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Nach wochenlangen Spekulationen und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen hat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am Dienstag ihr Team von EU-Kommissaren vorgestellt. Der nächste Schritt im Genehmigungsverfahren der Kommissare sind Anhörungen des designierten Kommissars oder der Kommissarin im Europäischen Parlament.

Die Arbeit der neuen EU-Kommission (2024-2029) wird sich vor allem auf Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit und weniger auf den Klimaschutz konzentrieren. Personell besonders umstritten bleibt die Ernennung des Rechtspopulisten Raffaele Fitto, Mitglied der Partei Fratelli d’Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, zu einem der Vizepräsidenten der EU-Kommission.

Vor fünf Jahren war der Fokus klar: „Beim letzten Mal war die Frage der globalen Erwärmung absolut top“, so von der Leyen, und auch bei Waldbränden und Überschwemmungen sei das Thema noch dominant gewesen. „Aber dieses Mal hat zum Beispiel das Thema Sicherheit, ausgelöst durch den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch das Thema Wettbewerbsfähigkeit viel mehr Einfluss“ auf die Organisation ihres Teams, so von der Leyen. Das neue Team solle „fließender, vernetzter“ arbeiten, damit alles zu den übergeordneten Zielen „Wohlstand, Sicherheit und Demokratie“ beitrage.

Die neue Strategie spiegelt sich auch in dem neu geschaffenen Posten des Verteidigungskommissars wider. Er soll mit dem ehemaligen litauischen Premierminister Andrius Kubilius besetzt werden – und damit mit jemandem aus einem Land, das an Russland grenzt. „Er wird sich für die Weiterentwicklung der Europäischen Verteidigungsunion einsetzen und unsere Investitionen und industriellen Kapazitäten stärken“, betonte von der Leyen.

Seit Wochen wird in den sozialen Medien und hinter vorgehaltener Hand darüber spekuliert, wer welchen Posten übernehmen wird. Von der Leyen hat viele der Spitzenpositionen in ihrem neuen Kommissionsteam mit Frauen besetzt. So vergab sie attraktive Ressorts an Länder, die ihrer Bitte nachkamen, ihre männlichen Kandidaten durch Frauen zu ersetzen Beispiele dafür sind das Erweiterungsressort, das an die Slowenin Marta Kos ging, oder der Posten der Exekutiv-Vizepräsidentin an die Rumänin Roxana Minzatu.

Darüber hinaus werden vier der sechs Spitzenpositionen anderer Exekutiv-Vizepräsidenten von Frauen besetzt: Teresa Ribera aus Spanien, Henna Virkkunen aus Finnland, Kaja Kallas aus Estland und Roxana Mînzatu aus Rumänien. Die verbleibenden zwei Posten werden von Männern besetzt – dem Franzosen Stéphane Séjourné und dem umstrittenen Italiener Raffaele Fitto.

Trotz dieser Bemühungen hat von der Leyen ihr Ziel der Geschlechterparität nicht erreicht. Sie erklärte, dass 40 Prozent der neuen Kommission aus Frauen und 60 Prozent aus Männern bestehen würden. Ursprünglich, so von der Leyen, hätten die Staats- und Regierungschefs fast 80 Prozent Männer vorgeschlagen. „Das war völlig inakzeptabel“, sagte von der Leyen.

Die EU-Kommission, ein legislatives Organ mit rund 32.000 Mitarbeitern, schlägt Gesetze für die Union vor und überwacht die Einhaltung des EU-Rechts. Das Kollegium der Kommissare – bestehend aus 27 Mitgliedern aus 27 EU-Mitgliedstaaten – koordiniert die Arbeit der gesamten EU-Kommission.

Kritik an der Ernennung von Fitto

Ein Name unter den Kandidaten sorgte schon vor der Präsentation für Aufsehen. Der italienische Rechtspopulist Raffaele Fitto, Europaminister in der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, soll nun einer der Exekutiv-Vizepräsidenten und Kommissar für Kohäsion und Reformen werden. Damit wäre er u.a. für den Europäischen Sozialfonds und einen Fonds für regionale Entwicklung zuständig.

„Raffaele Fitto wird für das Ressort Kohäsionspolitik, Regionalentwicklung und Städte zuständig sein“, sagte von der Leyen auf der Pressekonferenz am Dienstag. „Wir werden auf seine umfangreiche Erfahrung zurückgreifen, um unsere Kohäsions-, Investitions- und Wachstumspolitik zu modernisieren und zu stärken“, fügte von der Leyen hinzu. „Italien ist ein sehr wichtiges Land und das muss sich auch in unserer Wahl widerspiegeln“, betonte die EU-Kommissionspräsidentin.

Raffaele Fitto sagte, er fühle sich geehrt, nachdem Ursula von der Leyen ihn am Dienstag in ihr neues Team von Kommissaren berufen hatte. „Ich werde die mir übertragene Aufgabe, sobald das Verfahren zur Bestätigung der neuen Kommission abgeschlossen ist, mit größtem Engagement und in voller Übereinstimmung mit den Verträgen und ihrem Geist ausüben, in dem Bewusstsein, dass die nächsten fünf Jahre für die Zukunft der EU und ihrer Bürger entscheidend sein werden.“

Unterdessen äußerte die liberale Gruppe Renew am Dienstag ihre Unzufriedenheit über die Entscheidung, Fitto zu nominieren. „Ich bedauere die politische Entscheidung von der Leyens, Raffaele Fitto das Amt des Vizepräsidenten zu übertragen“, sagte die Vorsitzende von Renew, Valérie Hayer. Renew werde die Anhörungen im Europäischen Parlament abwarten. „Wir werden ihn nach seinen Fähigkeiten, seinen pro-europäischen Verpflichtungen, seiner Unabhängigkeit und seiner Kohärenz mit den Leitlinien vom Juli bewerten – wir werden sehr wachsam sein“, sagte sie. „Die EU-freundlichen Kräfte müssen sich vereinen: Wir dürfen den Populisten von rechts und links keinen Raum lassen.“

Die Grünen erklärten außerdem, dass sie Raffaele Fitto im Europäischen Parlament „keinen leichten Stand“ geben würden. „Die Tatsache, dass ein Kandidat einer rechtsextremen Regierung für das Amt des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission nominiert wird, ist für unsere Fraktion nach wie vor sehr besorgniserregend“, sagte Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen.

Die designierten Kommissare und Kommissarinnen:

Teresa Ribera Rodríguez (Spanien) – Exekutive Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang

Henna Virkkunen (Finnland) – Exekutiv-Vizepräsidentin für Sicherheit, Demokratie und Werte

Stéphane Séjourné (Frankreich) – Exekutiver Vizepräsident für Wohlstand und eine europäische Industriestrategie

Kaja Kallas (Estland) – Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission

Roxana Mînzatu (Rumänien) – Exekutiv-Vizepräsidentin für Fachkräfte, Kompetenzen und Vorausschau

Raffaele Fitto (Italien) – Exekutiv-Vizepräsident für Kohäsion und Reformen

Maroš Šefčovič (Slowakei) – Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit

Valdis Dombrovskis (Lettland) – Kommissar für Wirtschaft und Produktivität; Implementirung und Vereinfachung

Dubravka Šuica (Kroatien) – Kommissarin für den Mittelmeerraum

Olivér Várhelyi (Ungarn) – Kommissar für Gesundheit und Tierschutz

Wopke Hoekstra (Niederlande) – Kommissar für Klima, Netto-Null Emissionen und sauberes Wachstum

Andrius Kubilius (Litauen) – Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt

Marta Kos (Slowenien) – Kommissarin für Erweiterung

Jozef Síkela (Tschechische Republik) – Kommissar für internationale Partnerschaften

Costas Kadis (Zypern) – Kommissar für Fischerei und Ozeane

Maria Luís Albuquerque (Portugal) – Kommissarin für Finanzdienstleistungen und die Spar- und Investitionsunion

Hadja Lahbib (Belgien) – Kommissarin für Vorsorge und Krisenmanagement

Magnus Brunner (Österreich) – Kommissar für Inneres und Migration

Jessika Roswall (Schweden) – Kommissarin für Umwelt, Wassersicherheit und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft

Piotr Serafin (Polen) – Kommissar für Haushalt, Betrugsbekämpfung und öffentliche Verwaltung

Dan Jørgensen (Dänemark) – Kommissar für Energie und Wohnungswesen

Ekaterina Zaharieva (Bulgarien) – Kommissarin für Startups, Forschung und Innovation

Michael McGrath (Irland) – Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit

Apostolos Tzitzikostas (Griechenland) – Kommissar für nachhaltigen Verkehr und Tourismus

Christophe Hansen (Luxemburg) – Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung

Glenn Micallef (Malta) – Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport

Reaktionen der Mitgliedstaaten auf die Nominierungen:

ÖSTERREICH: Laut einer Pressemitteilung sagte Magnus Brunner: „Es ist mir eine Ehre, von Präsidentin Ursula Von der Leyen das Portfolio für innere Sicherheit und Migration in der EU-Kommission übertragen bekommen zu haben. Dieser Bereich ist zentral für die Zukunft und das Funktionieren der Europäischen Union.“ Österreich habe sich in Europa klar zur inneren Sicherheit positioniert und bekämpfe erfolgreich die illegale Migration, betonte Brunner. „Vor uns liegen große Herausforderungen, aber auch Chancen, Europas Werte und Sicherheit zu stärken.“

BELGIEN: Die Belgierin Hadja Lahbib erhielt das Ressort Bereitschaft und Krisenmanagement. Lahbib, die erst vor zwei Jahren in die Politik einstieg und sofort Außenministerin wurde, wird für die Leitung der europäischen Bemühungen um Krisenmanagement und humanitäre Hilfe zuständig sein. Lahbib wird auch für die Gleichstellungspolitik zuständig sein. „Ihr Ressort spiegelt ihre politische Karriere wider“, sagte von der Leyen.

In Belgien ist zu hören, dass Lahbib mit den ihr übertragenen Kompetenzen keinen großen politischen Einfluss ausüben könne. Und das liegt daran, dass das Land bis zur letzten Minute gewartet hat, um Lahbib als designierte Kommissarin zu nominieren. „Zögern und Feilschen haben Belgien leider ein schwaches Ressort aufgebürdet“, so die grüne Europaabgeordnete Sara Matthieu. „Es ist höchste Zeit, dass die belgischen Politiker das Amt des EU-Kommissars mehr zu schätzen wissen.“

BULGARIEN: Ekaterina Zaharieva, die für das Amt der Kommissarin für Startups, Forschung und Innovation vorgesehen ist, sagte, ihr Ressort sei unglaublich wichtig. Sie bedankte sich bei von der Leyen und der bulgarischen Regierung für das ihr entgegengebrachte Vertrauen und fügte hinzu, dass sie sich der Tragweite ihrer Verantwortung bewusst sei. Sie sagte: „Das Portfolio, das Bulgarien erhalten hat, ist eines der Portfolios der Zukunft. Es ist äußerst wichtig und steht im Mittelpunkt der jetzigen und der nächsten Kommission“.

TSCHECHISCHE REPUBLIK: Tschechische Europaabgeordnete äußerten sich in Straßburg sowohl zufrieden als auch enttäuscht, nachdem Ursula von der Leyen angekündigt hatte, den tschechischen Vertreter Jozef Sikela in der neuen Europäischen Kommission mit Fragen der internationalen Partnerschaft und der Entwicklungshilfe betrauen zu wollen.

Während Politiker des Regierungslagers vom stärksten Ressort sprechen, das je ein tschechischer Kommissar innehatte, sind es nicht nur Oppositionsabgeordnete, die Energie oder Handel für stärkere Ressorts halten würden. „Kein tschechischer Kommissar hatte je ein so starkes Ressort“, bewertete Tomas Zdechovsky, Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), die Entscheidung von der Leyens. Die kommunistische Europaabgeordnete Katerina Konecna bezeichnete das Ressort als einen Schlag ins Gesicht für Tschechien. „Herr Sikela wird nur wieder die Drecksarbeit für Brüssel machen, wie es unsere Regierung gewohnt ist“, sagte sie.

PORTUGAL: „Wir betonen das wichtige Portfolio, das dem von Portugal nominierten Kommissar Maria Luís Albuquerque zugewiesen wurde“, schrieb Premierminister Luís Montenegro in einer Erklärung. Maria Luís Albuquerque wird das Amt der Kommissarin für Finanzdienstleistungen und die Spar- und Investitionsunion übernehmen. „Dies ist entscheidend für den Fortschritt, für die Nachhaltigkeit des sozialen und wirtschaftlichen Projekts Europa und für die Fähigkeit der Union, den Erwartungen, Bedürfnissen und Interessen der europäischen und portugiesischen Bürger gerecht zu werden.“

SLOWENIEN: Slowenien hat von der neuen Europäischen Kommission das Erweiterungsportfolio zugewiesen bekommen, an dem das Land schon immer Interesse hatte. „Das Erweiterungsportfolio ist ein Beweis dafür, dass Slowenien in der internationalen Gemeinschaft geschätzt und respektiert wird“, sagte Premierminister Robert Golob unmittelbar nach der Bekanntgabe der Entscheidung von der Leyens und bezeichnete sie als historisch. „Slowenien übernimmt damit eine verantwortungsvolle Aufgabe.“

Marta Kos wird der Schlüssel zur Sicherung von Stabilität und Frieden in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und darüber hinaus anvertraut, und wie wir durch die europäische Idee zur Stabilisierung sowohl des westlichen Balkans als auch der östlichen Nachbarschaft beitragen können“, sagte er. Außenministerin Tanja Fajon begrüßte ebenfalls die Zuweisung des Ressorts an Slowenien.

SPANIEN: Die spanische Regierung reagierte mit großer Begeisterung auf die Ernennung von Teresa Ribera zur Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang.

„Das ist ein großer Erfolg für Spanien. Es ist das wichtigste Ressort, das je ein Spanier in der Europäischen Kommission innehatte“, sagten Regierungsquellen der spanischen Presseagentur EFE. Sie sind der Ansicht, dass von der Leyen der spanischen Sozialistin das “relevanteste” Ressort überlässt. Sie vertraue Ribera “die Schlüsselpolitik für den strukturellen Wandel an, den sie sich zum Ziel gesetzt hat”, und auf den von den ehemaligen italienischen Premierministern Enrico Letta und Mario Draghi erstellten Berichten beruht. 

SCHWEDEN: Die Information, dass Schwedens Jessika Roswall für Umwelt, Wasserresilienz und Kreislaufwirtschaft zuständig sein wird, kam überraschend, da die schwedische Rechtsregierung eher ein Ressort Produktivität oder Wettbewerbsfähigkeit haben wollte. Grüne und linke Oppositionsparteien fragen sich, wie Roswall sich beispielsweise für das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur einsetzen wird, das die schwedische Regierung vehement und aktiv zu verhindern suchte. „Ich hoffe, dass sie ihre neue Rolle ernst nimmt und sich für Europa als Ganzes einsetzt, auch wenn das bedeutet, gegen die schwedische Regierung zu arbeiten“, sagt Alice Bah Kuhnke, Europaabgeordnete der Grünen.

Dieser Artikel wird zwei Mal pro Woche veröffentlicht. Der Inhalt basiert auf Nachrichten der teilnehmenden Agenturen im enr.