Die Europäische Kommission hat in einem am 12. Oktober in Brüssel veröffentlichten Bericht empfohlen, Bosnien und Herzegowina (BIH) den Status eines EU-Kandidaten zu verleihen, der an Reformen und Bedingungen geknüpft ist. Der zuständige EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung Oliver Várhely drängte die Verantwortlichen in BIH dazu, die Reformen voranzutreiben und „diese historische Chance zu nutzen“, wie er in seiner Vorstellung erklärte.
Das so genannte Erweiterungspaket 2022 umfasst die Jahresberichte der Europäischen Kommission für die westlichen Balkanstaaten und die Türkei auf ihrem jeweiligen Weg in die Europäische Union. Bosnien und Herzegowina wurde bereits 2003 der EU-Beitritt in Aussicht gestellt, 2016 reichte es offiziell einen Aufnahmeantrag ein.
Der nächste Schritt auf dem Weg zur Mitgliedschaft ist nun die Eröffnung der formellen Beitrittsgespräche, ein Schritt, der wiederum die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten erfordert und Jahre dauern kann. Die Unterstützung der EU-Kommission für Bosnien und Herzegowina, die an Bedingungen geknüpft ist, folgt auf die ähnliche Empfehlung, als im Juni der Ukraine und Moldau der Kandidatenstatus ausgesprochen wurde. Unter anderem haben Österreich und Slowenien bei den Beratungen darauf gedrängt, Bosnien ebenfalls zu berücksichtigen.
Bosnien und Herzegowina: Ethnische Spannungen nach den jüngsten Wahlen
Am 2. Oktober fanden in BIH Parlamentswahlen statt, und obwohl die politischen Gewinner in Bosnien und Herzegowina in den meisten strategischen Fragen für die Zukunft des Landes unterschiedliche Ansichten vertreten, ist der EU-Beitritt eines der wenigen Themen, bei denen ein formaler Konsens besteht. So riefen sie nach den Wahlen zu pro-europäischen Reformen auf. Die Entscheidung der EU-Kommission könnte den nach den jüngsten Wahlen zu bildenden Behörden in Bosnien und Herzegowina neuen Auftrieb geben.
Politiker in BIH gehen davon aus, dass die Entscheidung der EU-Kommission, dem Rat der Europäischen Union zu empfehlen, dem Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen, zum richtigen Zeitpunkt kommt und für das Land und seine Bürger historisch ist. Die Außenministerin von Bosnien und Herzegowina, Bisera Turković, begrüßte die Empfehlung der Kommission und erklärte auf ihrem Facebook-Profil, dass dies eine historische Entscheidung für das Land und seine Bürger sei. „Dies ist eine starke Botschaft (…), die wir uns schon früher erhofft haben“, schrieb sie und fügte hinzu, dass dies auch eine Anerkennung aller Bemühungen sei, die BUH trotz der Hindernisse unternommen habe, um seine Politik an die EU anzugleichen, insbesondere in Bezug auf den Ukraine-Krieg.
Der Vorsitzende der kroatischen Partei HDZ BIH, Dragan Čović, erklärte auf Twitter, dies sei „ein historischer Tag für BIH“. Čović reichte 2016 in seiner damaligen Eigenschaft als Vorsitzender der Präsidentschaft von BIH den Antrag auf den EU-Kandidatenstatus von BIH ein.
Željko Komšić, eines der drei Mitglieder des Ratsvorsitzes, sagte, es sei wichtig, dass die Kommission feststelle, dass Bosnien und Herzegowina 80 Prozent seiner außenpolitischen Erklärungen mit der EU abgestimmt habe. Er fügte jedoch hinzu, dass die Gewährung des Kandidatenstatus weiterhin ungewiss sei.
In Bezug auf die Wahlreform kritisierte er die jüngste Entscheidung des Hohen Vertreters der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, der von seinen Befugnissen Gebrauch machte und in der Wahlnacht am 2. Oktober Änderungen des Wahlgesetzes durchsetzte. Im Vorfeld der Wahlen waren die Verhandlungen zwischen den wichtigsten politischen Akteuren über eine Wahlreform gescheitert, was die politischen und ethnischen Spannungen weiter verschärfte. Bei der Reform geht es hauptsächlich um das Problem der proportionalen Vertretung der Kroaten als kleinstes der drei konstituierenden Völker. Komšić hat Schmidt vor dem Verfassungsgerichtshof mit der Begründung angezeigt, dass die Wahlrechtsänderungen die Wähler getäuscht und die ethnischen Spaltungen weiter geschürt haben. „Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina missachtet mit seinen Entscheidungen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Stellungnahme der Europäischen Kommission und gefährdet den EU-Beitritt von Bosnien und Herzegowina“, so Komšić.
Am Mittwoch appellierte der EU-Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspoliti, Várhely, an die Regierung von Bosnien und Herzegowina, „die Verfassung und das Wahlrecht schnell zu reformieren“.
Notwendige Reformen und Bedingungen
Nach den Wahlen rief die EU-Kommission zu einer raschen Regierungs- und Behördenbildung auf allen Ebenen auf, damit diese sich mit der Erfüllung der Bedingungen befassen können. Die erforderlichen Reformen, um den EU-Beitritt voranzutreiben, beziehen sich auf den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit, die Verabschiedung von Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten und die Prävention und Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Darüber hinaus muss Bosnien und Herzegowina eine wirksame Koordinierung der Kapazitäten für Grenzmanagement und Migrationssteuerung sowie das Funktionieren des Asylsystems gewährleisten. Zu den Bedingungen gehören auch das Verbots der Folter, die Gewährleistung der Meinungs- und Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit Bosnien und Herzegowina aufgrund der internen politischen Spaltung in der Lage sein wird, diese Bedingungen zu erfüllen.
„Die heutige Entscheidung ist ein politischer Impuls. Sicherlich erfüllt Bosnien und Herzegowina heute noch nicht alle Bedingungen für einen EU-Beitritt, aber wir glauben, dass diese Bedingungen erfüllt werden. Ich hoffe, dass die neuen politischen Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina diesen Impuls verstehen und nutzen werden. Es ist ein Anreiz zum Handeln“,
sagte der Beauftragte der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell.
Er betonte auch, dass die Empfehlung zu einer Zeit kommt, in der „ein Wertekampf mit Moskau” stattfinde. “Wir können unsere Augen nicht vor seinem wachsenden Einfluss verschließen, nicht nur auf dem Balkan“, so Borrell.
Slowenien: Der Beitritt von Bosnien und Herzegowina ist eine höchst „geopolitische Frage”
Der Präsident der Republik Slowenien, Borut Pahor, hat die Entscheidung der Europäischen Kommission begrüßt, Bosnien und Herzegowina den Status eines EU-Kandidaten zu empfehlen. Er sagte, dies sei ein wichtiger Schritt für Frieden und Stabilität auf dem westlichen Balkan. Pahor vertrat die Ansicht, dass der Beitritt von Bosnien und Herzegowina nicht nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden sollte, ob das Land die Bedingungen erfüllt, sondern dass es sich um eine „geopolitische Frage ersten Ranges“ handelt, wie er in einer Pressemitteilung erklärte. Trotz anfänglicher Rückschläge habe Slowenien erreicht, dass der Europäische Rat die Kommission beauftragt, eine Empfehlung für Bosnien und Herzegowina zu verfassen, erklärte das Büro des Präsidenten. „Die heutige Empfehlung weckt die Hoffnung, dass Bosnien und Herzegowina auf dem EU-Gipfel im Dezember den Status eines Beitrittskandidaten erhalten wird“, heißt es in der Pressemitteilung. Dies sei ein Wendepunkt, da er den Beginn der europäischen Zukunft Bosnien und Herzegowinas markiere und für den Frieden und die Stabilität auf dem westlichen Balkan von großer Bedeutung sei, hieß es weiter.
Der slowenische Premierminister Robert Golob begrüßte die Nachricht und erklärte am Mittwoch, sein Land werde sich nun dafür einsetzen, dass der gesamte westliche Balkan der EU beitrete. „Slowenien wird sich dafür einsetzen, dass die gesamte westliche Balkanregion so bald wie möglich der EU beitritt“, wurde er von seinem Büro zitiert. Golob wies auch darauf hin, dass die Entscheidung der Kommission auf eine Initiative der slowenischen Regierung vom Juni zurückgeht.
„Diese Empfehlung bestätigt, dass unsere Position richtig war; unsere Argumente wurden verstanden und dann akzeptiert“, so die Außenministerin Tanja Fajon. Sie hofft, dass die Entscheidung der EU-Kommission die Reformbemühungen in Slowenien vorantreiben wird. Des Weiteren sagte sie, dies sei eine strategische Entscheidung, die dem gesamten westlichen Balkan ein klares Signal sende, dass nämlich seine Zukunft in der EU liege, eine Botschaft, die „besonders wichtig ist angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine.“
EU-Erweiterung: Was ist mit Nordmazedonien?
Nordmazedonien hat nach jahrelangen Verzögerungen gemeinsam mit seinem Nachbarland Albanien Beitrittsverhandlungen aufgenommen, nachdem es 2005 bzw. 2014 den Status eines EU-Kandidaten erhalten hatte. Der jährliche Erweiterungsbericht für Nordmazedonien stellt fest, dass das Land in den meisten Schlüsselbereichen Fortschritte gemacht hat, mit Ausnahme der Meinungsfreiheit, bei der die Europäische Kommission betonte, dass die Fortschritte „begrenzt“ seien.
Auf der Pressekonferenz am Mittwoch erklärte Erweiterungskommissar Varheyi, dies sei auf die fehlende Einigung zwischen der Regierung und der Opposition über „ausstehende Gesetzesreformen“ zurückzuführen. Weitere Anstrengungen seien auch bei der Reform der öffentlichen Verwaltung, der Korruptionsbekämpfung und der Rechtsstaatlichkeit erforderlich, sagte der Kommissar vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments und forderte das Land auf, das Reformtempo während des im Juli begonnenen Screening-Prozesses beizubehalten.
Der Leiter der EU-Delegation in Skopje übergab den Bericht an Premierminister Dimitar Kovacevski, der sagte, dass der Bericht „im Detail analysiert“ werde, um die Bereiche zu identifizieren, in denen mehr Arbeit nötig sei, und drückte die Entschlossenheit seiner Regierung aus, die notwendigen Reformen und die Harmonisierung der Gesetzgebung mit der der EU fortzusetzen.
Nordmazedonien wurde auch für seine Anpassung an die Außenpolitik der EU gelobt, insbesondere in Bezug auf die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland.
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