese Aussage seine persönliche Meinung widerspiegele und nicht die offizielle Position von EIT Food darstellt.
Gespräche mit den EU-Mitgliedstaaten und dem Parlament laufen derzeit, um die endgültige Form des Gesetzes zu definieren, bevor es in Kraft treten kann.
Dieser Text ist eine Key Story des enr.