Hunderte von Traktoren blockieren am Montag die Straßen rund um den EU-Hauptsitz in Brüssel. Die EU-Minister waren zusammengekommen, um nach Wegen zu suchen, Vorschriften für die Landwirtschaft und bürokratischen Aufwand zu verringern. Diese hatten Proteste in der ganzen EU ausgelöst.
Schätzungsweise 900 Traktoren brachten das Europaviertel der Stadt zum zweiten Mal innerhalb eines Monats zum Stillstand. Die Landwirte zündeten Feuerwerkskörper an, verbrannten Reifen, bewarfen die Polizei mit Eiern und besprühten sie mit Dung. Die Polizei reagierte, indem sie Wasserwerfer und Tränengas einsetzte.
Die Landwirte sind wütend über belastende Vorschriften und Billigimporte, insbesondere aus der Ukraine. Sinkende Einkommen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind ebenfalls ein Auslöser des Ärgers. Ein weiteres Thema für die Bauern sind Freihandelsabkommen wie etwa mit dem südamerikanischen Handelsblock Mercosur. Durch solche Abkommen könnten laut den europäischen Landwirten minderwertige Lebensmittel zu Dumpingpreisen nach Europa gelangen, so dass sie einen unlauteren Wettbewerb befürchten.
Trotz der jüngsten Proteste gegen die EU-Agrarvorschriften hat das Europäische Parlament am Dienstag für das umstrittene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestimmt. Dieses Gesetz soll die biologische Vielfalt und geschädigte Ökosysteme wiederherstellen – aber es könnte auch den Druck auf den Agrarsektor erhöhen.
Zwar sind Bauernproteste in Brüssel keine Seltenheit, doch die Demonstrationen am Montag sind die extremsten, die die Stadt seit den Anti-Establishment-Märschen der „Gelbwesten“ im Jahr 2018 erlebt hat.
Auch anderswo in Europa sind die Landwirte auf die Straße gegangen. In Spanien zum Beispiel versammelten sich Tausende von Bauern vor dem Landwirtschaftsministerium in Madrid und hielten Plakate hoch, auf denen unter anderem zu lesen war: „Das Land steht vor dem Abgrund und die Regierung kümmert das nicht.“
Darüber hinaus blockierten polnische Landwirte am Montag eine wichtige Autobahn nach Deutschland – sie setzen ihren Protest von Sonntag gegen EU-Verordnungen und „unkontrollierte“ ukrainische Getreideimporte einen zweiten Tag fort. Polnische Landwirte blockierten außerdem einen Grenzübergang zur Slowakei, indem sie in dem Dorf Barwinek Barrieren errichteten und die erste Stunde lang keine Fahrzeuge passieren ließen.
Tausende von polnischen Bauern versammelten sich am Dienstag in Warschau, um gegen den europäischen Green Deal und für strengere Kontrollen bei der Einfuhr von Agrarprodukten aus der Ukraine zu protestieren.
EU-Minister treffen sich, um die Wut der Landwirte zu besänftigen
Die ausufernden Proteste, bei denen der französische Präsident Emmanuel Macron am Wochenende wütend beschimpft wurde, haben die Staats- und Regierungschefs der EU verunsichert. Sie befürchten, dass sie den Rechtsextremen bei den Europawahlen im Juni Auftrieb geben könnten. Am Samstag besuchte Macron die jährliche Internationale Landwirtschaftsausstellung in Paris – eine der größten und wichtigsten der Welt. Währenddessen kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Die Landwirtschaftsminister der 27 Mitgliedstaaten haben sich am Montag in Brüssel mit den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Vereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) befasst, mit dem Hoffnung, damit die Landwirte zu beruhigen.
Die GAP ist das Flaggschiff der EU-Agrarsubventionspolitik. Um Unterstützung durch die GAP zu erhalten, müssen Landwirte und Viehzüchter eine Reihe von umweltfreundlichen Bedingungen erfüllen.
Die Europäische Kommission hat einige Optionen zur Verringerung des bürokratischen Aufwands bei der Inanspruchnahme von Subventionen vorgelegt. Unter anderem sieht sie mehr Flexibilität bei der Flächennutzung und bei Agrar-Inspektionen vor. Die Vorschläge ermöglichen auch eine Lockerung einiger Umweltauflagen, darunter für ehemalige Viehzüchter, die ihr Land in Grünland umzuwandeln.
Die Kommission plant eine Vereinfachung der Verwaltung und eine Änderung der Arbeitsweise bei Vor-Ort-Kontrollen, um die Zahl der Besuche um 50 Prozent zu reduzieren. Zusätzlicher Spielraum könnte auch Landwirten eingeräumt werden, die die GAP-Anforderungen aufgrund extremer Wetterbedingungen nicht erfüllen.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat die Möglichkeit eröffnet, die aktuellen GAP-Verordnungen, die zwischen 2023 und 2027 in Kraft sind, zu überarbeiten. Er will die umweltfreundlichen Bedingungen überprüfen, die in der Landwirtschaft umgesetzt werden müssen, um die Unterstützung der GAP zu erhalten. Am 6. Februar zog die Kommission auch einen umstrittenen Vorschlag für ein Gesetz zur Reduzierung des Pestizideinsatzes zurück.
Die EU-Agrarminister forderten die Europäische Kommission jedoch auf, „rasch“ ehrgeizigere Maßnahmen vorzulegen, um auf die Proteste der Landwirte zu reagieren, da die Mitgliedstaaten die vorgeschlagenen Maßnahmen für „nicht ausreichend“ halten.
Ein Schritt nach vorn, aber nicht genug
Der World Wide Fund for Nature (WWF) warnte, dass die Bedenken der Landwirte durch diese Maßnahmen nicht berücksichtigt werden.
„Die Europäische Kommission rennt herum wie ein kopfloses Huhn, das Umweltmaßnahmen unter den Traktor wirft.“
Anu Suono, Expertin für Agrarpolitik beim WWF
„Diese Maßnahmen sind ein erster Schritt, um auf die Sorgen der Menschen einzugehen, aber sie reichen nicht aus,“ erklärte der belgische Landwirtschaftsminister David Clarinval, dessen Land die wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat, nach dem Treffen in Brüssel gegenüber Reportern.
„Die neue GAP ist schlecht geschrieben, die derzeitigen Ausnahmeregelungen sind unzureichend, wir brauchen grundlegende Änderungen,“ sagte Francesco Lollobrigida, Landwirtschaftsminister in Italien.
Sein spanisches Pendant, Luis Planas, sagte, dass ein neuer europäischer Pakt für Landwirte und ländliche Gebiete notwendig sei. Er forderte die Kommission auf, dringend Legislativvorschläge vorzulegen, um einige der Bedingungen zu ändern, die Landwirte erfüllen müssen, um Unterstützung von der GAP zu erhalten. Diese Änderungen sollten noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni verabschiedet werden, so Planas.
Slowenien begrüßte die Vorschläge der Kommission für weniger Bürokratie für Landwirte, würde aber gerne mehr Flexibilität bei den Bedingungen für Zahlungen sehen, sagte die Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium, Eva Knez, vor dem Ministertreffen am Montag. Sie hob einen Vorschlag hervor, bei dem kleinere Betriebe von den Kontrollen der guten landwirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen (GLÖZ) ausgenommen würden, die die Landwirte erfüllen müssen, um Direktzahlungen zu erhalten.
Am 20. Februar teilte das bulgarische Landwirtschafts- und Ernährungsministerium der Europäischen Kommission mit, dass es für das Jahr 2024 eine Ausnahmeregelung für den Mindestanteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche für nichtproduktive Flächen beantragen wird. Den Landwirten werde mehr Flexibilität bei der Nutzung der Flächen eingeräumt und sie würden weniger eingeschränkt, so dass die Einkommensverluste verringert und gleichzeitig die entsprechenden Umweltvorteile gewährleistet werden.
Die kroatische Regierung versucht, zusätzliche Budgethilfen für die Landwirte und durch ihre Vorschläge im Rat der EU bestimmte Maßnahmen und Flexibilität innerhalb der verfügbaren europäischen Agrarfonds zu sichern, so Landwirtschaftsministerin Marija Vučković. Sie wies darauf hin, dass ihr Ministerium Vorschläge zur Verringerung des von den Landwirten zu leistenden Papierkrams ausarbeite.
Schweden: Vertrauensbildung ist der Schlüssel
Schweden ist eines der wenigen Länder, in denen es keine großen Proteste von Seiten der Landwirte gab. Einer der Gründe dafür ist laut Palle Borgström, dem Vorsitzenden des größten schwedischen Bauernverbandes Lantbrukarnas Riksförbund (LRF), eine „konstruktivere Diskussion und Beziehung“ zwischen den Landwirten und der Regierung.
„In Schweden haben wir uns dafür entschieden, Vertrauen zwischen Landwirten und dem Rest der Gesellschaft aufzubauen. Proteste wären verheerend und würden dieses Vertrauen zerstören,“ sagte Borgström kürzlich in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehsender SVT.
Ihm zufolge seien die schwedischen Landwirte auch erfolgreicher, wenn es darum gehe, eine Entschädigung vom Markt zu erhalten, als weiter südlich in Europa, wo ihre Kollegen mit einer schwierigeren Situation mit den Discount-Ketten konfrontiert sind, „die immer die Preise drücken“.
Die meisten großen politischen Parteien in Schweden seien ebenfalls sehr handelsfreundlich und unterstützten nachdrücklich Abkommen mit den Mercosur-Ländern, Neuseeland und Australien.
Dieser Artikel wird wöchentlich veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.