Im vergangenen Jahr starben fast 20,000 Menschen im Straßenverkehr in der Europäischen Union. Die EU ist entschlossen, diese Zahl bis 2050 deutlich zu senken.
Diese Woche haben die EU-Gesetzgeber dazu neue EU-weite Führerscheinregeln festgelegt, darunter die Einführung digitaler Führerscheine und grenzüberschreitende Strafen für Verkehrssünder.
„Die Reform ist notwendig, weil sich die Welt verändert hat,“ sagte die deutsche Europaabgeordnete Jutta Paulus (Grüne/EFA), Co-Berichterstatterin des Dossiers im Parlament, den European Newsroom (enr) in Straßburg. „Wir müssen von 20.000 Verkehrstoten pro Jahr herunterkommen, und diese Reform ist Teil des Pakets,“ fügte sie hinzu.
Die Reform ist Teil des Verkehrssicherheitspakets, mit dem die EU ihr Ziel „Vision Zero“ verfolgt – null Verkehrstote und Schwerverletzte bis 2050. Laut dem 2018 festgelegten Ziel soll die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 im Vergleich zu 2019 halbiert werden – doch die EU ist noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen.
Laut den neuesten Zahlen der Europäischen Kommission verloren 2024 insgesamt 19.940 Menschen bei Verkehrsunfällen ihr Leben, was einem Rückgang von 2 Prozent im Vergleich zu 2023 und einem Rückgang von 12 Prozent seit 2019 entspricht.
Uneinheitlicher Fortschritt bei der Verkehrssicherheit
Im Verhältnis zur Bevölkerung sind die Straßen in Schweden (20 Todesfälle pro Million Einwohnerinnen und Einwohner), Malta (21/Million) und Dänemark (24/Million) am sichersten, während Rumänien (78/Million) und Bulgarien (74/Million) 2024 die höchsten Todesraten verzeichneten. Mit 33 Todesfällen pro Million Einwohner liegt Deutschland deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 45 Todesfällen pro Million Einwohner.
Polen verzeichnete 2024 mit 52 Todesfällen pro Million Einwohner den größten Rückgang der Verkehrstoten unter allen EU-Ländern seit 2019, was einem Rückgang von 35 Prozent entspricht, so die Zahlen der Europäischen Kommission. 2019 lag die Zahl laut des Europäischen Observatoriums für Verkehrssicherheit (ERSO) noch bei 77 pro Million Einwohner.
In Slowenien starben im Jahr 2024 68 Menschen im Straßenverkehr, eine Todesrate von 32 pro Million Einwohner, und die slowenische Verkehrssicherheitsbehörde meldete einen Anstieg der Zahl der Unfälle mit schweren Verletzungen im Straßenverkehr (+11 Prozent, 889 Unfälle) und der Zahl der an solchen Unfällen beteiligten Personen (+12 Prozent, 953 Personen) im Vergleich zu 2023. Das nationale Programm für Verkehrssicherheit hat für 2030 ehrgeizige Ziele: Die jährliche Zahl der Todesopfer soll auf maximal 50 und die Zahl der Schwerverletzten auf maximal 400 gesenkt werden.
Am anderen Ende des Kontinents verzeichnete Spanien 37 Verkehrstote pro Million Einwohner. Ablenkung beim Fahren ist für 30 Prozent dieser Todesfälle verantwortlich und bleibt die Hauptursache für Unfälle, besonders oft sind es welche, die mit der Nutzung von Mobiltelefonen zusammenhängen.
Im benachbarten Portugal liegt das Verhältnis bei 58 Todesfällen pro Million Einwohner. Um Unfälle in höheren Altersgruppen zu reduzieren, schreibt Portugals Gesetzgebung ab einem bestimmten Alter regelmäßige Überprüfungen vor – beispielsweise ab 50, mit kürzeren Intervallen, je älter der Fahrer oder die Fahrerin ist. Außerdem wurden spezifische Regeln für das Fahren von Mopeds und landwirtschaftlichen Fahrzeugen eingeführt.
Was ändert sich für Autofahrerinnen und -fahrer in der EU?
Die neuen von den EU-Gesetzgebern verabschiedeten Regeln führen strengere Bedingungen für den Erwerb und die Erneuerung von Führerscheinen ein, fördern den Informationsaustausch über schwere Verkehrsdelikte zwischen den Mitgliedstaaten und ermutigen zur Einführung digitaler Führerscheine.
Die weitreichendste Änderung besteht darin, dass schwere Verkehrsdelikte wie Trunkenheit am Steuer oder extremes Rasen zu EU-weiten Fahrverboten führen können. Derzeit sind Strafen in der Regel auf das Land beschränkt, in dem das Vergehen begangen wurde.
Derzeit bleiben fast 40 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer, denen der Führerschein in einem anderen Land als dem Ausstellungsland entzogen oder ausgesetzt wurde, ungestraft, sagte der italienische Abgeordnete Matteo Ricci (Italien, S&D) im Parlament.
Der deutsche Europaabgeordnete Markus Ferber (EPP) stellte jedoch klar, dass diese Regel nicht für Urlauberinnen und Urlauber gilt, die aufgrund von Unkenntnis lokaler Vorschriften eine geringfügige Geldstrafe erhalten.
Entgegen früherer Überlegungen wird es keine verpflichtenden Gesundheitschecks für Personen über einem bestimmten Alter geben. Die EU-Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, ob sie für Pkw- und Motorradführerscheine ein ärztliches Attest oder ein Selbstauskunftsformular verlangen.
„Es liegt an jedem Mitgliedstaat, zu entscheiden, ob ältere Fahrerinnen und Fahrer zusätzlichen Tests unterzogen werden sollten. Wir haben sichergestellt, dass die Mitgliedstaaten volle Flexibilität bei der Beurteilung ihrer Fahrtauglichkeit behalten, um unnötige Bürokratie für Bürgerinnen und Bürger sowie Gesundheitssysteme zu vermeiden,“ sagte die polnische Europaabgeordnete Elżbieta Łukacijewska (EPP).
Das Gesetz zielt auch darauf ab, den Mangel an Fachkräften im Transportsektor zu bekämpfen. Das Mindestalter für den Lkw-Führerschein wird von 21 auf 18 Jahre gesenkt, und das Mindestalter für Busfahrerinnen und -fahrer wird von 24 auf 21 Jahre gesenkt.
Die neuen Vorschriften legen auch eine maximale Gültigkeitsdauer von 15 Jahren für Führerscheine für Pkw und Motorräder fest. In Ländern, in denen der Führerschein als Ausweisdokument dient, kann diese auf 10 Jahre verkürzt werden.

Und was ändert sich für Fahrschülerinnen und Fahrschüler?
Wer einen Führerschein machen möchte, wird mit neuen Unterrichtsinhalten konfrontiert. Themen wie Ablenkung durch Handynutzung, tote Winkel und Fahrerassistenzsysteme finden stärkeren Eingang in die Kurse. Auch der Umgang mit Fußgängerinnen und Fußgängern, Kindern und Radfahrenden wird in den Kursen mehr Beachtung finden.
Das begleitete Fahren wird in der gesamten Europäischen Union ausgeweitet. Jugendliche dürfen bei diesem System früher hinters Steuer, solange sie von einer erfahrenen Person begleitet werden. Für Fahranfängerinnen und -anfänger kommt außerdem eine zweijährige Probezeit, in der für sie strengere Regeln und Strafen gelten als für Verkehrsteilnehmer mit längerer Erfahrung.
In Schweden befürchteten Jugendliche, dass die neuen Regeln es 15-Jährigen unmöglich machen würden, weiterhin sogenannte A-Traktoren zu fahren. Diese Fahrzeuge sind auf eine Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde gedrosselt und sind in Regionen ohne öffentlichen Nahverkehr beliebt. Die neuen Regeln umfassen jedoch das neue B1-Auto, das in der Praxis den A-Traktor ersetzen wird, wenn die neuen Regeln angewendet werden, und sogar eine Geschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde erlaubt.
Für die Niederlande, wo es mehr Fahrräder als Menschen gibt, sind Fahrradunfälle ein zentrales Thema. Der scheidende Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft, Robert Tieman, hat deshalb einen mehrjährigen Plan zur Fahrradsicherheit vorgeschlagen.
Die Zahl der Unfälle mit Radfahrerinnen und Radfahrern in den Niederlanden wird voraussichtlich bis 2040 erheblich steigen, wenn die Radverkehrspolitik unverändert bleibt. Radfahrerinnen und Radfahrer machen 39 Prozent aller Verkehrstoten aus, und 70 Prozent der Betroffenen erleiden schwere Verletzungen. Zwei Drittel dieser schwer verletzten Personen sind über 60 Jahre alt.
Wenn es nach der scheidenden Regierung geht, sollen Gemeinden ab dem nächsten Jahr die Möglichkeit erhalten, mit maximalen oder empfohlenen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Radwegen zu experimentieren. Außerdem können sie untersuchen, ob es die Verkehrssicherheit verbessern würde, wenn elektrische Lastenräder, die für den Warentransport genutzt werden, auf der Straße statt auf Radwegen unterwegs sind.
Tieman möchte zudem eine Helmpflicht für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre einführen, die ein elektrisches Fahrrad wie ein Fatbike fahren. Er begründet dies mit der steigenden Zahl junger Menschen, die nach einem Unfall mit Hirnverletzungen in der Notaufnahme landen.
Führerschein fit für die Zukunft?
Die Reform zielt auch darauf ab, die Einführung des digitalen Führerscheins als hauptsächlich genutztes Format zu beschleunigen. EU-Bürgerinnen und -Bürger werden aber weiterhin die Möglichkeit haben, ein physisches Dokument zu beantragen.
In Deutschland warnt der TÜV, dass „noch viel Arbeit zu leisten ist“, um den Führerschein zu digitalisieren. Ein großes Hindernis sind die unterschiedlichen Softwaresysteme, die von den Landesbehörden verwendet werden. Eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums erklärte jedoch, dass das Ziel darin bestehe, den nationalen digitalen Führerschein bis Ende 2026 verfügbar zu machen.
In Bulgarien hingegen sagte der stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Verkehr und Kommunikation, Grozdan Karadjov, am Mittwoch, dass Bulgarien bereits soweit sei, digitale Führerscheine einführen zu können. Laut Karadjov hat das Ministerium für E-Government ein solches System schon in der Entwicklung. Er betonte, dass alle Anforderungen der EU-Richtlinie rechtzeitig umgesetzt werden.
Die neuen Regeln treten am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben drei Jahre Zeit, um die neuen Vorschriften in ihre nationalen Gesetze aufzunehmen, und ein weiteres Jahr, um sie in der Praxis umzusetzen.
FAKTENCHECK: Dürfen arbeitslose Deutsche einen Führerschein machen?
Wer hat in Deutschland das Recht, einen Führerschein zu erwerben? Ein in den sozialen Medien kursierendes Video behauptete fälschlicherweise, dass die deutsche Regierung unter Kanzler Friedrich Merz plane, dies nur arbeitenden Menschen zu ermöglichen.
Das Faktencheck-Team der Deutschen Presse-Agentur (dpa) widerlegte diese Behauptung. Eine Sprecherin von Merz’ konservativer CDU sagte, es gebe keine derartigen Pläne. Tatsächlich will das CDU-geführte Bundesverkehrsministerium die Kosten für Führerscheine senken.
Den vollständigen Faktencheck auf Deutsch finden Sie hier: https://dpa-factchecking.com/germany/250909-99-972655/
Dieser Artikel ist eine enr Key Story. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der am enr teilnehmenden Agenturen.
